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Muster fast wie im Harem...

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Diese Bildreportage will auf ein bisher kaum beachtetes und gewürdigtes Dekordetail unserer, alten Wirtschaftsgebäude aufmerksam machen, welches heute nach der Überschwemmung unseres ländlichen Raumes mit nüchternen modernen Bauten um so deutlicher zutage tritt: es handelt sich hier um die vielfältigen, formreichen Luftluken, Luftgitter und Lüftungsfenster unserer Stadel, Scheunen und Troadkasten.

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Diese Bildreportage will auf ein bisher kaum beachtetes und gewürdigtes Dekordetail unserer, alten Wirtschaftsgebäude aufmerksam machen, welches heute nach der Überschwemmung unseres ländlichen Raumes mit nüchternen modernen Bauten um so deutlicher zutage tritt: es handelt sich hier um die vielfältigen, formreichen Luftluken, Luftgitter und Lüftungsfenster unserer Stadel, Scheunen und Troadkasten.

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Luftzirkulation und Durchlüftung sind bei Scheunen und Stadeln von größter Wichtigkeit, damit die dort gespeicherten Feldfrüchte nachreifen können und das gelagerte Heu trok-ken bleibt. Durch diese sinnvoll angeordneten Luken und Fenstergitter können Luft und Wind frei durch die abgesperrten Räume . streichen. Dort, wo man sogar den Vögeln das Ein- und Ausfliegen erlaubt, sind die Luken und Gittermuster größer und nicht so dicht gemacht.

Bei Blockbauten erfüllen diesen Zweck die aus rundbelassenen Stämmen übereinander geschichteten licht- und luftdurchlässigen Wände. Bei hölzernen Ständerbauten half man sich mit Gittern aus Leisten oder einfach damit, in die Bretterwände viele Luftschlitze und Luken einzuschneiden. Später, als das kunstvolle Bundwerk erfunden wurde, hat man auch dieses zu Lüftungszwecken herangezogen. Je nach Bedarf zieren sie Giebel, Wände sowie die stets bevorzugten Flächen über den Toren der Wirtschaftsgebäude.

Die in die Bretterwände eingeschnittenen (eingesägten) Luken zeichnen sich seit jeher durch besonderen Formenreichtum aus, die von einfachsten geometrischen Mustern bis zu den ausgefallensten Tier- und Pflanzensilhouetten reichen, die vielfach noch der Symbolik uralten Volksglaubens entstammen: manchmal wurden sie sogar bunt bemalt. Im oberen Inntal, wo der Dachboden der „Einhöfe“ als Trockenkammer dient, zeigt das Giebeldreieck ein offenes, reichgegliedertes Bundwerk, auf dem im Herbst Maiskolben zum Nachreifen aufgehängt werden (durch den offenen Dachboden kann der Föhn ungehindert durchstreifen).

Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts haben sich die südbayrischen und Innviertier Zimmerleute des reizvollen Tiroler Bundwerks bemächtigt und dieses Zierwerk aus verblatteten Kanthölzern auf die Wände ihrer Troadkasten, Stadel und Scheunen verpflanzt, wo sie zu wahren Meisterwerken der Holzbaukunst ausgebildet wurde.

Als man bei uns vor etwa 180 Jahren begonnen hatte, die Scheunen und Stadel auch aus festem Mauerwerk aufzurichten, war man von Anfang an bemüht, den Luftluken und -fenstern eine nicht weniger gefällige und schöne Form zu geben. Da man aber die Ornamentik der hölzernen Vorgänger nicht einfach in Ziegelstein übersetzen konnte (Weil jedes Material eine andere spezifische Bearbeitung erfordert), erinnerte man sich der mittelalterlichen Technik des Ziegellegens, die nun abgewandelt zu recht neuen originellen Dekorformen der durchbrochenen Lüftungsfenster führte.

Den Typus der gemauerten Scheune sollen angeblich Maurer aus Friaul Anfang des 19. Jahrhunderts nach Österreich gebracht haben, und zwar vorerst nach Kärnten, die Südsteiermark und ins südliche Burgenland. Von dort breiteten sich die gemauerten Scheunen mit ihren durchbrochenen Ziegelgitterfenstern sehr langsam, eher zögernd, in das benachbarte Niederösterreich, in Randgebiete des Salzkammergutes und das Innviertel aus.

Diese kunstvoll gestalteten Lüftungsluken, -gitter und -fenster überraschen stets durch ihren unerschöpflichen Formen- und Ornamentenreichtum, die Zeugnis ablegen von dem hohen Können und der Phantasie ihrer Schöpfer.

Die schönsten durchbrochenen Ziegel-Lüftungsfenster finden wir an den Wirtschaftsbauten der Südsteiermark und in Kärnten, aber auch im benachbarten Slowenien, wo interessanterweise oft auch türkische und griechische Ornamente zur Anwendung kamen — also jene Zickzack-, Stern- und Grätmuster, die an den Fenstergittern der Harems oder den Einfluglöchern der griechischen Taubentürme vorkommen.

Die luftige Ziegelornamentik kommt vielfach erst dann zur vollen Wirkung, wenn um die aus Rotziegeln gestalteten durchbrochenen Fenster auf weiße beziehungsweise farbig verputzte Wandflächen zu liegen kommen (Südoststeiermark). Diese schmucke Ziegelgitterfenster tragen wesentlich zur Belebung der riesigen Wandflächen von Wirtschaftsgebäuden bei und gereichen so manchem unserer Dörfer und Siedlungen zur willkommenen Zierde, i

Dieser einfache elementare Fensterschmück unserer Scheunen, Troadkasten und Stadel, von anonymen Handwerkern geschaffen, ist ein Produkt echter Volkskunst und ein Beweis für die dem Volke angeborene Sehnsucht nach dem Schönen. Deshalb verdienen diese jahrzehntelang unbeachtet gebliebenen Schmuckdetails unserer Volksarchitektur, endlich gewürdigt, entdeckt, dokumentiert und gepflegt zu werden. Sie sollen der Zukunft erhalten bleiben, als stumme und doch beredte Beweise des Bleibenden im Gewand des Vergänglichen, um der ständigen kulturellen Verarmung unserer ländlichen Bauweise entgegenzuwirken.

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