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Digital In Arbeit

Der Wunschkandidat

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Fritz Berger, Oberberater im Kommunikationszentrum für Qua- lifikationsvermittlung, früher schlicht Arbeitsamt genannt, war müde. Kein Wunder bei diesem Andrang. „Der Nächste, bitte!" preßte er durch schmale Lippen, die lieber breit gegähnt hätten. Ein Nächster trat vor und präsentierte mit handschuhbekleideter Schmal- hand seine Visitenkarte: „Guten Tag, Herr Amtsrat." Amtsrat Ber- ger bekam wie stets in solchen Gelegenheiten den Kopf nicht hoch: „Sind Sie die Nummer 2001 aus 3 in 90?" - „Nein, bitte um Entschuldi- gung, ich bin Dr. Franz Georg Stei- ner, wie es auch auf meiner Karte steht." Berger zogsichinsich selbst zurück. Der elegante Kerl da war ihm in bereits höherem Grade ver- dächtig. Was will der hier bloß - und promoviert ist er auch. Wieso sieht der nicht verbittert aus oder arrogant oder verschämt oder sonst- wie - normal?

„Na, dann werden wir erst ein- mal Ihre persönlichen Daten auf- nehmen. Bitte, antworten Sie mir nach bestem Wissen und Gewissen. Wissentlich falsche Angaben kön- nen ein gerichtliches Nachspiel haben." Das arbeitsamtliche Ver- hörbegann. „Name und Anschrift?" - „Bitte, hier auf meiner Karte. Der Straßenname ist etwas kompli- ziert." - „Telefon?" - „Selbstver- ständlich. Hier unter meiner Adres- se." Berger übertrug das fein Ge- druckte Fingerdruck für Finger- druck in den Vordruck. „Alter?" - „Achtunddreißig." - „Familien- stand?" - „Geschieden, betrübli- cherweise, aber ohne eigenes Ver- schulden." - „Kinder?" - „Keine. Wir hätten gerne welche gehabt, aber es..." Amtsrat Berger vertipp- te sich ungeduldig und barschte seinen Gesprächspartner an: „Wenn Sie sich bitte auf das jeweils Nötig- ste beschränken wollen! - „Aber gewiß doch, Herr Amtsrat." Die familiäre Situation wäre gar nicht so übel, registrierte der Arbeits- amtsrat, dessen Vermittlerherz heftiger zu schlagen anfing, aber der Haken kommt noch, bestimmt! „Schulbildung?" - „Volksschule im Kloster, öffentliches Realgymna- sium." - „Matura?" - „Mit Aus- zeichnung." - „Hochschulbildung?" - „Rechtswissenschaft an der Uni- versität.. ." Aha, da haben wir's: ein arbeitsloser Jurist, triumphierte stumm Fritz Berger, doch der Besu- cher setzte gnadenlos fort: „... an der Universität Wien, dort auch Wirtschaftswissenschaften - Be- triebswirtschaftslehre selbstver- ständlich! " - „Abschlüsse?" - „Doktorat und Magister."

Wo ist der Haken, wo ist der Haken, bohrte es in Fritz Berger. „Weitere akademische Ausbil- dung?" - „Gewiß, Studien an meh- reren ausländischen Universitäten und schließlich Habilitation." Na Gott sei Dank, erleichterte sich der Arbeitsamtsrat, ein Theoretiker, ein unvermittelbarer Wissenschaftler!

„Sprachkenntnisse?" - „Englisch, Französisch und Spanisch perfekt in Wort und Schrift, Arabisch und Russisch zur Verständigung." Mühsam drückte Fritz Berger ein „Besondere Kenntnisse?" hervor. Die Antwort kam bestimmt, rasch und freundlich: „Theoretische und praktische Kenntnisse in Unterneh- mensorganisationen und Projekt- planung, in der Elektronischen Datenverarbeitung und in Opera- tions Research." - Aber eine prak- tische Berufsausbildung haben Sie nicht vorzuweisen, nicht wahr?" Die Frage geriet zur flehentlichen Bit- te. „Aber gewiß doch: ich habe eine abgeschlossene Lehre als Werk- zeugmacher und als Bankkauf- mann!" Das kann doch alles nicht wahr sein, verzweifelte der wacke- re Vermittler. „Berufspraxis?" - „Vier Jahre im Inland, vier Jahre im Ausland, immer bei Firmen des gleichen Konzerns." „Managemen- terfahrung?" - „Als Abteilungslei- ter und Hauptabteilungsleiter mit bis zu fünfzehn Mitarbeitern." - „Gesundheit?"-„Absolut einwand- frei." - „Sport?" - „Dauerläufer." - „Erbschäden in der Familie?" - „ Gesundheitsattest bis ins 17. Jahr- hundert." - „Politische Einstel- lung?" - „Entschieden verfassungs- treu!" - „Grund der Arbeitslosig- keit?" - „Ich bin selbstverständlich in ungekündigter Stellung!"

Bergers Kinn touchierte hörbar den Schreibtischrand. Verzweifelt röchelt er: „Wer sind Sie eigentlich, Sie Quälgeist?". Freundlich be- stimmt und kühl kam die Antwort: „Ich bin der Arbeitssuchende, den Du immer schon vermitteln woll- test!" Sodann blies er sich auf wie ein Luftballon und zerplatzte mit einem lauten Knall.

Fritz Berger erwachte, rieb sich verlegen die Augen und rief mit zunehmender Festigkeit in der Stimme: „Der Nächste, bitte! Die Nummer 2002 aus 3 in 90! Aber rasch, wenn ich bitten darf."

Der Beratungsalltag hatte ihn wieder.

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