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Ist man so alt, wie man sich fühlt?

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Gestern früh saß ich fröstelnd und faltig in der fahlen Frühlingssonne auf der frostigen Hausbank und fühlte mich sehr alt. Ein freundlicher Nachbar meinte fachkundig: „Man ist immer so alt, wie man sich fühlt." „Na", dachte ich leicht erbittert", „da bin ich heute ja wohl mit Abstand die älteste Görtschitztalerin."

Bald aber siegte meine frühere Freude am Leben wieder und lächelnd dachte ich an meine vielen Altersschwankungen zurück. Fest steht, daß mein gefühlsmäßiges Alter fast nie mit dem im Taufschein vermerkten übereinstimmte.

Während meines ersten halben Jahrhunderts war mein Alter, von einigen Ausnahmen abgesehen, für mich kein Thema. Ich erinnere mich zwar vage, wie sehr es mich störte, wenn man mich immer wieder für jünger hielt, als ich war. Das gab sich beim Eintritt ins dritte Lebensjahrzehnt.

Sehr erwachsen und reif fühlte ich mich als Achtzehnjährige. Im und nach dem Krieg erhielt man nämlich mit 18 die Raucherkarte, für mich ein wertvolles Tauschobjekt.. (Ob unser forscher Gesundheitsminister nicht auf diese bewährte Einbremsung der Jungraucher zurückgreifen sollte? Mit 18 wären doch viele schon eher zum Gebrauch der Vernunft gelangt.)

Kurz vor Vollendung meines 20. Lebensjahres heiratete meine gleichaltrige Freundin. Sie war schon „unter der Haube" und ich hatte nicht einmal einen Freund! Torschlußpanik ergriff mich, ich fühlte mich uralt und unattraktiv. Gottlob heilten mich ein paar Verehrer wieder von dieser Psychose.

Nun aber kommt es immer öfter vor, daß ich in einer fröhlichen Runde die Älteste bin. Das hat manche Vorteile. Ich habe viel erlebt und überlebt, sah unsere Kinder und sehe nun mit großer Freude unsere Enkel her-

anwachsen. Ich kann Wichtiges besser von Belanglosem unterscheiden und weiß, daß man seine Zukunft zwar planen, sich aber nicht zuviel darum sorgen oder gar davor fürchten soll. „Sorgt, doch sorgt nicht zuviel, es kommt doch alles, wie Gott es will", mahnte uns schon als Kinder unsere weise Mutter.

Deshalb bin ich meistens ganz zufrieden mit meinem Alter, aber manchmal möchte ich doch noch jünger, leistungsfähiger, gesünder sein. Da würde ich ganz gern ein wenig Altersweisheit gegen einige Lebensjahre eintauschen.

Nun erlebe ich immer wieder, daß es weitgehend von mir abhängt, wie alt ich mich fühle.

Vor kurzem sah ich fröstelnd aus dem Fenster, alles grau in grau und

genauso fühlte ich mich auch: grau und alt und unnütz. Mühsam überredete ich mich zu einem Gang in den nahen Wald. Mit dem vorsichtigen Getrippel einer sehr alten Frau startete ich, wurde rasch flotter und marschierte schließlich leicht außer Atem die vertrauten Wege.

Ich sah so viel Schönes und Wissenswertes, das ich unbedingt den Enkeln zeigen möchte, daß mir die Zeit nur so verfliegt. Ums Dunkelwerden war ich, wohlig müde, wieder daheim, glücklich und dankbar, daß

Lich ein warmes Zuhause habe. Nach diesen zwei Stunden fühlte ich mich um zehn Jahre jünger.

Sicherlich können wir selbst viel dazu beitragen, daß wir uns nicht älter fühlen, als wir es tatsächlich sind. Sehroft aber liegt es auch an den lieben Nächsten, wie jung oder wie alt wir uns fühlen.

Nach einem erfolgreichen Tag betrat meine hübsche Schwägerin mit jugendlichem Schwung ein Handarbeitsgeschäft und ließ sich Verschiedenes zeigen. Da meinte die gedankenlose Verkäuferin, während sie ihr noch etwas vorlegte: „Vielleicht paßt das hier, das führen wir speziell für ältere Damen." Meiner Schwägerin gelang es zwar lachend zu sagen, daß sie doch noch nicht ganz so alt sei. Aber ihr fröhlicher Schwung war dahin und auf einmal bedrückten sie ihre 40 Lenze.

Nach Jahren traf ich eine nette, entfernt bekannte Frau. Auf das Kind an ihrer Hand deutend, sagte ich gedankenlos: „Was Sie für ein liebes Enkerl haben!" „Das ist unsere Jüngste", berichtigte mich die Mutter.

Diese meine Taktlosigkeit ließ allerdings mich mehr altern als die gute Frau.

Abschließend bemerkt: Eine Frau ist so alt, wie sie für den Mann aussieht, der sie gern ansieht.

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