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G. S.

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Lieber György - ich sitze in meiner Garderobe im Burg­theater, habe Deinen Roman „Albino" auf den Knien, das einzige, was von Dir greifbar war für mich, als die Nachricht von Deinem Tod kam. Ich las. die Widmung, die Du mir in das Buch geschrieben hast, mit Deiner kleinwinzigen Hand­schrift in so schöner Anord­nung der Zeilen, das Datum fast unleserlich klein, es ist ein paar Jahre her, aber das ist nicht wichtig. „In Freundschaft und Kumpanei..."

So etwas wie Kumpane wa­ren wir eine Zeit lang, in aus­gedehnten Gesprächen, über den Donauraum, über Öster­reich, über das Schreiben. Ich kann mich an längere Stadt­wanderungen erinnern, eigent­lich wollte jeder von uns woan­ders hin, ein paar Straßen lang begleiteten wir einander dann, lange. Auf einer von diesen Wanderungen hast Du mich für die „Furche" engagiert, der letzte gemeinsame Abend fand an einem herrlichen alten Holz­tisch bei gemeinsamen Freun­den statt, da warst Du schon durchsichtig, bestandest fast nur mehr aus riesigen Augen. Dein Handkuß für die Damen war formvollendet wie immer.

„Ich war viel unterwegs. Ich bewegte mich, als hätte ich Luft in den Knochen. Ich lag unter einem Nußbaum. Aber es war nicht immer ein Nußbaum, sondern Holunder hinter der Garküche einer Zigeunerin, eine Trauerweide am lehmigen Abhang des Überschwem­mungsgebietes oder ein wildes, riesiges Dornengebüsch am Rand eines Ackers. Ich durch­streifte die nächtlichen Bu­chenwälder und stand manch­mal vor der aus Steinquadern errichteten Mauer eines Schloßparks, die im Mondlicht wie von Eis überkrustet glänz­te." Aus „Albino", Kap. 3.

Ich erinnere mich an ein kariertes Tischtuch zwischen uns, ich fuhr ununterbrochen mit dem Fingernagel die blau­en und roten Webfäden ent­lang, als wir über Flüchtlinge und Grenzen sprachen, bis es Dir zuviel wurde und Du mir die Hand auf die wandernden Finger legtest, nicht aufregen, sagtest du, es ist ja meine Ge­schichte.

Viel und Schönes hat man Dir nachgerufen, György (er­innerst Du Dich, wie wir ein­mal zu fünft die Aussprache Deines Vornamens übten, bis Du es erstaunt aufgabst?), viel Weises, Richtiges und Zartes. Dein Lachen haben sie be­schworen und Dein Staunen­können. Ich denke an den wärmenden Bratschenunter-ton des Ungarischen in Dei­nem Sprechen, der Deiner zweiten Muttersprache ein sanfter basso continuo war und der uns so oft an ein irgendwo stattfindendes Fest denken machte, an ein heimliches, rauschhaftes, eines volter Träu­me und ohne Sperrstunde.

Dessen nachdenklicher, wit­ziger, großzügiger Gastgeber du warst.

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