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CONSOLATA

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(1. Fortsetzung)

Madonna Francesca erging sich dann noch im Lob der wunderbaren Trostesgabe, die den frommen Brüdern eigen sei, eine Versicherung, deren der Legat nicht bedurfte denn er hatte ja den Trost der Consolata selbst so tief erfahren, daß er eine edle Scheu empfand, davon zu sprechen. Allein, es blieb auch keine Zeit' dazu, denn Ugo da Cremona war soeben wieder eingetreten und berichtete nicht ohne sichtbares Mißfallen, sein Abgesandter sei mit dem Bescheid zurückgekehrt, die Consolata habe die Botschaft des Legaten mit Ehrfurcht empfangen; sie würde gern sogleich vor seinem Angesicht erscheinen. Jedoch, durch ihr Gelübde gezwungen, versammle sie in eben dieser Stunde ihre Mitglieder zum Beistand eines Trostbedürftigen und richte deshalb ihrerseits an den erhabenen Gast der Stadt die Bitte, dieser unaufschiebbaren Versammlung beizu wohnen und sie bei ihrem Werk zu unterstützen.

Nun, der Legat hatte natürlich, ebenso wie Ugo da Cremona, angenommen, daß die frommen Brüder sich zu ihm bemühen würden, allein er war gewohnt, die hohe Würde seines Amtes mit apostolischer Demut zu verbinden. Auch erschien es ihm nicht unwillkommen, die peinliche Wartezeit, die ihm hier auferlegt war, durch einen Besuch zu verkürzen, der für ihn den feinen Reiz eines geistlichen Abenteuers besaß. Er erklärte sich also bereit, der Einladung Folge zu leisten und gab nur widerstrebend zu, daß Ugo da Cremona, der sich für seine Sicherheit verantwortlich fühlte, ihn begleite.

Die Dunkelheit war schon herabgesunken, als die beiden Männer den kleinen Palast Donna Francescas verließen, vor dessen Portal ein wartender Bruder stand, den die Consolata Ugos Boten mitgegeben hatte. Der Legat, den interdizierten Zustand der Stadt großzügig übersehend, spendete ihm den Segen und reichte ihm dann leutselig die Hand. Worte wurden nicht gewechselt, denn Ugo da Cremona hatte wegen der noch immer nicht geklärten Lage in der Stadt für den nächtlichen Gang nach Möglichkeit um Schweigen gebeten.

Die kleine Gesellschaft setzte sich in Bewegung. Der Mond stand am Himmel, war aber verhüllt, so daß die Nacht, zwar ohne' Glanz und Schimmer, immerhin hell genug war, um die Straßen deutlich erkennen zu lassen. Filippo Fontana glaubte sich nicht zu irren, daß der Bruder, der mit seiner spitz gezipfelten Kapuze voranging, die Richtung gegen das Kastell zu einschlug. Und wirklich tauchten die zackigen Guelfen- zinnen seiner Türme auch alsbald über den nächstliegenden Häusern auf. Gleichzeitig bemerkte der Legat eine Anzahl bewaffneter Bürger, die sich am Ausgang der Straße versammelt hatten. Ugo da Cr«- mona blieb bei ihnen stehen und erkundigte sich, worauf sie hier warteten? Sie erwiderten flüsternd, aber mit prahlerischen Gesten, sie hielten das Kastell umstellt: nicht eine Maus könne mehr aus seinen Toren schlüpfen, geschweige dieser Schuft Ansedio; dafür hätten sie mit großer Umsicht Sorge getragen.

«Und nicht wahr, ihr habt auch Sorge getragen, daß keine Maus mehr hineinschlüpfen kann? Schon drei Tage lang habt ihr dies gewissenhaft verhindert", erwiderte Ugo verächtlich.

