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Keine Ruhe am Campus

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Ein klares Wort in der strittigen Frage, wie weit den Assistenten, Studenten und dem nichtwissenschaftlichen Personal eine Mitbestimmung an den Hochschulen eingeräumt werden soll, sprach das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Trotz des Urteils des Höchstgerichts ist aber alles andere als Ruhe an den Universitäten eingezogen. Aufgeschreckt durch die juristischen Richtlinien, fürchten Studenten, gesetzlich zugesprochene Rechte zu verlieren, Kultusverwaltungen sehen sich vor die unangenehme Aufgabe gestellt, ihre eigenen Gesetze wieder so zu ändern, daß sie dabei nicht das Gesicht verlieren, aber doch dem Karlsruher Urteil gemäß verfahren. Nur der heiße Sommer mit seinem die Lethargie fördernden Klima und die beginnenden Ferien verhindern gegenwärtig, daß der Streit an den Hochschulen neuerlich mit aller Heftigkeit dort wieder aufflammt, wo er bereits geschlichtet zu seih schien, nämlich in der Mitbestimmungsfrage.

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Ein klares Wort in der strittigen Frage, wie weit den Assistenten, Studenten und dem nichtwissenschaftlichen Personal eine Mitbestimmung an den Hochschulen eingeräumt werden soll, sprach das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Trotz des Urteils des Höchstgerichts ist aber alles andere als Ruhe an den Universitäten eingezogen. Aufgeschreckt durch die juristischen Richtlinien, fürchten Studenten, gesetzlich zugesprochene Rechte zu verlieren, Kultusverwaltungen sehen sich vor die unangenehme Aufgabe gestellt, ihre eigenen Gesetze wieder so zu ändern, daß sie dabei nicht das Gesicht verlieren, aber doch dem Karlsruher Urteil gemäß verfahren. Nur der heiße Sommer mit seinem die Lethargie fördernden Klima und die beginnenden Ferien verhindern gegenwärtig, daß der Streit an den Hochschulen neuerlich mit aller Heftigkeit dort wieder aufflammt, wo er bereits geschlichtet zu seih schien, nämlich in der Mitbestimmungsfrage.

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Auslösendes Moment für die Beschäftigung des Bundesverfassungsgerichts mit der Mitbestimmung an den Hochschulen war ein Gesetz des Bundeslandes Niedersachsen. Dieses bereits an mehreren Universitäten, unter ihnen die berühmte Göttinger Alma Mater, praktizierte Gesetz, gab Assistenten, Studenten und nichtwissenschaftlichem Personal in einigen Gremien der Universität die Mehrheit. Dies und die großzügige Fassung des Begriffs Hochschullehrer

— eigentlich wurde alles, was an Universitäten lehrt, dazu gerechnet

— veranlaßt« eine große Zahl von Universitätsprofessoren zur Klage beim Bundesverfassungsgericht.

Zwar versuchte der niedersächsische Kultusminister Professor Peter von Oertzen, Spitzenmann des linken Flügels der SPD, die Attacken gegen sein Gesetz herunterzuspielen und an den Universitäten wurde verfahren, als sei die Sache gelaufen: Das Gesetz wurde praktiziert. Da in anderen Bundesländern1 ähnliche oder sogar noch mehr'izttlMgunsten der Professoren wirkende Gesetze bereits länger in Kraft sind, schien dies legitim zu sein.

Das Bundesverfassungsgericht entschied freilich, daß das niedersächsische Gesetz und damit auch die Gesetze der anderen Bundesländer zu ändern seien. Zur Sicherstellung der Freiheit von Lehre und Forschung müsse den Professoren in allen Gremien, die über diese Fragen entscheiden, eine ausreichende Stimmenzahl eingeräumt werden. In Fragen der Lehre müßten die Hochschullehrer mindestens die Hälfte, in Fragen der Forschung die Mehrheit der Stimmen haben. Auch bei Berufungsverfahren müßten die Professoren in den zuständigen Gremien, dem Entscheid des Bundesverfassungsgerichts zufolge, die Mehrheit besitzen.

