Alice.jp - © Foto: Odeon/Stefan Smidt

Zweimal „Wien modern“: Zauber und Klangmagie der Moderne

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Eine Kurt-SchwertsikUraufführung im Odeon und Terry Rileys Minimal-Music-Klassiker „In C“ im Semperdepot.

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Eine Kurt-SchwertsikUraufführung im Odeon und Terry Rileys Minimal-Music-Klassiker „In C“ im Semperdepot.

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Kurt Schwertsiks „Alice. Eine phantastische Revue“ (Kostüme und Bühne: Mirjam Mercedes Salzer) ist eine gedankenvoll konzipierte und szenisch klug gestaltete Produktion. Außerdem ist sie ein Beispiel dafür, dass zeitgenössisches Musiktheater durchaus unterhaltsam sein kann. Dabei ist „Alice“, wenn auch in Dur und Moll konzipiert, ein durchaus avanciertes Musiktheater. Die Musik, mit der der seinerzeit auch bei den Darmstädter Ferienkursen sozialisierte Komponist ausgewählte Szenen aus Lewis Carrolls Klassikern „Alice’s Adventures in Wonderland“ und „Through the Looking-Glass“ illustriert und kommentiert, besticht durch Eindrücklichkeit, Diskretion, hintergründigen Charme und meisterliche Kunstfertigkeit.

Zudem verbindet sie sich ideal mit dem Libretto, das Co-Regisseurin Kristine Tornquist aus Lewis Carolls hintergründigen Texten gefiltert hat und in 26 aphoristischen Szenen auf die Bühne bringt. Von der blauen Raupe, der Herzkönigin, dem Hutmacher, den geschwätzigen Blumen, der Maus, Tweedledum und Tweedledee bis zur schrillen Tea Party und den Auftritten der genauso pointiert aufs Korn genommenen Königsfamilie ‒ um nur einige der Szenerien anzudeuten ‒ findet sich so gut wie alles in diesem ironisch gefärbten Panorama, hinter dem sich die Reminiszenzen über das Erwachsenwerden einer Person verbergen.

„You are nothing but paper. Nothing but pieces of paper!“, heißt es am Ende dieser Revue. Letztlich sind es nur Papiertiger, mit denen sich Alice in diesem an Skurrilitäten reichen träumerischen Wunderland herumschlagen muss. Das demonstrieren auch die schrulligen Papierkostüme in dieser von Max Kaufmann inszenierten Produktion des Serapions Theater unmissverständlich. Sieben höchst engagierte Solistinnen und Solisten – im Mittelpunkt Ana Grigalashvili als schweigende Alice ‒ und 24 Instrumentalistinnen und Instrumentalisten des Das Rote Orchester unter François-Pierre Descamps sorgten für den geforderten musikalischen Revue-Mix. Diskursive Unterhaltung mit Mitteln der Gegenwart. Man sollte es gesehen haben, und bis Silvester bietet sich dazu Gelegenheit genug.

Seit 35 Jahren ein Fixpunkt

Als der damalige Musikdirektor der Stadt Wien und Musikchef der Wiener Staatsoper, Claudio Abbado, am 26. Oktober 1988 mit den Wiener Philharmonikern und dem Wiener Jeunesse-Chor im Musikverein das erste „Wien modern“-Festival eröffnete, waren nur wenige von einem Langzeiterfolg dieses mittlerweile zur Selbstverständlichkeit gewordenen Projekts überzeugt. Aber Wiens Publikum, selbst wenn Klischees zuweilen immer noch das Gegenteil transportieren wollen, ist seit jeher „moderner“, aufgeschlossener, als es oberflächliche Betrachter wahrnehmen wollen.

Längst gehört es zum guten Ton, wenigstens das eine oder andere „Wien modern“-Event zu besuchen. Wie oft hat man hierzulande auch schon die Möglichkeit, Terry Rileys 1964 in San Francisco vor bloß hundert Zuhörerinnen und Zuhörern uraufgeführtes Musikstück „In C“ mitzuerleben? Beim Abschlusskonzert von „Wien modern“ im Semperdepot ‒ korrekt: dem Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien – waren es ungleich mehr Besucherinnen und Besucher, die sich von den unterschiedlichen Klangwelten dieses längst Kultstatus erlangten Opus faszinieren ließen.

„‚In C‘ war für mich der Versuch, Demokratie in die Ensemblemusik zu bringen“, hat der Komponist als Anstoß für dieses Opus genannt. Ebenso wollte er damit die Tonalität wieder hoffähig machen. „In C“ basiert auf 53 um den Ton C kreisenden kurzen Motiven, die immer wieder wiederholt werden. Wie lange, welche, vor allem wie dichte Klanggewebe sich daraus ergeben, wie rhythmisch profiliert diese ausfallen, das alles entscheiden die Ausführenden. Wie viele es sind und auf welchem Instrumentarium sie dieses Werk, mit dem das Tor zur Minimal Music geöffnet wurde, realisieren, lässt Riley offen.

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