6637342-1957_23_15.jpg
Digital In Arbeit

„Diese Kritiker verstehen nichts“

Werbung
Werbung
Werbung

Im Rahmen der Berliner Festwochen 1956 dirigierte Strawinsky ein Konzert. Es war das letzte während seines heurigen Europaautenthaltes, unmittelbar vor seiner Erkrankung in München. Daher mußten die für Wien vorgesehenen Aufführungen unter seiner Leitung abgesagt werden. Auf einer Pressekonferenz zu erscheinen, hatte Strawinsky abgelehnt. Dagegen ergab sich die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem Komponisten in einem kleineren Kreis, im Hause des künstlerischen Leiters der Berliner Festwochen, Dr. Gerhart von Westerman.

Strawinsky war das erstemal 1913 in Wien, zur Aufführung seines „Pefruschka” durch das Ballet Russe unter der Leitung Diaghilews. 1929 spielte er im Konzerthaus, begleitet von den Symphonikern, den Solopart seines „Capriccio". — Die Verstimmung Wien gegenüber datiert aus dem Jahre 1925, als unter der Leitung Franz Schalks sein „Sacre du Printemps" durch die Philharmoniker aufgeführt wurde. Hierbei kam es (12 Jahre nach der Uraufführung) nicht nur zu Protesten des Publikums, die Strawinsky gewöhnt war, sondern auch zu Mifjfallensäufjerungen des, Orchesters bei den Proben, von denen ihm berichtet wurde und die ihn kränkten. — Am 17. Juni feiert man den 75. Geburtstag des Komponisten. Nun wäre Gelegenheit gewesen, daf; sich die Musikstadt Wien, deren beide repräsentative Konzertgesellschaffen den Meister inzwischen zu ihrem Ehrenmitglied ernannt haben, mit Strawinsky aussöhnte. Aber es kam leider vorläufig nicht dazu.

Strawinsky erkundigte sich zunächst, in welchen -Sälen seine Konzerte stattfinden würden, welches Orchester er dirigieren sollte und wer die Vorstudierung übernommen hatte. „Die Akustik, der Raum, wissen Sie. ist sehr wichtig. Ich habe meine Erfahrungen!" Er wandte sich dann an den Komponisten Hans Werner Henze und fragte, weshalb er seine Oper „König Hirsch" nicht salbst dirigiere. „Der Komponist ist immer noch der beste Interpret seiner eigenen Werke", worauf Henze meinte: „Ja, die Dirigenten, das ist ein Problem!“ — „Das ist gar kein Problem, aber man hat eines daraus gemacht. Und (zum Kritiker gewandt) ich frage Sie: Wer hat ein Problem, eine Affäre daraus gemachf?" — „Das Publikum, das von ihnen fasziniert ist, und die Presse, die sie glorifiziert.“ — „Sehr richtig. Diese Kritiker vor allem, die in den Zeitungen schreiben, verstehen n i c h t s v o n M u s i k ; sie wissen nicht, was eine Melodie ist, sie können Metrum nicht von Rhythmus unterscheiden, und das sind doch wichtige Dinge! Es ist sehr schwer und verantwortungsvoll, über Musik zu schreiben." Ich enfgegnete, dafj er persönlich sich doch über die Kritik, besonders während der letzten zehn Jahre, nicht zu beklagen habe. Man beginne, seine Musik zu verstehen, und manche seiner Werke seien bereits Publikumserfolge. „Trotzdem”, sagte Strawinsky, „ich bin Pessimist! Sind Sie Optimist?" — „Ich bin weder das eine noch das andere, ich will nur versuchen, ein wenig meine Profession, die des Kritikers, zu verteidigen. Aber Sie haben recht, Meister, .beschriebene Musik ist wie ein erzähltes Mittagessen', wie Brahms einmal gesagt haben soll. Es ist schöner, Musik zu hören als Musik zu schreiben oder zu beschreiben." Strawinsky lachte, das Zitat habe er nicht gekannt, er wolle es sich genau merken: „Auf dieser Ebene können wir uns einigen!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung