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Intakt im Takt

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Vom lieben Gott bei der Zuteilung von Musikalität offensichtlich und hörbar übergangen, widerfuhr mir das (Un-)Glück, an eine durch und durch künstlerische Familie zu geraten.

Natürlich genoß ich im zarten Backfisch-, pardon Teenageralter den obligaten Klavierunterricht. Doch acht Jahre hinterließen nichts als ein immer stärker werdendes Mitgefühl für den alten Lehrer — wie hat der Ärmste das nur ausgehalten!

Jetzt habe ich selber Familie: meinem lieben Mann bedeuten Violinkonzerte besonderen Genuß. Den Sohn zieht von Bach bis Batik alles am Klavier in Bann und Töchterchen schwelgt in Syn-phonien. Das heißt, übertragen auf gemeinsame Abende, will ich nicht alleine daheim stricken, muß ich hin und wieder, auch ganz ohne inneres Bedürfnis, mit ins Konzert.

Bereits im Foyer durchziehen Ehrfurchtsschauer mein biederes Hirn, höre ich die jovialen Begrüßungsfloskeln des Abonnementpublikums. Erst im dunklen Saal fühle ich mich sicher.

Ich habe nur peinlich darauf zu achten, mit dem Applaudieren zu warten, bis auch wirklich das Ende da ist. So eine ganz lange Pause zwischen zwei Noten regt mich immer ungeheuer auf, muß ich doch annehmen, der arme Musiker hat den Faden verloren.

Aber nein: meist handelt es sich lediglich um die Ruhe vor dem "Sturm. Also warte ich stets geflissentlich, bis mindestens der halbe Saal trampelt und johlt.

Ehe ich mich dann endgültig von der allgemeinen Begeisterung mitreißen lasse, angeln meine beiden bestrumpften Füßchen noch schnell nach den abgestreiften Schuhen. Nicht auszudenken, sie im allgemeinen Aufbruch nicht mehr zu erwischen.

Ein weiteres „konzertantes" Problem, mit dem ich fallweise zu kämpfen habe, ist ein plötzlich auftretender Reizhusten. Immerhin habe ich bereits so viel Gefühl für die Satzfolgen entwickelt, daß ich bei zartem Piano jedes beginnende Kratzen tapfer hinunterwürge, selbst auf die Gefahr hin — besonders bei langsam genommenen Tempi —, mehr und mehr wie ein Paradeiser anzulaufen.

Bricht dann am Podium das Fortissimo los, versuche auch ich, meinem gequälten Rachen etwas freieren Lauf zu lassen, taktvoll im Takt natürlich. Ein nicht immer leichtes Unterfangen, von den Umsitzenden aber lediglich mit indignierten Blicken belohnt, die sie, sobald ich mich — tränenden Auges - Verzeihung heischend umschaue, mit einem Seufzer über so viel Banalität wieder in künstlerische Fernen schweifen lassen.

Für übermorgen bekommen wir von Freunden Karten für Luigi Nonos neuestes Werk. Ob ich dafür schon reif bin?

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