Nun schwiegen sie verlegen, endlich sagte einer, indem er seinen überlangen Spieß fest in die Erde stieß: ob der Herr bei seiner Frage wohl schon bedacht habe, wie es den Leuten des Markgrafen Palavicini jüngst ergangen sei, als sie gemeint, den Ezzelino da Romano in der Falle zu haben? Sie hätten ihn nämlich wirklich in der Falle gehabt, allein was wolle das bedeuten? Man könne eben nicht an diese großen Bösewichte Hand anlegen! Einigen, die es bei Ezzelino versucht, seien die Arme unter den Panzerhemden wie von höllischen Flammen versengt worden, so daß deren Eisenschienen, mit Wasser übergossen, noch eine halbe Stunde hernach gezischt hätten! Das sicherste sei ohne Zweifel, hier zu warten, ob vielleicht der Teufel selbst den Bösewicht aus dem Kastell hinaustriebe oder ihn zwänge, eigene Hand an sich zu legen.

Filippo Fontana war unterdessen in den dunklen Vorplatz eines Hauses eingetreten, dessen Tor der Bruder mit einer stumm einladenden Gebärde geöffnet hatte.

„Ich glaube, gnädiger Herr“, sagte Ugo, dem Legaten folgend, „man sollte kurzen Prozeß machen und den Ansedio durch meine und die Mantuaner Leute erledigen lassen — diese Memmen werden niemals mit ihm fertig werden! Meine Meinung ist, die sind von Anfang an an ihrem Unglück selber schuldig —, die sind gar nicht durch den Ansedio, die sind durch ihre eigene Schwachheit unter seine Tyrannei geraten!“

Filippo Fontana überhörte diese Bemerkung: der Gedanke, die Bürger seiner Vaterstadt an der Überwindung, des Tyrannen teilnehmen zu lassen, befriedigte ihn, denn er wußte wohl, daß Ugos Vorwurf sie nicht gänzlich unberechtigt traf und auch von anderer Seite schon erhoben worden war. Es lag ihm sehr am Herzen, sie davon befreit zu sehen, auch entsprach es für ihn nur der Gerechtigkeit, Ansedio durch dasselbe Volk zu stürzen, an dem der Unhold sich so schwer versündigt hatte. Er wandte also scheinbar seine ganze Aufmerksamkeit dem Bruder zu. Dieser hatte jetzt auf dem dunklen Vorplatz des Hauses eine Laterne angezündet und leuchtete seinen Begleitern eine ziemlich steile Treppe hinauf, die in eine hölzerne Galerie und wieder in eine zweite, diesesmal in Stein gehauene Treppe mündete. Es folgte abermals eine Galerie. Während man sie passierte, trat der verhüllte Mond plötzlich aus den Wolken hervor: der Legat blickte in einen Hof hinab, über dem die gezackten Guelfen- zinnen dös Kastells in unmittelbarer, fast erschreckender Nähe aufspnangen.

„Mein Freund, was habt ihr für seltsame Zugänge zu euren Versammlungsstätten?" wandte sich der Legat mit leichtem Befremden an den Bruder. Statt einer Antwort legte dieser beide Arme kreuzweise über der Brust zusammen und sah den Fragenden mit einem so klaren, um Vertrauen bittenden Blick an, daß Filippo Fontana sich vollkommen beruhigt fühlte. Er mußte geradezu lächeln, als er bemerkte, daß Ugo da Cremona neben ihm das Schwert aus. der Scheide gezogen hatte.

