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Digital In Arbeit

Vorwände fürs Nichtschreiben

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Ich gestehe, daß ich faul bin. Faul wie jeder fleißige Schriftsteller. Oder wie jedermann, was auch immer sein Beruf sei. Einerseits weiß jeder, daß er arbeiten muß - der Fischer muß fischen, der Schiffer muß schiffen, der Tischler muß tischen, der Buchhalter muß das Buch halten, der Soldat muß kriegen, der Banker ebenfalls, soviel er nur kann, der Schriftsteller muß die Schrift stellen. Andererseits ist jeder Anfang schwer, daher verzögert man ihn so lange wie möglich.

Vorwände hat man immer zur Hand. Einige Beispiele aus meiner Praxis:

Erstens: Ich wollte schon lange den Lichtschalter reparieren. Ich bin kein einseitiger Intellektueller, der sich vor jeder Arbeit drückt. Wenn ich einen

Zum Kuckuck, irgend jemand wird sich doch finden lassen, den ich dringend anrufen muß?

Kurzschluß verursache, habe ich Pech gehabt. Dann kann ich eben nicht schreiben - Schicksal.

Zweitens: Heute habe ich die Zeitung noch nicht angeschaut. Dabei gehört das doch zu meinem Beruf! Ich muß den Finger stets am Puls der Zeit halten! Wobei mir einfällt... Mein Puls gefällt mir gar nicht. Mir scheint, ich habe eine erhöhte Temperatur. Ich lege mich hin. Wenn mir doch nichts fehlt, war's ein Gesundheitsschlaf.

Drittens: Vorige Woche hätte ich den Wukowitsch anrufen sollen. Ach so, der ist verreist... Ja aber die Inge hat mich auf meinem Anrufbeantworter gebeten, sie zurückzurufen. Ach so, die arbeitet jetzt... Zum Kuckuck, irgend jemand wird sich doch finden lassen, den ich dringend anrufen muß?!

Viertens: Eigentlich schmutzig von mir, daß ich immer nach Ausflüchten suche! Ja, ich fühle mich richtig schmutzig. Mein Schatz, laß bitte das Badewasser für mich ein!

Fünftens: Ich wollte doch das Buch „Die Lebenserwartung der Eintagsfliege” auslesen, das ich gestern angefangen habe. Es hat nur... schauen wir einmal... 238 Seiten. Ich bin schon auf Seite 93, das schaffe ich doch im Nu!

Sechstens: Hoppla, in meinem Hörspiel „Romeo, warum heißt du nicht Kropatschek?” will ich ja Shakespeare-Zitate bringen, die ich noch aussuchen muß... Bisherhabe ich nur „Sein oder Nichtsein” und „Der Rest ist Schweigen, aber das genügt nicht... Liebling, ich gehe auf einen Sprung in die Stadtbibliothek!... Was, die hat heute zu? Macht nichts, das Wetter ist herrlich, dann mach ich eben einen schönen Spaziergang!

Siebtens: Tolstoj hat in den Nachdenkpausen Holz gehackt, wird von Literaturwissenschaftlem festgehalten. Aber wo soll ich Holz hacken in dieser Betonwüste? Ich hab's - auf in den Wienerwald!

Achtens:.. .Nein, die Weitemume-rierung erübrigt sich, Schluß mit dem Trödeln - ich schreibe! Und zwar einen Brief an Matthiebe, meinen ehemaligen Schulkameraden. Der wird sich aber freuen, nach zwanzig Jahren von mir zu hören!

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