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Besteuert nicht die Not der Familien!

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Im 30. Stück des Amtsblattes der österreichischen Finanzverwaltung, ausgegeben am 12. August 1953, ist ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes veröffentlicht, das schon bei seinem ersten Bekanntwerden (es datiert vom 18. Mai 1953) großes Befremden hervorgerufen hat. Darin wurde einem Familienvater mit sieben heranwachsenden Kindern, der in seiner bisherigen zu kleinen Wohnung die große Familie nicht mehr unterbringen konnte und hohe Aufwendungen zur Beschaffung einer größeren Wohnung machen mußte, die steuerliche Abzugsfähigkeit dieser Aufwendungen verweigert. Er hatte einen Abzug dieser Kosten auf Grund des 33 des Einkommensteuergesetzes (außergewöhnliche Belastung) geltend gemacht. Im vorliegenden Falle hatte die belangte Behörde zwar zugegeben, daß der Steuerpflichtige g e-zwungen war, die Aufwendungen für die Beschaffung der größeren Wohnung zu machen. Die gesetzlich erforderliche „Zwangsläufigkeit“ der Aufwendungen stand also außer Streit. Trotzdem die Abweisung. Das wurde dem Verwaltungsgerichtshof als Mangel an sozialem Verständnis ausgelegt und hat in der Oeffentlichkeit Verstimmung hervorgerufen.

Bei objektiver und rechtlicher Betrachtung des Falles darf man jedoch dem Verwaltungsgerichtshof nicht unrecht geben. Er hat nicht nach sozialen Gesichtspunkten, sondern ausschließlich nach juristischen Gesichtspunkten entschieden. Und auf diesem Gebiete ist er im Recht. Die Schuld ,an der unsozialen Härte der Entscheidung liegt auf anderem Gebiete, nämlich in der unverhältnismäßig hohen Ueberbesteuerung der kinderreichen Familien, die in der Steuerskala liegt. Das zitierte Erkenntnis erwähnt diese Tatsache mit folgenden Worten:

„Der Grund, aus dem der vorliegende Fall vielleicht als außergewöhnlich empfunden werden mag, liegt also nicht darin, daß der Beschwerdeführer einen beträchtlichen Teil seines Einkommens zur Beschaffung einer Wohnung aufwenden mußte, er liegt vielmehr in der großen Zahl von Kindern, für die er zu sorgen hatte. Solche Tatsachen bei der Erhebung der Einkommensteuer zu berücksichtigen, sind aber nicht die Vorschriften über die Steuerermäßigung wegen außergewöhnlicher Belastung bestimmt, dazu soll vielmehr die Festsetzung von Kinderermäßigungen in der Steuerskala dienen.“

Es war höchste Zeit, daß eine Behörde von so hohem Ansehen wie der Verwaltungsgerichtshof, den Finger auf diese “Wunde unsozialer Gesetzesgestaltung legre und die soziale Berücksichtigung der durch eine größere Kinderzahl verminderten steuerlichen Leistungsfähigkeit eines Familienvaters nicht in das Ermessen einer Steuerbehörde, sondern in die Kompetenz der Gesetzgebung selbst („Festsetzung von Kinderermäßigungen in der Steuerskala“) verwies.

Kinderermäßigungen gibt es zwar noch in unserer Steuerskala (Einkommensteuer, Lohnsteuer), aber im Verlaufe der seit Kriegsende vergangenen acht Jahre wurden sie schrittweise so vermindert, daß sie nur noch den Eindruck einer Formalität erwecken. Sie reichen nicht im Entferntesten mehr hin, um die verminderte steuerliche Leistungsfähigkeit eines Steuerpflichtigen zu berücksichtigen, der als einziger Verdiener einer Familie eine größere Anzahl von Verbrauchern zu erhalten hat. Nicht einmal das Existenzminimum wird einer Familie steuerfrei belassen.

Das vorliegende Beispiel eines Familien-

vaters mit sieben heranwachsenden Kindern kann geradezu als Schulbeispiel für die Ueberbesteuerung der Familie angesehen werden. Unter der Voraussetzung, daß die Kinder mit je zweijährigem Abstand zwischen 7 und 19 Jahre alt sind, betragen die Lebenshaltungskosten monatlich 4367 S. Die e i n-kommensteuerliche Belastung, einschließlich des 20% igen Zuschlages für Besatzungskosten usw., macht im Jahre 94 6 1 S, also 17 Prozent vom Jahreseinkommen aus. Das bedeutet, daß diese Familie — theoretisch — durch zwei Monate und fünf Tage des Jahres die für Ernährung, Kleidung, Wohnung, Heizung, Reinigung und Bildung notwendigen finanziellen Mittel an den Staat abzuführen hat. Um in diesen zwei Monaten nicht zu verhungern, muß während der übrigen zehn Monate des Jahres buchstäblich am Munde abgespart werden, was der Staat als Einkommensteuer einhebt. Solche Familien tragen — wenn sie überhaupt ein für die Lebenshaltungskosten genügendes

Einkommen erreichen — allein nur wegen

der Einkommensteuer die Not in Form von zerschlissener Kleidung, schlechtem Schuhwerk, ungenügendem Kälte- und Witterungsschutz, unzureichenden Wohnverhältnissen und Einsparungen am Familientisch.

Aber die ungenügende Berücksichtigung der erforderlichen Kinderermäßigung geht noch viel weiter. Selbst wenn das Einkommen für die Deckung der Lebenshaltungskosten nicht ausreicht, wird eine solche Familie mit Einkommensteuer belastet. Ein Steuerpflichtiger, dessen Einkommen nur zur Deckung von drei Viertel der Lebenshaltungskosten ausreicht, muß unter der Voraussetzung des Familienstandes von sieben Kindern (drei Viertel der Lebenshaltungskosten monatlich 3257 S) noch eine Jahres-Einkommensteuer von 4159 S bezahlen. Ja sogar wenn sein Einkommen nur noch die Hälfte der notwendigen Lebenshaltungskosten zu decken vermöchte, wird er noch von einer Einkommensteuer von 344 S erfaßt.

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