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Der Hut der Exzellenz

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Es war ein feiner Hut, selbstverständlich. Londoner Vorkriegsware, hellgrau, Nummer 58. Das ist ziemlich groß. Aber auch Exzellenz war ein großer Mann gewesen. Die ältere Generation erinnerte sich noch gut an seine herkulische Gestalt und den mächtigen schwarzen Vollbart, welcher der einzige seiner Art im Ministerium gewesen war. Legionen von Beamten hatten vor ihm gezittert, und Zahllose Schicksale hatte sein Mächtspruch entschieden. Das war lange her. Seine Witwe, geborene Pielmann, lebte allein im Cottageviertel. Sie hatte noch entfernte Verwandte, die Familie des Herrn Josef Pielmann, eines kleinen Beamten. Die Leute waren ihr in der Zeit ihres gesellschaftlichen Glanzes vollkommen aus dem Gesichtskreis entschwunden. Sie wußte kaum etwas von ihnen. Aber für die Verwandten bildete sie den Lichtpunkt ihres bescheidenen Daseins. Es gab kein Gespräch mit Herrn oder Frau Pielmann, in dem nicht irgendwie die Exzellenz erwähnt worden wäre, wie ein Pelzmantel oder ein eingelegter Kasten, auf den eine Familie ihr Leben lang stolz ist.

Als die Exzellenz knapp vor dem achtzigsten Geburtstag stand, ließ sie Herrn Pielmann sagen, er könnte sich schott einmal um die alte Großtante umsehen. Sie ließ auch durchblicken, daß es immerhin einiges zu erben gebe. Daraufhin zog Herr Pielmann den guten Anzug an und fuhr nach dem Cottage. Die Exzellenz empfing ihn sehr leutselig, ließ einen verhältnismäßig dünnen Kaffee machen und erkundigte sich nach der Frau und den Kindern, ohne sie jedoch einzuladen. Zum Schluß wollte sie ihm etwas mitgeben und wühlte lange in Schränken und Laden. Schließlich brachte sie den Hut.

„Diesen Hut hat er das letztemal beim Ftüh- jahrsrennen angehabt. Probier ihn, ob er dir paßt.“

In ihrer resoluten Art setzte sie ihm den Hut selbst auf. „Gut paßt er!“ rief sie erfreut. Herr Pielmann hielt es für unhöfEch, zu widersprechen. Aber er war keineswegs der gleichen Meinung. Nur ein Zufall verhinderte den Hut, ihm bis auf die Schultern zu fallen. Exzellenz hatte ihm nämlich beim Aufsetzen des Hutes beide Ohren umgebogen und auf diesen beiden Tragflächen saß, selbständig nickend, der Hut. Umgebogene Ohren springen niemals von selbst zurück. Mit roher Hand einzugreifen, verbot ihm aber das Taktgefühl. „Du kannst ihn gleich anbehalten“, sagte Exzellenz freundlich und packte ihm seinen alten Hut in die Zeitung „Le Matih“ ein. Vom Fenster sah sie ihm noch lange durch das Lorgnon nach. Er wagte nicht den Hut abzunehmen, obwohl er stark schaukelte. Die Leute blieben stehn und lächelten. Sie vermuteten dahinter einen neuen Reklametrick.

Herrn Pielmanns Frau war von dem Geschenk nicht sehr erbaut. Herr Pielmann gleichfalls nicht. Er dachte auch nicht daran, den Hut zu tragen. Nur wenn et hie und da zu der alten Exzellenzgroßtante ging, setzte er ihn auf, nachdem er vorher die ganze Sonntagsnummer des „Matin“ hinter das Leder geschoben hatte. Er trug ihn mit Heroismus und einer seltsam en Hochachtung, der er sich nicht entziehen konnte.

Man mag sagen, was man will, die Dinge nehmen von der Seele des Menschen eine Art abgeleitete Seele an und mancherlei Kräfte, die auch nach dem Tode des Besitzers noch geheimnisvoll weiterwifken. Na türlich abgeschwächt und blässer, gewissermaßen in die stumme Sprache der DiAge übersetzt. So stork sind diese Kräfte nicht, daß man etwa den Hut eines Diplomaten zum Gesandten in einem kleinen Staate ernennen könnte. Aber es ist durchaus nicht gleichgültig, wessen abgelegte Sachen matt trägt. Auch Herr Pielmann empfand dies. Unter diesem Hut waren wichtige Entscheidungen gehören worden, er war mit Schick sal gesättigt. Ein Fluidum planmäßigen Ehrgeizes und erlesener Verantwortung ging von ihm aus. Er wirkte wie ein geistiger PrießnitZumschlag, kräftigend und belebend. Er gab Herrn Pielmann die Kraft, die Besuche bei der Großtante zu überstehen, in ihrer ungeheizten Wohnung mit liebenswürdigem Lächeln den Kaffee zu trinken, der immer dünner wurde, und den Geruch von altem Pelzwerk, Naphthalin und Katzen einzuätmen, der immer dicker wurde. Das dauerte zehn Jahre, aber schließlich kam doch der Tag, an dem er die Möbel, zwei Teppiche, Vorhänge, etwas Schmuck und einen kleinen Geldbetrag den Kindern als Erbschaft übergeben konnte. Im Büro war er Vorstand geworden, da in geheimnisvoller Weise bei ihm eine Leitungsgabe entdeckt worden war, von der früher niemand das geringste bemerkt hätte.

