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Digital In Arbeit

Weltgeschichte(n)

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Sie kennen mich nicht. Aber ich bin in Schwierigkeiten. Vielleicht wissen Sie mir einen Rat. Ich stehe unter schwerem Verdacht. Ich denke Tag und Nacht darüber nach, wie ich mich von diesem Verdacht reinigen könnte.

Es begann mit mehr oder weniger unbedeutenden, wenngleich infamen Unterstellungen, die ich unvorsichtigerweise zunächst nicht genügend beachtete, weil ich ihre Tragweite nicht erkannte.

„Nimmst du eigentlich nie?“ erkundigte sich eines Tages, ganz beiläufig, ein Kollege.

„Was soll ich denn schon nehmen?“ antwortete ich.

„Du weißt schon“, sagte er, „sei vorsichtig. Du weißt, bestimmte Dinge schaden einem strebsamen jungen Mann.“

Ich gewann erst in den nächsten Tagen und Wochen das Gefühl, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden. Eines Tages, zum Beispiel, streifte mich einer im Vorbeigehen und raunte mir zu: „Du bist durchschaut!“

„Ich hoffe“, sagte einige Tage später mein direkter Vorgesetzter zu mir, „ich hoffe sehr, man kann sich auf Sie verlassen!“

„Ich tue mein möglichstes“, sagte ich, „haben Sie irgendeinen Grund zur Unzufriedenheit?“

„Nicht direkt“, meinte er, „aber es gibt Bereiche, in die selbst Ihr Chef nur sehr mangelhaften Einblick hat.

Glauben Sie mir, ich meine es gut mit Ihnen!“

Ich war noch vollauf damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was er wohl gemeint haben mochte, als einige wichtige Unterlagen von meinem Schreibtisch plötzlich fehlten. Unterlagen, die niemandem nützen konnten, deren Fehlen aber sehr schlecht für meine Arbeit und damit für meine Stellung, mein Ansehen, mein Fortkommen war.

Bis mich dann eines Tages einer, nicht direkt mein Vorgesetzter, aber doch eines der höheren Tiere, beim Arm nahm, und mit den Worten „Auf ein kurzes Gespräch unter vier Augen, mein Lieber!“ in sein Zimmer zog. Ich wußte nun natürlich längst, worauf er hinauswollte. Aber ich war neugierig, wie er es anfan-

gen würde, mir die Würmer aus der Nase zu ziehen.

„Selbst Prinzen...!“ sagte er.

„Prinzen — was ist mit ihnen?“ antwortete ich mit gespielter Ahnungslosigkeit.

„Ja lesen Sie denn keine Zeitungen?“ sagte er.

„Gegenwärtig nur den Sportteil“, sagte ich.

„Sie wissen schon, was ich meine“, sagte er.

„Keine Ahnung“, sagte ich.

„Um so schlimmer für Sie“, sagte er, „wir beobachten Sie. Wenn sich unser Verdacht bestärkt, werden wir leider dafür sorgen müssen, daß Sie fliegen.“

„Dann suche ich mir einen neuen Job“, sagte ich.

„Für Menschen wie Sie ist das nicht leicht“, sagte er.

Ich fühle, ich habe nicht mehr viel Zeit. Mein Verhalten wird beobachtet. Nachts wird mein Schreibtisch durchwühlt. Kürzlich stellte ich fest, daß jemand in meiner Brieftasche herumgekramt hatte. Es fehlte zwar kein Geld, aber ich wußte, ich war entdeckt. Zumal auch meiner Wohnung ein geheimer Besuch abgestattet worden war, als ich kürzlich nach Hause kam.

Soll ich mein knappes Geld verschwenden, um nicht aufzufallen? Nachtlokale besuchen? Wie soll ich mich von dem schweren, auf mir lastenden Verdacht reinigen? Sie

haben ja hoffentlich mittlerweile begriffen, was mir vorgeworfen wird. Ich stehe im schrecklichen, üblen Geruch der Unbestechlichkeit.

Dabei bin ich kein Prinz, kein Minister, kein Hochgestellter, nur ein Mann mit kleinem, aber feinem Ermessensspielraum. Den ersten Verdacht zog ich durch die Zurückweisung eines Geschenkes, das keinen

Tausender wert war, auf mich. Ich bleibe lieber anonym, doch der Wirtschaftszweige, der öffentlichen Bereiche, der nationalen und internationalen Schaltstellen, in denen es mich geben könnte — gibt es viele. Wir haben es nicht leicht. Wir wollen ja gar nicht nehmen. Aber der Druck, der Druck ist so groß.

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