Aquedukt Liesing - © Foto: picturedesk.com / Gerhard Wild

Wiener Hochquellenleitung: Täglich fließt der Berg nach Wien

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Nachhaltigkeit und Daseinsvorsorge waren noch nicht im Wortschatz, als vor 150 Jahren die Hochquellenleitung Wiens Wasserschatz begründete. Ein Besuch.

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Nachhaltigkeit und Daseinsvorsorge waren noch nicht im Wortschatz, als vor 150 Jahren die Hochquellenleitung Wiens Wasserschatz begründete. Ein Besuch.

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E rst als das „neue Wasser“ nach Wien kam, wurde aus 1873 doch noch ein gutes Jahr. Der Mai begann mit einem „schwarzen Freitag“ für die Wiener Börse; des Finanzübels nicht genug, suchte die fünfte schwere Cholera-Epidemie in nicht einmal vierzig Jahren die Stadt und ihre Bewohner heim; die Pocken wüteten bereits seit einem Jahr in der Stadt. Das von Kot, Tierkadavern, Gerbern, Färbern und anderer Industrien verschmutzte Grundwasser, das die städtischen Hausbrunnen anzapften, trug seinen Teil zu diesen Epidemien und anderen Volkskrankheiten bei. Wie schwierig es war, in der Stadt sauberes Trinkwasser zu bekommen, zeigt das florierende Gewerbe der Wassermänner, die auf Pferdefuhrwerken fässerweise Wasser aus dem Umland herankarrten und zum Verkauf anboten. Da versprach ein Salutschuss mit kristallklarem Bergwasser zur Eröffnung der I. Wiener Hochquellenleitung am 24. Oktober 1873 den Beginn einer neuen, besseren, gesünderen Ära einzuleiten.

„Eine einzige kolossale Wasserlinie strebt senkrecht nach oben“, beschrieb das Illustrirte Wiener Extrablatt die Fontäne, „dreimal so hoch als die höchsten Häuser der Umgebung“, die nach einigen Fehlversuchen aus dem Hochstrahlbrunnen am Schwarzenbergplatz schoss. Der Ehrengast, seine Majestät Franz Joseph I., durfte als Erster das für ihn als Rax- und Schneeberg-Jäger bestens bekannte Wasser verkosten, befand es als so wohlschmeckend wie das Original und gratulierte zum größten Werk, das die Kommune Wien jemals zustande gebracht hat. Dass der mit der Stadtpolitik regelmäßig in Konflikt stehende Kaiser mit dieser Bemerkung eine Portion Spott verband, ist nicht auszuschließen. Was nichts daran ändert, dass sein Urteil absolut richtig war – und bis heute ist.

Kaiser als Wasser-Vorkoster

Der Slogan „Wien ist anders“ ist nirgends so berechtigt wie bei der Wasserversorgung. Wien ist die einzige Millionenstadt, die flächendeckend Bergquellwasser anbietet. Dieser Wasser-Bonus sollte auch als wichtiger Grund für Wiens regelmäßige Spitzenplatzierungen beim Ranking der lebenswertesten Städte der Welt nicht gering geschätzt werden. Und dass die aus den Bundesländern zugezogenen Menschen sich in der Stadt wohl fühlen, hängt nicht zuletzt auch mit dem Wiener Wasser zusammen, das so gut wie „dahoam“ ist.

Das kaiserliche Urteil, gefällt mit großen Augen vor der Fontäne des Hochstrahlbrunnens stehend und mit dem Geschmack des Rax-Schneeberg-Wassers im Mund, hat nichts an Berechtigung verloren. Im Gegenteil, der heutige Zeitgenosse staunt, mit welch politischer Weitsicht, technischem Durchblick und ökologischem Verständnis dieses Großprojekt geplant und durchgeführt wurde. Nachhaltigkeit und Daseinsvorsorge waren noch nicht im Wortschatz, als die Hochquellenleitung Wiens Wasserschatz begründete.

Als würde er den Tresorraum einer Bank aufschließen, schaut es aus, wenn Christoph Rigler die beiden Stahltüren zum Eingang in die Kläfferquelle im steirischen Salzatal aufsperrt. Rigler ist Chef der Betriebsleitung Wildalpen, jener Organisationseinheit der Magistratsabteilung 31 (Wiener Wasser), die für die Wassergewinnung für die II. Hochquellenleitung zuständig ist. Das von Rigler und seinem Team betreute Quellgebiet umfasst den nördlichen Teil des Hochschwabgebiets und erstreckt sich entlang des Salzatales.

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