Die Menschen durchschauen selten die wahren Gründe ihrer Erfolge und Mißerfolge im Leben. Herr Pielmann schrieb alles seiner persönlichen Tüchtigkeit zu und benützte nach dem Tode der Exzellenz die erste Gelegenheit, um sich das Hutes zu entledigen. Er schenkte ihn einem Bettler, um die fünf Groschen des Almosens zu ersparen. Auch diesem wären fünf Groschen lieber gewesen. Lange drehte er den Hut in der Hand hin und her. Datin aber kam es wie eine plötzliche Eingebung über ihn. Er steckte seine zerlumpte Mütze in den Brief- kasteii der nächsten Wohnung, wo er nichts bekommen hatte, und bediente sich fortan einer neuen Technik. Er hielt den Hut deutlich sichtbar vor sich hin und sagte: „Auch ich habe einst bessere Tage gesehen ... dieser Hut ist das letzte ..“ Niemand wagte, ihm weniger als fünf Groschen zu geben. Willensschwäche oder zur Untertänigkeit besonders neigende Personen fühlteh sich sogar durch eine innere Nötigung gezwungen, ihm zehn Groschen zu geben. Herr Pielmann selbst erlag dieser Suggestion, als der Bettler, der längst den Spender des Hutes vergessen hatte, einige Monate später bei ihm sein Sprüchlein hersagte.

Der Bettler hatte schon ein nettes Sümmchen erspart. Da stech der Hut einmal einem vorübergehenden Wachmann ins Auge. „Woher haben Sie diesen Hut?“ — „Geschenkt bekommen.“ — „Das könnte jeder sagen. So feine Hüte bekommt man nicht geschenkt. Vorwärts!“ — Es half nichts, der Bettler mußte ins Loch, dort saß er mehrere Monate, weil er schon mehrmals wegen Bettelns vorbestraft war. Arreststrafen steigen bekanntlich wie Gehalte nach öfterer Wie derholung derselben Sache. Den Hut bekam er nach seinSr Entlassung nicht mehr zurück, er (der Hut) wurde vielmehr nach Ablauf der vörgeschriebenen Zeit mit anderen ähnlichen Sachen versteigert.

So erwarb ihn der Bürodiener Wewerka um fünf Schilling fünfzig. Kurze Zeit später wurde er, ohne ersichtlichen Grund, dem Büro des leitenden Direktors zugeteilt und hatte dort im Vorzimmer Akten zu über nehmen, Besuche anzumelden und deren Garderobe zu betreuen. An Empfangstagen hängte Herr Wewerka seinen Hut immer in dieses Vorzimmer zur Luftveränderung. Da geschah es nicht selten, daß der erste Besucher mit einem Seitenblick auf den Hut fragte: „Ist schon ein Herr aus dem Ministerium da?" Und eines Tages passierte es sogar, daß der Herr Ministerialrat Boch- dulowanski in der Eile seinen Hut mit dem Herrn Wewerkas vertauschte. Fast hätte derart der Hut wieder in seine angestammte Sphäre heimgefunden. Aber der Herr Ministerialrat war ein ungewöhnlich heikler Mensch. Als ihm Herr Wewerka am nächsten Tage den Hut brachte, entschuldigte er sich vielmals, daß er leider die Eigenheit habe, Zahnbürsten und Hüte auch nach ganz kurzer Vertauschung nicht mehr zu benützen. Er gab Herrn Wewerka beide Hüte zurück und überdies eine echte Henry Clay. Dieser behielt aber doch eine leise Kränkung in Reserve, und es gelang ihm später, als Entschädigung seine Versetzung in das Ministerium Zu erreichen. Den neuen Hut behielt er, den alten schickte er auf den Tan- delmarkt.

Nicht nur für Menschen, auch für einen alten Hut ist es hart, in vorgerückten Jahren wieder von vorn anzufangen. Nur zu leicht führt der Weg nicht mehr aufwärts, sondern abwärts zu dem traurigen Ende vieler Dinge und Menschen, die das Schicksal aus ihrer Bahn geschleudert hat. In einer dunklen Ecke des Ladens lag der Hut der Exzellenz unter Hüten aus grobem Filz, alten Uniformkappen und gewöhnlichen Sportmützen. Viele Käufer kamen und gingen, aber sie kauften nur Sportkappen und Steirerhüte mit falschen Gemsbärten. Bis eines Abends, schon in der Dämmerung, ein alter Herr leise und scheu den Laden betrat. Er wählte nicht lange. Im Augenblick, da er den grauen Hut erblickte, hatte er sich schort für ihn entschieden. Er zahlte und ging. Er ließ ein neues Leder eihlegen und behandelte den Hut mit einer uralten, feinen Bürste überaus liebevoll, geradezu kollegial. Et trüg ihn täglich auf seinem Späzietgang zu seinem gleichfalls alten und ein wenig abgetragenen, aber immer peinlich netten Anzug aus feinem Tuch. Und als er einmal Flerrn Pielmann begegnete, zog dieser sehr höflich seinen bräünen Hut und sagte: „Meine Verehrung, Exzellenz.“ Der Hut dahkte leutselig. Aber er gab sich nicht zu erkennen.

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