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Attacke gegen Taktstockstars

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Heiße Tage, hitzige Streitgespräche, höchste Nervenanspannung und immer wieder das Aufeinanderprallen von Primadonnenallüren, gekränkten Eitelkeiten-das kennzeichnete den vor kurzem zu Ende gegangenen Internationalen Opernsängerwettbewerb, der auf dem ehemaligen Landsitz des letzten Dogen von Venedig, in der Villa Manin bei Udine, vom Internationalen Vivaldi-Zentrum abgehalten ‘wurde. Junge Sänger scharten sich da um einen der berühmtesten Tenöre aller Zeiten, um Mario del Monaco, der 25 Teilnehmer für sein Seminar ausgewählt hatte und sie zur großen Sängerschlacht führte. Preise gab es allerdings nur in Höhe von umgerechnet 20.000,10.000 und 6000 Schilling.

Doch im Grunde ging es nicht um Geld, nicht so sehr um Preise. Da wollten junge Sänger, die zum Teil bereits im Engagement stehen, mit del Monaco arbeiten, vom ihm Wichtiges über ihre Partien erfahren, aber auch technische Details vorgezeigt bekommen. Eine Indianersquaw war da ebenso zu finden wie ein Sohn des berühmten Sängers Giuseppe Taddei, der junge Österreicher Andrea Martin, eine junge Sängerin von Covent Garden wie einer aus dem Wiener Opemstudio, der Bariton Rudolf Kostas.

Der erste Preis wurde allerdings geteilt, und zwar zwischen dem Rumänen Andrässy Gabor, der sich mit dem Monolog des Bqris den Sieg holte und wohl bald den Weg an die großen Opernhäuser antreten wird, und der Italienerin Sharon Marcovici. Wie man hört, soll diese Preisverteilung schon vorher so gut wie festgestanden sein…

Im allgemeinen schien mir das Ergebnis etwas mager: ein Mangel an großen schönen Stimmen, an ausgereif ter Technik, an Persönlichkeit. Da war kein junger Corelli oder del Monaco, keine junge Callas, Caballė oder Te- baldi zu entdecken. Und Mario del Monaco bestätigte diesen Gesamteindruck. Als ich ihn nach den Ursachen fragte, und ob jemand mitschuldig sei an der Verarmung der Sängerszene, wurde er polemisch: „Natürlich mangelt es akut an Talenten, aber auch das Verständnis für das Singen ist zurückgegangen!“ Del Monaco gibt vor allem den Dirigenten die Schuld: „Am Dirigentenpult stehen heute vorwiegend Primadonnen, Stars. Sie haben die Kapellmeister ersetzt und wollen nur noch sich selbst inszenieren. Aber dem Sänger, und vor allem dem jungen, geben sie keine Chance, sich richtig zu entwickeln, weil sie oft nicht einmal imstande sind, ihm eine Partie in allen ihren zahllosen Details, technisch und in der Deutung, zu erklären“. Und um deutlich zu werden, erklärte er einem italienischen Tenor alle wichtigen Ausdrucksmomente der Arie , luce- van le stelle“ aus „Tosca“, erklärte, wo und wie man die Stimme zurücknehmen muß, um den Ausdruck intensiver werden zu lassen, wie man strahlenden Glanz in der Stimme effektvoll steigert, wie man Momente der Resignation gestaltet. Und mit seinen 62 Jahren zeigt del Monaco sich von einer Brillanz, daß die jungen vor Neid erblassen könnten.

„Ich habe noch das Glück gehabt, mit wirklichen Sängern zusammenzuarbeiten, mit den größten. Das steigert die Leistung“, resümiert del Monaco. „Da entsteht Spannung im Kräftefeld zwischen den Persönlichkeiten. Das muß der Dirigent auch zu erzeugen verstehen. Denn der Sänger ist keine Marionette. Die menschliche Stimme ist der bestimmende Faktor. Und eine große Leistung kommt nur zustande, wenn physischer Zustand, Qualität der Stimme, die technische Sicherheit und eine ganz persönliche Art des Singens zusammenstimmen. Nur dann ist eine Karriere möglich!“

Del Monaco holt aber noch zu einem zweiten Hieb aus. Gegen die Regisseure, denen er noch ärgeres vorwirft als den Dirigenten. Vor allem, wenn sie den Kopf voll Inszenierungsspleens und vertrackten Ideen haben, die nur allesamt mit dem Werk, mit einer „Tosca“, einer ,JButteifly“, einem „Rigolet- to“, nichts zu tun haben. „Dabei können sie einem jungen Sänger oft nicht einmal erklären und vorzeigen, wie er eine kleine Situation meistern soll. Denn das großzügige Geschwätz über Kulturraum, Politik und Kommunikationsprobleme löst für einen unerfahrenen Sänger noch lange keine Detailfragen. Er muß verstehen, warum er etwas so spielen und wie er es stimmlich meistern soll. Aber wenn der Regisseur - wie heute viele - vom Gesang keine Ahnung hat und erst selber Grundbegriffe lernen muß …? Große Sänger können sich da wehren, aber was soll da noch ein Anfänger tun?“

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