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Blumen lieben Bücher

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Mein Kollege in der Firma, ein Blumenfreund erster Klasse, berät mich in allen einschlägigen Blumenfragen. Wo stell' ich sie hin, wie oft gieß' ich sie, wo schneide ich wann was weg, welchen Dünger nehme ich? Lauter Fragen, auf die mein Kollege immer eine Antwort weiß. Und trotzdem, meine Blumenzucht gedeiht nicht so, wie sie bei dieser fachkundigen Beratung gedeihen müßte.

„Redest Du auch mit Deinen Blumen?", fragte mich letzthin mein kollegialer Blumenexperte, als ich ihm meine Blumensorgen klagte.

„Ich bin doch nicht beklopft", gab ich ihm entrüstet zur Antwort.

Das habe nichts mit beklopft zu tun, klärte mich mein Kollege auf, vielmehr sind Blumen irgendwie auch nur so wie Menschen. Sie haben es gerne, wenn man ihnen nicht nur Nahrung gibt, auch eine kleine Plauderei tut ihnen recht gut.

Natürlich ist die Sprache der Blumen nicht vergleichbar mit jener der Menschen und auch für den Menschen nicht auf Anhieb verständlich. Aber mit ein bißchen Übung legt sich das bald. Der Glanz der Blätter, die Farbe der Blüten, die Haltung des Stammes und der Wasserverbrauch -all das sind Sprach- und Sprechelemente der Blume, die auch der Blumenlaie bald entziffern kann. Seit ist das alles weiß, hab ich keine Scheu mehr, mit meinen Blumen zu sprechen.

Am Anfang wußte ich nicht so recht, was ich zu ihnen sagen sollte. Ich versuchte es mit: Wie geht's? Gut geschlafen heute? Ein Sauwetter das, was?

Allmählich kam ich darauf, daß

Blumen gesprächsmäßig durchaus anspruchsvoller sind, als man gemeinhin so vermuten könnte.

Also versuchte ich es mit kleinen Geschichten aus dem Alltag, mit Witzen und mit romantischen Landschaftsbeschreibungen ä la Adalbert Stifter.

Das gefiehl ihnen zusehends besser. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, so ganz zufrieden sind sie immer noch nicht mit meinem Gesprächsniveau. Also ging ich in die Offensive, nahm aus meinem Bücherschrank einen Band Schopenhauer und begann vorzulesen.

Und siehe da, auf einmal hatte ich das Gefühl, sie blühen richtig auf, meine Blumen. Und je mehr ich las, desto mehr glänzten ihre Blätter, die Blüten hoben ihre Köpfe, und der Stamm richtete sich kerzengerade auf. Es war, als verstünden sie alles, was ich sagte.

Blumen lieben die Philosophie, davon bin ich seither fest überzeugt. Und mir, mir tuts auch ganz gut, meine verstaubten Philosophien im Bücherregal wieder einmal ein bißchen zu entstauben.

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