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Im Ertragen freudig sein

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Ein Spruch aus dem Kirchenlatein sagt: Ex umbris et ima-ginibus ad veritatum - aus dem Dunkel und den Bildern zur Wahrheit. Aus dem Dunkel der Bilder zur Wahrheit, kann man ergänzen, nämlich aus der Schwerverständlichkeit der Gleichnisse muß man sich zur Einsicht des Glaubens durchkämpfen. Man kann die Lehre nicht einfach wörtlich nehmen, man muß nach ihrem Sinn forschen, man muß manches abstrahieren, weil jeder Vergleich auch inkompatible Elemente hat, die nicht zu seiner Aussage gehören. So ist dieser Satz wohl gemeint, aber er hat einen anderen, noch eingänglicheren Sinn. Aus dem Schatten und unter den Bildern findet man zur Wahrheit hin: Man braucht Zurückgezogenheit und die Hilfe der Bilder, um sich zu sammeln.

Und da nun letztlich aus dem Dunkel das Helle hervortritt, wir wissen es doch, so hat der Satz noch einen letzten Sinn: daß man das Dunkel einbeziehen muß. Und um es zu ertragen, ist manche Übung nützlich. Ganz alltägliche, geradezu banalste Übungen zum Beispiel:

Man kann sich vornehmen, bei allen kleinen Entscheidungen immer das zu wählen, was beschwerlicher erscheint. Man geht eine Treppe hinauf, stöhnt ein wenig dabei, weil sie kein Ende nimmt. Wie wäre es aber, wenn man statt einer Stufe jetzt immer zwei nehmen würde? Es wäre noch etwas schwerer, nicht wahr, aber es wäre immerhin möglich, und man wäre schneller oben. Zudem würde man sich im Ertragen üben. Oder man hat zwischen zwei Getränken zu entscheiden, ein Glas Wein wäre eigentlich sympathischer als die auch zur Verfügimg stehende Limonade; her damit, es ist das anspruchslosere Getränk. Oder man möchte aus purer Lässigkeit kein Halstuch nehmen, das muß man erst aus dem Schrank holen, und überhaupt ist es lästig: Her damit, es soll uns in der Tugend üben!

Das sind Kleinigkeiten, gewiß keine Leitersprossen auf dem Weg zum Himmel. Aber es tut gut, man lernt sich fügen, sich überwinden, lernt das Dunkle und gelangt damit ins Hellere. Es sollen keine großen

Taten sein, ganz und gar nicht.

Was erreicht man damit? Scheinbar wenig. Doch stellt sich heraus, daß das Unangemessene oder weniger Angenehme gar nicht so unangenehm ist. Man lernt Ertragen und im Ertragen freudig sein. Auch schärft sich auf geheimnisvolle

Weise im Verzicht die Fähigkeit zum Genießen. Man wird subtilere Wirkungen verspüren, man wird dankbar sein.

Aber nicht nur deswegen wird das empfohlen, nicht der differenzierten Gaben wegen, sondern zur Übung für Schweres. Man muß sich immer bewußt sein, daß man aus dem Dunkel kommt, und daß nur aus dem Dunkel das Helle aufsteigt. Weshalb also das Dunkel negieren? Ihm ins Auge sehen ist besser. Und wer an eine höhere Fügung glaubt, der wird seinem Schöpfer dankbar sein, wenn er ihn prüft, weil damit gesagt ist, daß jener ihn der Prüfung würdig hält.

Das alles klingt aber sehr weitabgewandt. Es gibt Religionen, die sich darin erschöpfen. Nicht die wahre: sie ist offen, weltoffen, freudebereit. Sie will keine Kopfhänger haben, sondern Menschen, die Zeugnis geben für die Schönheit der Welt. Man muß kein Muk-ker sein. Es wäre lästerlich, den Duft der Narzissen zu überschlagen, die herrliche Sonnenglut im Wein einfach hinunterzuspülen, die Farbskala des Sommers zu vernachlässigen, mit einem Wort: das Gute, was uns gegeben worden ist, lustlos entgegenzunehmen. Nein, man mag sich gewisse Lasten auferlegen, aber man ist geradezu verpflichtet, auch das Schöne der trotz allem herrlichen Welt zu würdigen, mit den Vögeln zu singen und mit den Herzen der Tauben in die Höhe zu flattern, den Duft des Waldes tief in die Lunge zu pumpen. Das Gewissen wird uns sagen, wie weit wir gehen dürfen. Aber es soll davon ausgehen, daß man sich freuen darf, daß die Welt nicht nur ein Jammertal ist, sondern noch den zarten Flügelstaub aus der Schmetterlingszeit des Paradieses an sich trägt.

Froh soll der Mensch sein. Er müßte eigentlich von früh bis spät lobsingen, daß er erwählt worden ist, diese herrliche Erde zu betreten, um hier unter jauchzenden Blumen und bei Tafelgenüssen, Augen- und Ohrenschmaus, die Prüfung abzulegen, zu der er berufen wurde.

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