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Gebet aus Beton

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Die lebhafte Bautätigkeit in Belgrad scheint in Widerspruch zur Wirtschaftskrise im Lande zu stehen. Zwischen dem Hotel „Interkontinental“ und dem Zentralkomitee der Partei in Neu-Belgrad soll das Hochhaus der Firma „ugopetrol“ mit 18.000 Quadratmetern Bürofläche entstehen, ohne Rücksicht darauf, daß neue administrative Bauten verboten sind. Auf dem Platz der Republik im Zentrum wird das 1868 errichtete Nationaltheater renoviert. Der Flügel für Garderoben und Büros wurde sogar abgerissen und wird ganz neu hochgezogen.

Am anderen Ende des alten Stadtkerns, auf dem Wratschar genannten Plateau, ist von überall her die Silhouette einer gewal-

tigen Kirche zu erkennen, die dem heiligen Sawa geweiht werden soll.

Der heilige Sawa, eigentlich Prinz Rastko Nemanjic (1174 bis 1235), ist der Schutzheilige der Serben, er gilt als erster serbischer Erzbischof, Diplomat, Schriftsteller und Schulgründer, und hat die Selbständigkeit der serbischen gegenüber der griechisch-orthodoxen Kirche durchgesetzt. Der Bau seiner Kirche in der Hauptstadt wurde 1895 beschlossen, aber damals reichten die Mittel nur für eine bescheidene Kapelle. Im Jahr 1935 wurden die Fundamente für ein großes Gotteshaus gelegt, dann aber kam der Krieg, und nach 1945 konnte von Gotteshäusern keine Rede sein. Seit 1986 wird nun aber der Bau fortgesetzt mit dem Ziel, eine Kirche der Superlative zu bauen.

Der Grundriß bildet ein byzan-; tinisches Kreuz, 91 mal 81 Meter groß. Die freie Höhe der zentralen Kuppel wird 70 Meter betragen, darüber kommt noch ein zehn Meter hohes Kreuz. Mehr als 12.000 Gläubige werden an der Andacht teilnehmen können. Um den mittleren Teil erheben sich drei Galerien. Die niedrigste ist für einen Chor von 400 Sängern vorgesehen, die dritte, auf 40 Meter Höhe mit vier in den Tragpfeilern eingebauten Aufzügen zu erreichen, wird einen herrlichen Ausblick auch nach außen über die Stadt bieten. In vier Glockentürmen werden 28 Glocken die Belgrader zum Gebet rufen.

Die kritische Phase des Baus hat schon begonnen. Der erste, 30 Meter breite und vier Tonnen schwere Bogen, auf dem Boden aus Beton gegossen, wurde mit ei-

ner hydraulischen Anlage auf die endgültige Höhe von 40 Metern gehoben, was nur 30 Stunden dauerte. Die Glanzleistung soll jedoch im Mai 1989 vollbracht werden. Dann wird die große Kuppel, die auf einer Ellipse von 30 mal 35 Metern beruht und 27 Meter hoch, 4.000 Tonnen schwer sein wird, in die Höhe gehoben werden.

Die Fertigstellung der Projekte, die fachliche Aufsicht auf der Baustelle und die Kontrolle seitens des Bauherrn, also der serbischen orthodoxen Kirche, liegen in den Händen des Architekturprofessors Branko Pesic. Auch ei-

ne Akustik — aufgrund alter byzantinischer Vorbilder mit 400 trichterartigen Öffnungen in den Mauern — meint er garantieren zu können, sodaß man Chor und gute Sänger ohne künstliche Behelfe im Riesenraum hören wird. Nur ältere Priester mit schwächlicher Stimme sollen moderne drahtlose Mikrophone als Tonverstärker bekommen.

Im Büro von Branko Pesic sind zur Zeit Marmorproben zu sehen. Wahrscheinlich wird man einheimische Sorten in Hellgrau und Weiß aus Serbien (Vencac) und Makedonien (Prilep) benützen,

um die Betonmauern zu verkleiden. Die Ausschmückung der Wände erweist sich allerdings als viel schwierigeres Problem.

Schon als neue Fresken für eine kleine Belgrader Kirche, die dem heiligen Konstantin und der heiligen Helene geweiht sind, bestellt wurden, kam es zum Streit unter den Kirchenfürsten. Der surrealistische Maler Milic von Macva wich von den strengen alten Vorschriften ab. Einige Kirchenfürsten nannten sein Werk gottlos. Lange dauerte es, bis ein Kompromiß gefunden wurde. Der Künstler veränderte einiges, mußte sein eingemaltes Autopor-trait entfernen und endlich weihte am 12. Mai dieses Jahres der greise Patriarch German persönlich die Fresken ein.

Branko Pesic erzählt, daß er jetzt die Flächen für die Ausschmückung der Riesenkirche berechnet. Da man mit Fresken auf Beton keine guten Erfahrungen hat, sollen Mosaike ausgelegt werden.

„Werden nur Theologen in der Kommission sein, die die Themen bestimmt, oder auch Künstler?“ fragen wir den Architekten.

„Hoffentlich auch Kunsthistoriker und Künstler.“

„Soll es dann einen offenen Wettbewerb geben?“

„Nein, die Kommission wird Aufträge an bestimmte Künstler erteilen.“

„Werden nur einheimische Künstler zum Zuge kommen, oder denkt man auch an ausländische Meister?“

„Jedenfalls müssen die Künstler religiöse Menschen sein“, meint der Architekt. „Nur ein religiöser Mensch kann die wahre Inspiration haben.“

Daß Gläubige im Vorteil vor Atheisten sind, ist in Jugoslawien sonst nicht denkbar.

Die Kirche des heiligen Sawa, die 15 Millionen Dollar kosten soll, wird ausschließlich durch Spenden finanziert. Schon jetzt pilgern an jedem Wochenende viele Tausende von Neugierigen zur Baustelle. Manchmal werden da schon unter freiem Himmel Gottesdienste abgehalten. Einige Katholiken, Mohammedaner und Atheisten sehen in dem Bau der Kirche des heiligen Sawa auch einen starken Ausdruck des serbischen Nationalgefühls oder sogar Nationalismus.

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