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Fröhlichkeit und Zeit des Abschieds

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Carl Zuckmayer schrieb über Henndorf, ich schreibe über Salzburg. In Salzburg über Salzburg, weil ich mein Hauptquartier wieder hier aufgeschlagen habe. Teils um „Jedermanns“ Sterben mitzuexekutieren, teils um im Landestheater ein Stück regielich ,zu betreuen, aber auch um mich wohl zu fühlen im nördlichen Rom. Ein Konzert in der Kollegienkirche, ein paar Bilder bei Welz oder Brenner, ein deftiges Essen beim Latschenwirt, vielleicht ein Stückl Fisch beim Schneckenwirt am Wallersee, oder gar ein Bad im Kurbad Vi-gaun.

Das ist eine Hetz! Kaum kommst hin, hängen sie Dir schon ein Plastikarmbandl ans Handgelenk. Gezeichnet wie ein römischer Sklave betrittst Du den Saunaraum. Für ein Bad im „heißen Becken“ (die Römer haben schon hier ihr Rheuma bebadet) mußt Du Dir ein unendlich blödes Bademützerl aufsetzen, so daß das Wandl, in dem Du strampelst, ausschaut, als wäre es von lauter Voll- oder mindestens Halbcre-tins bevölkert.

Jedoch in dem Landstrich — einst von Kelten besiedelt - ist manches kurios. Hallein feiert zur Freude der Feriengäste und zum Entzücken der Gastwirte „Keltenwochen“. Musikanten aus Irland sind aufgeboten, Seine irische Exzellenz, der Botschafter der Grünen Insel, greift beim „Keltenmahl“, das der Hohlwegwirt im Schloß Rif veranstaltet, höchstselbst zur Winsel, während der tüchtige Gastronom keltische Spezialitäten (Schwammerl, Beeren, Nudeln und Hirschragout) serviert. Angetan mit linne-nem Hemd und einem umgedrehten Motorradkappl flitzt er, begleitet von den Schönen der Salzstadt, servierend von Tisch zu Tisch.

Ob die alten Kelten sehr geschäftstüchtig waren, weiß ich nicht, die neuen sind es auf jeden Fall. Der Rubel rollt zum Preis von einer Mark zu 6 Schilling 80, während der offizielle Bankkurs 6 Schilling 93 beträgt. Sollen's halt wechseln, die Gäste aus Ost-, Süd-, Nord- und Westfalen. Aber diese sind eitel: „Ich zahle in deutscher Währung, ja?“ Aber bitte sehr, danke schön, warum denn nicht - 6 Schilling 80: eine Mark.

Der Schloßwirt in Anif, ein bürgerlicher Graf, bietet „Bochane Ochsenschoaß“ an, und die Gäste bestellen schon aus Neugier. Stinkerknödel kennt man, aber beim Palatschinken sucht jeder zweite das Fleisch, den Schinken. Heinz Zednik bestellt prinzipiell — wenn er abends nicht zu singen hat — einen „Emperor nonsens“. Kaiser-schmarrn klingt ihm zu wenig vornehm.

Sie denken jetzt, mein Gott, ist das lustig in der Festspielstadt! Aber ich kann Sie beruhigen. Bei den Preisen, die die Spiele verlangen, vergeht gar manchem der Humor und die Lust anzureisen. Laut Spielplan kostet der teuerste Sitzplatz: Oper 3.000 Schilling, Orchesterkonzert 1.500 Schilling, Jedermann 1.000 Schilling, Schauspiel 1.200 Schilling, Ballett 2.500 Schilling.

Bißl teuer, net? Dafür sind die Steuern, die die Festspielkünstler bezahlen, den Eintrittspreisen ebenbürtig. Ungefähr 52 Prozent im Durchschnitt! Mahlzeit — reden wir lieber übers Essen, die gemütlichen Cafes (heuer schön besucht, aber nicht überfüllt, so wie ganz Salzburg übrigens), oder-ja reden wir über die Jagd!

Wieso Jagd? Also hören, respektive lesen Sie: Ein Freund, Chirurgus der 5-Stern-Klasse, besuchte mich in Salzburg. Wir sitzen im Tomaselli, so vor der Vorstellung des Brandauerschen Jedermann, und er erzählt: Ich weiß, sagt er, Du magst die Jagerei nicht, aber4 sie hat auch frohe Seiten. Da hat in B. ein kleiner Zirkus gastiert — irgendwo beim Wald. Ein Bär soll Radi fahren, aber er ist schon alt. Kann nicht mehr, dertritt das einfach nicht mehr. Der Zirkusdirektor holt den Jäger, der soll den Bären -weißt eh.

Aber der Jaga sagt: I kenn da an aus dem Norden, der steht auf Bären. Wir holen den her, setzen ihn auf den Hochstand, lassen oben im Hohlweg den Bären aus, der Gast knallt ihn ab, wir kassieren. Gesagt - getan.

Der Waidmann reist an, sitzt um sechs hoch droben, um sieben las-sen's den Meister Petz oben aus. In der Mitt'n vom Weg kommt der Briefträger auf an Radi daher. Sieht d,en Bären, haut das Radi weg und hupft ins Gebüsch. Der Bär schnappt das Fahrrad, sitzt auf und - kannst Dir vorstellen, wie der Sonntagsjäger g'schaut hat, wie der Bär am Radi daherkommt. Augen hat er g'macht wie a Autobus, aber g'schossen hat er net. Nachher ham s' ihm alles erzählt, und der Herr hat g'lacht und dem Bären eine Pension ausg'setzt.

Jägerlatein? Vielleicht. Aber amüsant.

Und solche Fröhlichkeit braucht man, will man, ohne an Geist und Seele zu leiden, Sonntag für Sonntag das „Spiel vom reichen Mann“ durchstehen. Ich habe dabei den Vorteil, daß ich nicht für 1.000 Schilling unten sitzen muß, sondern auf der Riesen-pawlatschen stehen kann und noch was dafür krieg.

Aber nun wird es bald wieder ruhiger an der Salzach. Die Stadt gehört bald wieder ihren Bürgern, und wir, die wir als Fremdarbeiter hier werken, genießen die langsam einziehende Ruhe mit ihnen.

Einsam weht die Fahne von der Festung, die Stadt atmet erleichtert auf. Noch rollt im Casino die Mozartkugel, noch ist der Wald nicht ganz gelb. Da eine kleine Gruppe Japaner, dort ein paar Italiener, im Bazar dampft der „Türkische“, die Salzach fließt entspannt. Die Seen kühlen aus, die Öfen freuen sich aufs erste Herbstfeuer.

Übrigens, im Festspielhaus arbeiten sie schon für 1990!

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