Dieses Urteil will jedoch keineswegs die alte Ordinarienherrlichkeit wiederherstellen, wie dies von linken Hochschülern sofort behauptet wurde. Ausdrücklich wird den Studenten, deren unzureichende Qualifizierung, über Fragen '3fer Forschung, Lehre und Berufung zu entscheiden, ausdrücklich erwähnt wird, ein Mitspracherecht eingeräumt. Da sie an all diesen Fragen von den Entscheidungen betroffen seien, müßte ihnen eine Mitwirkung sogar eingeräumt werden.

Ausdrücklich gegen eine Mitbestimmung wandte sich das Urteil des Höchstgerichts jedoch beim nichtwissenschaftlichen Personal. Damit wird zwar nicht generell das nichtwissenschaftliche Personal aus den Gremien der Hochschulen ausgeschlossen. Über Lehre, Forschung und Berufungen soll es aber nicht entscheiden. Dies trifft nicht zuletzt die Bremer Universität, die, als linke Musteruniversität konzipiert, konsequent die Drittelparität zwischen Lehrenden, Studenten und nichtwissenschaftlichem Personal in allen Gremien eingeführt hat.

Die Konsequenzen aus diesem Urteil zu ziehen, fällt jedoch den Betroffenen schwer. Die Landesregierungen wollen, besonders in dem den Streit auslösenden Niedersachsen, nicht eingestehen, daß sie Fehler begangen haben. Die Studenten wiederum sind nicht bereit, von einmal errungenen Positionen kampflos Abschied zu nehmen. Schon flammten an den neuralgischen Punkten die Proteste auf. In Hannover wurde gegen das „undemokratische“ Urteil und gegen jede Änderung des alten Hochschulgesetzes protestiert. In Berlin erfuhr das Chaos an der Universität neuerliche, nicht mehr für möglich gehaltene Verschärfungen. Bedenklich, wenn in einigen Äußerungen aus Studentenkreisen das mangelnde Verständnis für den Rechtsstaat mit der Bemerkung, das Urteil des Bundesver-fassungsgerdchtshofs sei „verfassungswidrig“, unter Bew-eiagstellt

Durch die studentischen Proteste wird die Lage der Landesregierungen und ihrer Kultusminister noch schwieriger. Jede Änderung der alten Gesetze bedeutet Konflikt. Hält man sich eng an das Urteil, so droht ein Skandal an den Hochschulen, versucht man durch juristische Tricks von der weitgehenden studentischen Mitbestimmung zu retten, was noch zu retten ist, so steht eine neue Klage der Universitätsprofessoren ins Haus.

Es charakterisiert Peter von Oertzen, der neben Jochen Steffen immer mehr zum Exponenten der SPD-Linken wird, daß er, dessen Hochschulpolitik schon bislang wenig Sinn für das Machbare bewies, auch jetzt noch einmal versucht, das Karlsruher Urteil zu unterlaufen. Der Druck, den noch weiter links von ihm stehende Genossen auf ihn ausüben, ist dabei nicht zu verkennen. Seine Politik, nun durch einen zwar juristisch genauer abgegrenzten, aber doch extensiv ausgelegten Begriff des „Hochschullehrers“ das Urteil zu unterlaufen, dürfte wenig Aussicht auf Dauererfolg haben. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte eindeutige Mehrheit der Professoren kann nicht dadurch verhindert werden, daß man Nicht-Professoren kurzerhand dieser Gruppe zurechnet.

Gleichgültig, wie die Landesregierungen entscheiden, der Konflikt auf dem Campus wurde neu angeheizt und wird nicht zur Ruhe kommen. Die bundesdeutschen Hochschulen befinden sich fast wieder dort, wo sie bei Ausbruch der Unruhen waren.

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