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Landschaft bei Hainburg

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Im September.

Ich war gestern an einem strahlenden, unbeschreiblich schönen sonnigen Herbsttag an der unteren Donau, über Fischamend hinaus. Zunächst in Haslau, das ist auf der Straße nach Bratislava. Man fährt links hinunter, ist in einer Au, geht ein Stück weiter. Ist an der Donau. Sie scheint nicht zu fließen. Alles ist trotz Samstag ganz still. Gegenüber in der Sonne Orth mit der Terrasse des Restaurants, wie eine Vision der Zivilisation, doch idyllisch. Hier unten liegt ein Mädchen auf der Erde, macht sich mit den Armen Schatten und liest.

Wie groß ist diese Landschaft! Ich wäre bereit, mich mit allem, was ich vermag, für sie einzusetzen. Ich bin nun wieder sehr traurig, daß ich damals in den kritischen Tagen nur mit dem Herzen hier war.

Da waren viele junge Leute, da waren die Idealisten mit ihren Kindern, Professoren mit ihren Studenten. Sie alle fühlten, daß sie ein reines Gewissen behalten wollten. Man hatte die Erwachsenen nach einer bösen Zeit viel später gefragt: „Warum habt ihr euch nicht gewehrt?“ Sie wollten diesmal sagen können, daß sie sich gewehrt hatten. Und sie siegten.

Die Politiker wollten nicht, daß

die Kinder und die Professoren triumphierten, die Exekutive wollte nicht kapitulieren, die Gewerkschaften waren irritiert und wollten auf die Straße gehen. Doch eines Mittags in der Adventszeit war die Stadt voll von Menschen, die nur da waren, die gegen das Fällen von Bäumen und gegen das Zerstören einer göttlichen Landschaft waren. Ich weiß nicht, wie es zuging, als Bundespräsident Kirchschläger sich einschaltete. Ich weiß nur, daß durch eine wundersame Fügung die Exekutive stillzuhalten begann, daß die Gewerkschaften stillhielten, daß die Donaukraftwerke zurückgehalten wurden. Das Zauberwort „Nachdenkpause“ war auf einmal da. Der Sieg war nur errungen, aber er manifestierte sich nicht. Man getraute sich nicht aufzuatmen.

Ich habe einmal im Berliner Staatlichen Schauspielhaus eine Jessner-Inszenierung der „Weber“ von Gerhart Hauptmann gesehen. Da dringen die revoltierenden Weber in das Haus des Fabrikanten Dreißiger ein, der geflüchtet ist. Da sind sie, alles ist still, leise, unsicher, keine Spur von Triumph, das Gegenteil eines Opernfinales — ich seh's fast noch vor mir. So ähnlich war's, als die jungen Leute, die Professoren, untermischt mit, Gott sei Dank, ganz wenigen professionellen politischen Unruhe-Spezialisten, die Welt gerettet hatten.

Ich habe sie damals auch gesehen, als ich in der Niederösterreichischen Landesregierung zu tun hatte, und diese Landesregierung war von den Hainburg-Leuten besetzt. Sie saßen da, sie kampierten, die gewöhnlichen Leute, teüs mit ihren Kindern, in den Gängen, sie taten nichts, verzichteten auch auf die üblichen fatalen Sprechchöre, sie waren einfach da, kleine Leute, schäbig, armselig. Sie waren „die Leute“, um die es geht; um der Bäume willen, um einer Landschaft willen saßen sie, lagerten sie in dem Amtsgebäude.

Und gestern war ich dort, bin über eine schöne neue Brücke gefahren, an das linke Donauufer. Ich sah eine Ortstafel „Stopfenreuth“, die für mich angereichert war mit Geschichte, wie die bald folgende Ortstafel „Wagram“. Und dann „Eckartsau“, wo der letzte Kaiser, als er keiner mehr war, auf die Abreise wartete.

Aui dem Buch „Die tausend Todsünden“, das demnächst im Verlag Styria, Graz, erscheint.

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