Der Bruder schloß jetzt wieder eine Tür auf, und sie traten in einen langen, steiner-nen Hallengang ein, der ganz offensichtlich zum Kastell gehörte, denn überall starrte es von Waffen, Schleudermaschinen und sonstigen kriegerischen Geräten, planvoll zur Verteidigung aufgestellt, aber ohne sie jede bedienende Mannschaft. Diese hilflose Verlassenheit der an sich Furcht erweckenden Geräte, die Ohnmacht und Nichtigkeit, zu der sie trotz ihrer funkelnden Bereitschaft verurteilt waren, hatte etwas in höchstem Maße Bestürzendes. Auch in den Räumen, an deren offenen Türen sie vorübergingen, war alles leer und menschenverlassen Man sah verödete Wachstuben, Kredenzen ohne Wirt und Wein, gähnend auf gerissene Schränke und Truhen, offenbar noch vom flüchtigen Hofgesinde des Ansedio ausge- pdündert. Diese vollkommene Leere und Inhaltlosigkeit aller Räume steigerte den Eindruck, den die Hilflosigkeit der mächtigen Kriegsgeräte erweckte, ins Schauerliche, ja Spukhafte: der Legat fühlte sich plötzlich von der Vorstellung überfallen, das Kastell sei- wie ein Stück abgelaufene Geschichte, bereits im Meer der Zeiten versunken, einem großen gescheiterten Schiff gleich, das die blauen NäclTte der Vergessenheit lautlos durchspülten, alles hinwegwaschend, als sei es niemals vorhanden gewesen. Er fühlte bei dieser Vorstellung ein Enschauern, das aber nichts mit Furcht zu tun hatte, sondern eher mit jenem freudigen Erzittern, das bei ihm vorauszugehen pflegte, wenn er im Begriff stand, einer geistigen Entdeckung auf die Spur zu kommen. Unwillkürlich fiel ihm ein philosophischer Traktat ein, der ihn in seiner Jugend leidenschaftlich beschäftigt hatte, eine Untersuchung über das Wesen des Bösen. Er hatte geglaubt, es in der völligen Loslösung von Gott als dem Urquell alles Seienden zu erkennen, also in einer Wurzel- und Be- standlosigkeit, einer bloßen Scheinhaftig- keit, die im Grunde einem Nicht-Sein gleichkam. Ja, dieser Schluß war für ihn gedanklich geradezu zwingend gewesen. Dennoch hatte er den Traktat damals nicht zu vollenden vermocht, weil er dabei auf einen unlösbaren Widerspruch gestoßen war: das Böse, das sein Geist als unwirklich erkannte, besaß im Reiche der Erfahrung eine ungeheure Macht und Wirklichkeit. Beruhte dieser Widerspruch auf einer Täuschung? War auch im Reiche der Erfahrung die Macht des Bösen nur Schein? Beruhte sie vielleicht nur auf einer Ohnmacht des Guten, sofort verschwindend undin ihrem Nichts erkennbar, wenn dieses wirklich kraftvoll auf den Plan trat? Unwillkürlich fielen ihm die Worte ein, mit denen ihn die Consolata vorhin bei seinem Einzug in die Stadt begrüßt hatte; „Ich gehe einher in der Kraft des Herrn, ich preise seine Gerechtigkeit alleine!“ Es war ihm, als ob sein Sieg über Ansedio und die bösen Mächte seiner Vaterstadt die Antwort auf die offengebliebene Frage seines Traktats sei.

Ganz von der Wahrheit dieser Antwort durchdrungen, merkte er gar nicht, daß sie nun auch den Wehrgang wieder verlassen und einen hohen ritterlichen Saal betreten hatten, in dessen Mitte eine gedeckte Tafel stand, offenbar noch für das höfische Gefolge des Ansedio bestimmt, das nicht mehr vorhanden war. Auf der Tafel brannte ein vielarmiger silberner Leuchter; von den Flammen seiner dicken, aber schon tief herabgeschwelten Kerzen ging ein wellenförmiges Schattenspiel aus, bei dessen Anblick den Legaten wiederum die Vorstellung überkam, daß er sich in einem untergegangenen Schiff befinde, durch dessen Bug der lautlose Wogengang der Verschollenheiten flutete. An der Tafel saß nur ein einzige Gestalt, ein Mann in großartig gelassener Haltung. Er trug, wie die Herrscher der Vorzeit, eine purpurne Stirnbinde, die ihm ein königliches Ansehen, zugleich aber auch — eben weil sie an einen Herrscher der Vorzeit erinnerte — etwas Fernes, Jenseitiges, ja fast etwas Gespenstiges verlieh. (Fortsetzung folgt)

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