6797553-1971_17_13.jpg
Digital In Arbeit

Kurzprosa

Werbung
Werbung
Werbung

Lambach

Mein verehrter Führer im fernen, großen Berlin wird dem alten Pater Alois im Benediktinerstift Lambach verzeihen, wenn er eine Geschichte von damals erzählt.

Schön sind unsere alten Kloster- mauem und malerisch, von Efeu und Moos bewachsen. Doch sind sie nicht auch ein Schlupfwinkel für mancherlei Ungeziefer? Sie sind es, jeder, der hier zu Hause ist, weiß es. Was kriecht nicht doch an Getier, Ratten, Mäusen, Asseln, Käfern, Spinnen und weiß Gott was aus diesen Mauern. Selbst in der Kirche nistet manches, was gar nicht dahin gehört. Wir Patres sind, was die Vertilgung dieser unerwünschten Mitbewohner betrifft, etwas nachlässig, vielleicht durch Gewöhnung ein wenig träge geworden. Wir nehmen es kaum noch wahr, wenn irgendwo eine Ratte hervorlugt, ein kleines Mäuschen über den Paramenten- schrank hüpft oder sich eine Spinne von der Decke hängen läßt. Adi aber hat sich damit nicht abgefunden. Er war richtiggehend ein Eiferer gegen diese Unordnung, so daß wir ihn auch scherzhaft unseren „Frater Purificus” nannten. Und was hat er nicht mit kindlicher Hingabe gegen diesen Ubelstand alles unternommen! Vielerlei Fallen hat. er gespannt, Schlingen ausgelegt, gesprüht und Kohlengas in die Mauerlöcher geblasen. Wer könnte den Reichtum an Erfindungen und die Vielfalt seiner Einfälle und Ideen auf diesem Gebiete beschreiben! Er hat selbst Fällen konstruiert, deren ver- zweigter Mechanismus einen sehen verblüffen.mußtet. mit. kleinen Türen und Strickleitern, die von den Mäusen passiert werden mußten, kleinen Kanälen, die zu durchschwimmen, und Stäbchen, von denen zu hüpfen war, bis die Kreatur schließlich an ihrem Bestimmungsort, einem kleinen Behältnis mit Salzsäure, anlangte. Nie werde ich den Ausdruck von bubenhaftem Stolz in Adis Gesicht vergessen, wenn er zu mir sagte: ,Pater Alois, wir haben wieder was erwischt, langsam werden wir etwas sauberer.” Einmal aber sagte er zu mir: „Gelt, Pater Alois, dieses Ungeziefer hat eh nicht der liebe Gott erschaffen.” Da wußte ich aber fast nicht, was schnell antworten, und Adi hat mich auch recht ungläubig angeschaut, als ich davon sprach, daß es sich beim Bösen um eine Zulassung Gottes handle und um eine Heimsuchung. Gerade das Wort „Heimsuchung” habe ich benützt, weil Adi darauf sagte, ich erinnere mich daran, wie wenn es heute wäre: „Pater Alois, aber es ist dem lieben Gott sicher wohlgefällig, wenn wir diesen Heimsuchungen heimleuchten tun!” Da mußten wir uns beide aber schütteln vor Lachen.

Fischlham

In Fischlham nächst Lambach im Gau Oberdonau ging unser Führer Adolf Hitler zur Schule. Ich darf mich glücklich schätzen, zu jener Zeit daselbst Lehrer der einklassigen Volksschule gewesen zu sein und in dieser Eigenschaft unseren Führer unterrichtet zu haben. Wenn die Vorsehung mir unwürdigem Schulmeister einen Auftrag erteilt hat, dann kann es nur der gewesen sein, Adolf Hitler in die Anfangsgründe des Schreibens, Rechnens und Lesens einzuführen. Adolf war mein Begabtester in allen Fächern. Eine besondere Stärke Adolfs war das Rechnen, insbesondere das Subtrahieren, oder wie wir Lehrer der Monarchie es in unserer unwissenschaftlichen Ausdrucksweise nannten: das Abrechnen. So erinnere ich mich vor allem an eine ungemein schwierige Aufgabe, die ich meinen Kindern vorsetzte. Es galt, von der Zahl siebenmillionen- aehthundertsechstausendundeinhun- dertsieben fünf Millionen „abzurechnen”. Während Adolfs Mitschüler mit ihren zehn Fingern kaum das Auslangen fanden, um beim Hinüberwechseln von Posten zu Posten den Stellenwert zu bewahren, hob er schon seine schöne Hand, zum Zeichen, daß er die Endlösung bereits wußte. Es ist mit eine bleibende Erinnerung, wie er so dasaß, aufrecht und stramm. Adi? fragte ich. Und er sagte mir, bestimmt und entschieden, sein Ergebnis. Es stimmte, bis hinunter in die untersten Dezimalstellen.

Eine Leidenschaft Adolfs nachgerade war die Geographie. Fast täglich brachte er mir selbstgefertigte Landkarten, deren Großartigkeit einen schon in Erstaunen setzen mußte. Es waren nach Osten und Westen weit ausgreifende Kartenbilder. Sie mochten nicht in allen Einzelheiten mit der kleinstaatlichen europäischen Wirklichkeit übereinstimmen, aber dieser unerhebliche Mangel wurde durch einen Einfallsreichtum aufgewogen, der jeden begeistern mußte, der sich ein wenig die Unbeschwertheit der Jugend bewahrt hat.

