7080818-1993_35_08.jpg
Digital In Arbeit

Erlebnisse bei Wiener Spaziergängen mit Arie Rath

Werbung
Werbung
Werbung

„Ich bin das erste Mal seit 1938 so lange in Österreich”, sagt Arie Rath, „dreieinhalb Wochen”. Wir fahren die Währingerstraße hinunter. An seiner alten Schule vorbei, in der Wasa-gasse, in der nach dreijähriger Gymnasialzeit - wegen der guten Lage -ein NSDAP-Sitz eingerichtet wurde. Es gab damals Klassen mit Juden und NichtJuden. Der derzeitige Direktor begründet das mit der praktischen Regelung der Feiertage. Den ehemaligen Lehrern, vor allem dem Turnlehrer, ist es peinlich, davon zu hören. Arie hat darüber geschrieben. Der Judenbub Arie, der es bis zum Chefredakteur der Jerusalem Post „gebracht” hatte, war immer „der Ari”, sagt er, der nie mit seinem christlichen Namen Arnold gerufen worden war.

Wir stehen inmitten der Gräber am jüdischen Friedhof in der Seegasse. Daß wir hereingekommen sind, ist nur unserer Beharrlichkeit zu danken. Eine alte Dame hat uns schließlich die Klinke von innen niedergedrückt. Unser anhaltendes Läuten an der Klingel des Altersheimes wurde erst geflissentlich überhört, schließlich von einer ausländischen Angestellten zwar zur Kenntnis genommen, aber sein Begehr verweigert. Der junge Mann schließlich, der mit einem Schlüssel das Tor von außen geöffnet hatte, begegnete unserem Wunsch nach Einlaß mit jenem leeren Blick, mit dem meine Elterngeneration wohl die Abtransporte ihrer jüdischen Nachbarn ignorierten. Schauen, aber nicht wahrnehmen. Die

Gräber tragen Nummern, die einst Judaist Kurt Schubert draufgemalt haben soll. Bevor die Grabsteine aus vier Jahrhunderten in einem der beiden jüdischen Teile des Zentralfriedhofes eingegraben wurden und erst nach Ende des 1000jährigen Reiches wieder an ihren angestammten Platz in der Seegasse kamen. Dort, wo früher ein geriatri-sches Spital der jüdischen Gemeinde war. Da ist gleich jener Grabstein, der ähnlich einer Klippe auf seiner Spitze einen Karpfen trägt. Der Karpfen soll sterbend Sch'ma Israel gerufen haben, und als man in ihm die Stimme Gottes erkannt hatte, wurde er mit diesem Grab geehrt. Am hinteren Teil des Friedhofes, dort wo in die Wand die Fragmente von Steinen eingelassen sind, bleibt Arie stehen.

Der Tod der Mutter

„Siehst du die Veranda am gegenüberliegenden Haus?” Es ist das Haue Porzellangasse 50, das uns seine Hinterseite zeigt. Es ist sein Haus, „unsere Kinderveranda”, sagt Arie Rath, „dort haben wir gespielt mit Köchin und Kindermädchen”. Und die Mutter? Sie starb schon 1929. Wir Kinder, mein Bruder und ich, saßen damals im Beserlpark vor dem Franz-Josefs-Bahnhof. Die Köchin kam arg verweint an demTag, an dem die Mutter gestorben war. Uns sagte man es erst ein Jahr später. Wir sollten nicht wissen, daß die Mutter an Lungenkrebs gestorben war. Das Schweigen war im Wien dieser Zeit wohl alles beherrschend. Die Mutter und der Vater benutzten das Polnische, wenn wir

Kinder sie nicht verstehen sollten.

Wo blieb das Judentum in Eurer Familie? Jüdische Feste wurden gefeiert, zu seiner Initiation bekam Arie ein Fahrrad, damals etwas ganz Besonderes, ein Steyr-Waffenrad. Arie hat Hebräisch gelernt, aber nur oberflächlich. Er dachte nie, daß er es einmal sprechen würde. Daß es seine erste Sprache würde. Gefolgt von Englisch und erst dann Deutsch. „Deutsch ist meine dritte Sprache. Als wir in Palästina ankamen, haben wir von da an nicht mehr Deutsch gesprochen Mein Bruder und ich.”

Ein Land zum Bleiben

Arie Rath war 13jährig eines der Kinder, die auf einem Schiff von Triest aus nach Palästina kamen. Das Kinderheim, in das er dann kam, war im Jahr 1936 „mit Kind und Kegel” von Berlin übersiedelt. Bei vielen der Kinder sei später die Schizophrenie ausgebrochen. Arie Rath hat Jahre seines Lebens in einem Kibuzz verbracht. Die körperliche Arbeit hat ihm gutgetan. , Als mein Vater”, der es geschafft hatte, nach Dachau sich wieder eine Existenz in Amerika aufzubauen, „mich bat, ihm dahin zu folgen, habe ich abgelehnt: Ich will in kein Land, wo man mich wieder vertreibt.”

„Ich hatte einen nicht-jüdischen Freund. Als die Hitlerjugend die Fahrräder der Juden beschlagnahmte, sagte Walter zu mir: Ich nehme dein Fahrrad an mich. So kannst du sagen, es wurde bereits beschlagnahmt. Wenn du je auswandern kannst, bekommst du es von mir zurück. Er hat sein Wort gehalten. Als wir den Platz auf dem Transport bekamen, habe ich das Fahrrad schön eingepackt mitgenommen. Später war ich sehr froh, es zu haben.”

„1948 habe ich die Wohnung wieder besucht. Die Hausmeisterfamilie, die jetzt drin wohnte, öffnete uns. Die Frau weinte. Herr Rath, lassen Sie uns nur ein Zimmer. Wir sind ausgebombt worden. Ich habe ihr gesagt, daß ich keine Ansprüche stellen würde. Jetzt wohnt eine Psychoanalytikerin drinnen. Wir waren dort vor einigen Jahren einmal eingeladen. Zum Abendessen. Seltsam, in der eigenen Wohnung eingeladen zu werden. Ich habe die Eltern jenes Walter wieder besucht. Sie haben mir erzählt, daß ihr Walter in der Normandie gefallen sei. Und ich, der Judenbub, hab' überlebt. Da hab ich Mitleid gehabt mit dieser Frau.” Es fällt schwer, auf seine Tränen eine Antwort zu geben.

„In Wien wäre ich nichts geworden”, antwortet Arie auf die Frage, wie er all das überstanden hätte. Seine Heimat ist Israel. Was sagst du zum Krieg gegen die Hisbollah? Arie schweigt zuerst, führt statt dessen den Silberlöffel des alten Wiener Restaurants zum Mund und murmelt dann: „Die Reaktion Israels ist zuviel, zuviel und zu schwer.” „Wie haben Sie den Krieg überstanden”, fragt er den Besitzer, nachdem er für uns alle die Rechnung übernommen hat. No ja, wir haben ihn überstanden. Da gegenüber in der Gasse hat ein Herr Grün gewohnt, den hat meine Mutter den Krieg durch verpflegt. Da hat ihr eines Tages der Oberkellner gesagt, sie soll das aufhören, er zeige sie sonst an. Aber meine Mutter hat zum Herrn Grün gesagt: Kommen sie einfach, bevor der Oberkellner Dienst hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung