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„Ehrlich tun“ am Hundstein

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Zum ältesten und beliebtesten bäuerlichen Brauchtumssport in den Alpen gehört seit jeher das Kräftemessen der Jugend beim Ranggeln, früher auch „Hosenröcken“ genannt. Ein Wettkampf im Recken und Ringen, bei dem sich die Gewandtheit, Unerschrockenheit und Geistesgegenwart des Älplers am deutlichsten manifestierten. Das Ranggeln war und blieb fest mit dem traditionellen Jahreslauf des Brauchtums verbunden. Zu gewissen Terminen, zwischen Mai und Oktober, insbesondere um den 2. Juli (Maria Heimsuchung), 25. Juli (Jakobitag) und 24. August (Bartholomäustag), finden sich noch heute die stärksten Burschen zu solchen Ringerfesten zusammen.

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Zum ältesten und beliebtesten bäuerlichen Brauchtumssport in den Alpen gehört seit jeher das Kräftemessen der Jugend beim Ranggeln, früher auch „Hosenröcken“ genannt. Ein Wettkampf im Recken und Ringen, bei dem sich die Gewandtheit, Unerschrockenheit und Geistesgegenwart des Älplers am deutlichsten manifestierten. Das Ranggeln war und blieb fest mit dem traditionellen Jahreslauf des Brauchtums verbunden. Zu gewissen Terminen, zwischen Mai und Oktober, insbesondere um den 2. Juli (Maria Heimsuchung), 25. Juli (Jakobitag) und 24. August (Bartholomäustag), finden sich noch heute die stärksten Burschen zu solchen Ringerfesten zusammen.

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Geranggelt wird stets auf den gleichen, seit Jahrhunderten hiezu erkorenen Almen und Bergen des Salzburger Landes, in Tirol, in Südtirol, in Bayern und in der Schweiz. Zu den berühmtesten und bekanntesten Austragungsorten dieses bäuerlichen Sports im österreichischen Teil der Alpen zählen noch heute der Hohe Hundstein (Pinzgau), der Joohberg (Tirol), Zell am Ziller (Tirol), Ramsau (Steiermark), Sirnitz (Kärnten) und Kremsbrücken (Kärnten).

Die Anfänge des alpenländischen Ranggelns oder „Hosenröckens“, in der Schweiz „Schwingen“ genannt, dürften wohl in den klassischen Ringkämpfen der Griechen und Römer eine Parallele finden.

In seinen wesentlichen Merkmalen stimmt das Ranggeln aber überraschend mit der nordischen Ringform, der Glima, überein. Glima ist ein sehr alter isländischer Ringkampf, bei dem sich die Gegner am Gürtel fassen und gegenseitig zu Fall zu bringen suchen; er läßt sich bis in die Wikingerzeit zurückverfolgen. Auch das schwedische „Hosenringen“ zählt zur bis heute erhaltenen nordischen Ringform.

Das alljährlich im Salzburgischen, am Hohen Hundstein in 2117 Meter Höhe stattfindende Ranggeln ist das größte bäuerliche Ringer-Sportfest, das sich seit rund fünfhundert Jahren in fortlaufender Tradition erhalten hat. Bereits 1518 wird das „Hosenröcken“ auf dem Berg Hundstein erwähnt. Der Begriff „Hosenröcken“, der sich auf die kurze Lederhose bezog, in der früher geranggelt wurde, ist inzwischen in Vergessenheit geraten. Heute steht hiefür die Bezeichnung „hundstoanarisch gschmis-sen“, die sich auf den Aushubwurf dieses „Hosenröckens“ bezieht; nämlich den Gegner vom Stand zu heben und wehrunfähig zu machen.

Das „Hagmoarranggeln“ auf dem

Hohen Hundstein findet alljährlich in der Zeit der Erntefeier und Bergmahd, genauer am Jakobifesttag, den 25. Juli, meistens aber am Sonntag danach statt. Jakobus ist der christliche Heilige, der offensichtlich an die Stelle einer einst heidnischen Wetter-, Ernte- und Hirtengottheit getreten ist, zu deren Ehre und unter deren Schutz man früher in den Alpen den Erntebeginn mit kultischen Tänzen und verschiedenen Kraft- und Kampfspielen einzuleiten pflegte.

Der Hohe Hundstein zählt zu den wenigen, seltenen Bergen der Alpen, deren Gipfel, obwohl weit über 2000 Meter liegend, nicht felsig sind, sondern eine geschlossene Grasdecke aufweisen. Dicht unterhalb des Gipfels breitet sich eine große grasbewachsene Mulde aus, in der die Kampfspiele ausgetragen werden, von deren Hängen die Zuschauer bequem den Verlauf der Kämpfe verfolgen können.

In den frühen Morgenstunden des Jakobifesttages wird es um den Hohen Hundstein seltsam lebendig. Viele kleine und große Gruppen von Wanderern, von allen Himmelsrichtungen kommend, aus Saalfelden, Zell am See, Taxenbach und Dienten, wandern den Berg hinauf. Gegen 10 Uhr haben dann bereits alle, Ranggier wie Zuschauer, den Gipfel erreicht und sich unterhalb der Berghütte (Statzerhaus) auf den Hängen des Naturkessels breitgemacht.

Seit 1948 hat sich der Brauch eingebürgert, vor den Kämpfen als Morgenfeier des Jakobifesttages eine Bergmesse zu feiern, die der De-chant von Taxenbach — da dieser Berg zum Taxenbacher Pfarrevier gehört — zelebriert. Nach der Bergmesse wird in der Mulde, in der die Kämpfe nun stattfinden sollen, ein Tisch aufgestellt, an dem die Kampfrichter ihres Amtes walten werden. Diese Kampfrichter sind alle alte „Hagmoare“, die sich durch Jahre auf dem Hundstein Preise erkämpften und selbst viel Erfahrung im Ranggelsport sammeln konnten. Kurz vor Beginn des Preisrangeins tritt ein Mann mit einer Peitsche in die Mitte des Platzes und beginnt, sie hoch über den Köpfen der auf den Kampfplatz eingeströmten Zuschauermenge zu schwingen. Dann läßt er allmählich die Peitsche tiefer sinken und erreicht damit, daß die Kampffläche im Nu frei wird.

Zuerst wird die Jugend zwischen 12 und 18 Jahren antreten, nachher die Ranggier „von Ruf“. Die Ranggier (oft kommen hier 60 und mehr zusammen), bekleidet mit einer groben Hose und einem rupfenen Hemd, sind barfuß oder in Strümpfen. Bald werden sie von den Kampfrichtern paarweise zum Kampf aufgerufen. Jedes Paar darf 6 Minuten ranggeln; nach der fünften Minute ertönt ein Pfiff des Richters, welcher an die bald ablaufende Kampfzeit mahnt. In diesen sechs Minuten muß jeder Kampf entschieden werden.

Jeder Kämpfer versucht, den anderen am Hemd oder der Hose zu packen; es fängt ein Ziehen, Zerren, Rücken und Drücken an, um den Gegner — egal wie — zu Fall zu bringen und ihn auf den Boden zu werfen. Allerdings so, daß der Gefallene auf dem Rücken zu liegen kommt.

Beim Ranggeln geht es keinesfalls um die Anwendung der größtmöglichen Kraft, entscheidend und von größter Wirkung sind hier stets Gewandtheit, Schnelligkeit und List.

Die traditionellen Würfe heißen: der „Stierer“, der „Kreuzwerfer“ und der „Haken“. Beim „Stierer“ versucht man den Gegner stoßweise zu Fall zu bringen, beim „Kreuzwerfer“ verhelfen geschickte Verschlingungen der Arme zum Sieg, und beim „Haken“ unterstellt man dem Gegner den Fuß so, daß der beim Sturz auf den Rücken zu liegen kommt.

Gekämpft wird stets sehr fair; denn es geht nicht um Geld, sondern allein um die Ehre, „Hagmoar“ zu werden. Durch keinen Haß soll nachträglich die Entscheidung vermindert werden. „Hagmoar“ wird jener Kämpfer, der in drei Ringkämpfen, die er mit allen, die ihn dazu aufforderten, unternimmt, siegt und doch nie (oder höchstens nur einmal) zu Fall gekommen ist.

„Hundstoa-Hagmoar“ zu sein, heißt soviel, als der beste und flinkste Ranggier des ganzen Pinzgaues zu sein — ein Ehrenname, den dieser bis zum nächsten Jakobifest mit Stolz führen darf. Zum Zeichen seiner Würde trägt er drei mächtige, weiße, besonders schöne Hahnenfedern an seinem Hut.

Das alpenländische Ranggeln war und ist bis heute ein überaus ehrlicher und fairer Brauchtumssport geblieben. Jegliche Wehgriffe waren und sind streng verpönt. Aus der neuesten Geschichte des Hundstein-Ranggelns wäre noch zu vermerken, daß sich 1947 aus der alten Ranggler-gilde der Salzburger Rangglerver-band konstituierte, dessen Aufgabe es ist, die auftretenden Mängel bei unkontrollierten Veranstaltungen zu beheben und über die Reinheit dieser traditionellen alpenländischen Sportart zu wachen.

Die Wirtinnen vom Gipfelhaus (Statshaus) stifteten 1948 für den Steger die erste „Haigmoarfahne“ vom Hundstein. Seit 1969 gibt es auch Siegerplaketten für jede Altersklasse und Geldpreise wird es weiterhin keine geben: „Beim Ranggeln hat nie ein anderes Gsatz 'gölten, als Ehrlich tun.“

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