Da beschloß ich, Adolf an die Realschule nach Linz zu schicken.

Wien für Linzer Begriffe

Wien ist ein bisserl groß für Österreich. Das heutige Österreich ist ein bisserl zu klein für seine Hauptstadt. Wien liegt leider ein bisserl am Rande. Es wäre, wirtschaftlich gesehen, ein bisserl günstiger, wenn Österreich dm Osten noch ein bisserl weiterginge. Österreich bricht aber hinter Wien ein bisserl jäh ab.

Immer sind die übrigen Österreicher ein bįsserl schlecht auf die Wiener zu sprechen. Die Wiener wieder ver- *’achten die übfijgfeh® Öäfdffiefcher ein bisserl. Sie sagen, sie sind ein bisserl geschert. Dabei würde Wien ohne Zuzug aus den Bundesländern ein bisserl aussterben. Die Bevölkerung ist auch so schon ein bisserl zurück- gegangen.

Wer aus der Provinz das erstemal nach Wien kommt, ist schon ein bisserl erstaunt. Die Häuser sind ein bisserl gar hoch für Linzer Begriffe. In Linz ist alles ein bisserl kleiner, auch der Verkehr ist ein bisserl schwächer in Linz. Die Donau ist bei Wien ein bisserl breiter. Dafür ist sie in Linz noch ein bisserl sauberer. Blau ist die Donau bei Wien kein bisserl.

Die Wiener sind ein bisserl faul. Oft sitzen sie in Heurigenlokalen ein bisserl herum und singen und tanzen ein bisserl. Im Parlament wird ein bisserl über den Fortschritt debattiert. Die Vorarlberger Abgeordneten hätten gern ein bisserl mehr Föderalismus, Da raunzen die Wiener Abgeordneten ein bisserl.

Zentral

Wiens Zentral liegt eigentlich gar nicht zentral. Er liegt weit genug draußen. Natürlich, wenn man es vom Zentral aus anschaut, dann selbstverständlich, bitte schön. Eigentlich ist die Stadtmitte das Zentrum. Aber Wien selbst liegt ja auch nicht zentral in Österreich, wenn man es von der Provinz aus betrachtet.

Der Schubert Franz und der Herr van Beethoven lagen früher am Währinger Ostfriedhof, damit du dich auskennst. Sie wurden aber ausgegraben, hörst du, weißt du, verstehst du. Jetzt befinden sie sich am Zentral. Auch der Herr Mozart und der Wolf Hugo, der arme Teufel der arme, und der Walzerkönig namens Strauß Johann, der unvergeßliche, liegen zentral. Der Zentral beinhaltet auch eine Masse berühmter Dichterfürsten und Ähnliches. Beim Mozart war ja bekanntlich wie erinnerlich niemand auf der Leiche. Am nämlichen Tage herrschte das berühmte Unwetter. Und seine Alte war eine Klasse für sich, kannst du sagen, die Konstanze. Nur der Walzerkönig hatte eine exquisite Leiche mit viel Musik und so selbstverständlich natürlich. Meistens, herrscht aį>ei; Jp. Wien ein ganz blödsinniger , Sturm, wenn , sie einen exzellenten Zeitgenossen eingraben. Da möchtest du Gummistiefel brauchen, damit du im aufgeweichten Kote nicht versinkst. Viele exzellente Zeitgenossen sind aber sowieso eh Mitglieder der „Flamme”. Solchene Kameraden werden verbrannt oder auch feuerbestattet und in die Urne gefüllt, was früher ohne jeden Pfarrer vor sich ging, meiner Seel’. Die Einäscherung vollzieht sich trockenen Fußes im Krematorium. Seit die Kirche mit dem Feuer einverstanden ist, geht der Ofen nicht mehr aus. Grad am Sonntag -gibt es noch eine kurze Rauchpause.

Der Zentral wachst sich immer mehr aus. Bald bekommt er den Umfang von dem halben Burgenland. Man findet schon keinen mehr. Und so ein Wirbel zu Allerseelen. Mensch noch einmal. Und so viel Unkraut Jesus nein. Und so viel Blumen um Gottes willen,, Und dann erst die vielen Tränen, geh und hör auf. Nichts wie Gräber, so weit das weinende Auge blickt. Nichts wie lauter tote Leichen, ich mag gar nicht darauf denken.

Die Leichen finden meistens in der Regel in aller Stille und im trauten Kreise der nächsten Angehörigen statt. Aber auch Staatsleichen laufen von Zeit zu Zeit über die Bühne mit allem Drum und Dran und daß ich nicht lache. Wenn ein Präsident stirbt, spielt, der Radio drei Tage lang nur die Musik vom Bruckner Anton, kannst du drehen wie du magst Österreich eins und zwei und dazu ukawe einschließlich. Dann weist du, daß sich der Herrgott wieder einen Prominenten genehmigt hat. Für viele ist das Ehrengrab am Zentral die Krönung ihres Lebens. Nur der Rühm möchte kein®, hat er gesagt, der Gerhard.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung