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Unvergessenes Kanaltal

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Die bevorstehenden österreichisch- italienischen Südtirolverhandlungen in Klagenfurt geben Anlaß, eines anderen Gebietes zu gedenken, dessen österreichische Bewohner einem ähnlichen Schicksal unterworfen wurden wie Südtirol, nur mit dem Unterschied, daß dieses Gebietes zumeist nicht gedacht wird. Das Kanaltal (Hauptort: Tarvis), das seinen Namen nach dem Kanalgraben nördlich Tarvis—Goggau hat, gehört zu den landschaftlich schönsten Alpengebieten überhaupt. Die Westjulier gipfeln hier in kühnen Kalkzinnen, die Julius Kugy vielfach als erster erstiegen und in herrlichen Bildbüchern besungen hat. Er nannte die Querbänder des Wischberg (Mont Jöf Fuart), 2666 m, die „Götterbänder“ und traf damit die rechte Bezeichnung, und der Montasch, 2752 m, der „König der Dogna“. gehört wohl zu den erhabensten Berggipfeln Europas. Die Seisseraschlucht bei Wolfsbach (nach dem windischen „za jezerju“ — „hinter den Seen"), die Wallfahrtsbergkirche Maria-Luschari. der grüne Raibler See. der Predilpaß von Tarvis nach dem Isonzota! wurden vor dem ersten Weltkrieg ein Wanderziel der Bergsteiger, besungen von Dichtern, wie Rudolf Baumbach, Theodor Heinrich Mayer und Julius Kugy (der auch Dichter war).

Im Kanaltal (Gerichtsbezirk Tarvis, politischer Bezirk Villach) gab es bis 1919 keine bodenständigen Italiener. Zwar hatten an der Gründung einiger Orte im Mittelalter (die Besiedlung beginnt um 1000 n. Chr.) Friauler (Fur- laner) Anteil, die über den Predilpaß (1156 m) oder den Neveasattel (119S m) gekommen sein dürften (die Fellaschlucht war noch ungangbar), doch sind ja die Furlaner keine Italiener, sondern ein eigenes rhäto- romaniscbes Volk, wie soeben wiederum in einer bedeutenden Arbeit des Genfer Hochschullehrers Aldo Dami („Les Rheto-Romanches“, Geneve 1960) nachgewiesen wurde. An die furlanische Frühbesiedlung erinnern auch einige Ortsnamen, wie Tarvis (,,Tte Vie", da hier drei Hauptverkehrsstraßen zusammenlaufen). Mal- borgeth (ursprünglich „Buonboi- ghetto", nach einem Brand 1545 dann Malborghetto) und in etwa auch Pont- afel (Brücke an der Afel: die Afel ist der schon seit mehr als hundert Jahren Fella genannte Bergfluß, der westlich von Tarvis entspringt und in den Tagliamento fließt, während Tarvis und Weißenfels durch die Gailätz ihre Wasser zur Gail, Drau. Donau und also ins Schwarze Meer entwässern). Wie der Anfang 1961 in Regensburg verstorbene große Kärntner Historiker Ernst K i e b e 1 in vielen Arbeiten nachwies, ist die Besiedlung des Kanal- tals im wesentlichen aber ein Werk der Bamberg er Bischöfe (St. Gertraud bei Malborgetli unter Bischof Otto J1106 bis 11901, Raibl JRäblers Gast- hofj um 1400, Goggau, Flitscht Greuth, Kaltwasser. Weißenfels, Uggo- witz und Saifnitz Anfang des 15. Jahrhunderts). Dadurch wurde schon frühzeitig der rein deutschsprachige Charakter des Kanaltals hergestellt, romanisch sprechende Einwohner gab es schon ab 1450 keine mehr. 1675 gingen die bambej gischen Besitzungen mit Ausnahme von Weißenfels auf Kärnten über (staatsrechtlich erst 1759). Weißenfels kam zu Krain. obwohl es rein deutschsprachig war. doch ist zu bedenken, daß damals auch das Herzogtum Krain durch seine Oberschicht einen deutschen Charakter hatte. Geographisch gehört Weißenfels mit den herrlichen Weißenfelser Seen am Fuße des Mangart (2678 m) zum Kanaltal. Die Alpenslawen (Windische) kamen ebenfalls schon frühzeitig ins Land. Über ihre Besiedlungsgeschichte informieren auch neuere slowenische Veröffentlichungen. darunter eine lange Artikelreihe von Richard O r e 1 im „Slovenski Vestnik“ «»kommunistisch), Klagenfurt 1960. und eine ältere Arbeit von Grafenauer (..Ka- naljska Dolina“. Laibach 1956, auch mit englischer Übersetzung). (Deutschsprachige Arbeiten neuerer Zeit gibt es nur aus der Feder des Verfassers dieses Beitrages.)

Methode Südtirol

Beim Ende des ersten Weltkrieges war die Bevölkerung der Gemeinden Tarvis. Malborgeth. Pontafe! und des krainischen Weißenfels fast rein deutsch, während die Gemeinden Saif-nitz, Uggowitz und Leopoldskirchen überwiegend slowenisch waren. Nach der Volkszählung 1910 betrug die Bevölkerung dieser sieben Gemeinden 343 Einwohner, davon 6397 Deutsche, 1682 Slowenen (Kärntner Win- dische) und 10 Italiener. Die am reinsten deutsch besiedelte Gemeinde war (und ist noch heute) Pontafel, am ausgeprägtesten windisch besiedelt war Leopoldskirchen (slowenisch: Lipalja Ves).

Trotz anderslautender Abmachungen im Londoner Geheimvertrag vom 24. April 1915 begnügte sich Italien nach Kriegsende nicht mit der Wasserscheide als Grenze, sondern verlangte und erhielt im Friedens vertrag von Saint-Germain das ganze Kanaltal mit Weißenfels, wodurch es sich den Knotenpunkt Tarvis mit der Predil- straße nach Görz sicherte und militärisch Villach und das Klagenfurter Becken bedrohen konnte, da die Höhenzüge zwischen dem Kanaltal und dem übrigen Kärnten (Gailtal) — Kar- nische Hauptkette und Westkarawanken — viel sanfter sind als im Süden die wilden Julier. Italien schleuste sofort viele Italiener ins Kanaltal ein, so daß schon 1921 von 8419 Einwohnern 1207 Italiener waren und 1934 von 9548 Einwohnern rund 3000 Italiener. Immerhin hielten sich deutsche und windische Kärntner auch unter dem Faschismus in ihrer ethnischen Substanz sehr gut. obwohl nur die italienische Sprache zugelassen war und jeglicher Deutschunterricht untersagt wurde. Starken Rückhalt hatten die deutschen Kanaitaler an ihren Pfarrern, durchweg deutschsprachigen Kärntnern, und die slowenischen Kanaltaler an den ihren, die aus dem Görzischen kamen. (Pfarren gab es 1918 und gibt es unverändert auch heute folgende: Tarvis, Goggau, Weißenfels, RaibL Uggowitz, Saifnitz, Wolfsbach, Malborgeth. Filialkirche Lußnitz, Pontafel, Leopoldskirchetu Auf dem Luschariberg ist derzeit im Sommer ein Pfarrprovisor, der in allen drei Sprachen predigt.) Das Dekanat Tarvis kam ursprünglich — nach Abtrennung von der Diözese Gurk — zur Diözese Görz, dann zur Diözese Udine. Die Kirchenspracbe wurde auch nach diesem Zeitpunkt wie bisher belassen. Die Umsiedhmgsaktion von 1939 Dem Kanaltaler Deutschtum versetzte den Todesstoß das Hitler- Mussolini-Umsiedlungsabkommen vom 23. Juni 1939 (Attolico—Ciano, Himmler-Weizsäcker). Dieses Siidtirol betreffende Abkommen bezog auch die Kanaltaler mit ein. Die Durchführungsbestimmungen für das Kanaltal stehen in den „Direktiven“ vom 21. Oktober 1939, deren Kapitel 1. Zahl 2, auch die Volksdeutschen des „zweisprachigen Territoriums von Tarvis“ (Provinz lldine) miteinbezog. Obwohl hierbei von Personen „deutscher Volkszugehörigkeit“ gesprochen wurde, machten auch die meisten Kanaltaler Slowenen von der Options- möglichkeit Gebrauch, was beweist, daß sie sich als deutsche Kärntner fühlten. (In einem Artikel von L Visarski — Pseudonym: Der Mann vom Luschariberg — im „Planinski Vestnik“. Laibach, Nr. 7, Juli 1956, S. 3 70 f„ wird zwar behauptet, daß nur wenige Kanaltaler Slowenen optiert hätten, doch wird dies durch die Statistik der Umsiedlung widerlegt.) Von den rund 6600 Kanaltaler Deutschen optierten 6520, 80 optierten nicht.

720 wurden nicht mehr umgesiedelt. Von den rund 1750 Slowenen optierten 1600, 100 wurden tatsächlich umgesiedelt und rund 1500 wurden nicht mehr tungesiedelt, blieben also im Lande. Der große volkspolitische Aderlaß traf also die Deutschkärntner, nicht die Windischen unter den Ka- naltaleru. Heute leben im Kanaltal 860 deutschsprachige Kärntner und 1895 Slowenen (Windische). Die Kanalisier Deutschen sind am stärksten in Pontafel (235) und Weißenfels (100), die Slowenen am stärksten in Saifnitz (550), Uggowitz (350) und Leopoldskirchen (250), wobei wir hiei Pfarren meinen. Gemeinden gibt es heute nämlich nur noch drei, nämlich Pontebba (wozu das alte Pontafel. Leopoldskirchen und das schon vor 1918 italienische eigentliche Pontebba gehören), Malborghetto-Valbruna (mit Bad Lußnitz, Wolfsbach, Malborgeth, Uggowitz) und Tarvisio (mit Saifnitz, Tarvis, Raibl, Weißenfels, Goggau, HitschL Kaltwasser und Greuth). Bei einer Gesamtbevölkerung des Kanaltales (mit dem altitalienischen Pontebba) von heute rund 10.000 sind also die angestammten Kanaltaler in hoffnungslose Minderheit gedrängt. Die Italiener unterwandern die bodenständigen Kanaltaler, wo sie nur können, wobei ihnen auch der sogenannte Markt in Tarvis sehr zugute kommt, dessen Marktfahrer alle weit aus Inneritalien kommen und den bodenständigen Kanaltalem sehr schaden. Leider kaufen Deutsche und Österreicher auf diesem Markt in unvorstellbaren Mengen ein und helfen dabei noch den Steuerertrag von Tarvis mindern, da diese italienischen Markt- fahrer keine Verzehrsteuer (dazio con-. sumo) zahlen (was jetzt allerdings ge-ändert werden soll).

Die Kanaltaler Umsiedler wurden t vom Dritten Reich (mit Hilfe der 3 DUT) nach Kärnten und Steiermark e umgesiedelt: Villach 2700, Klagenfurt , 1500, St. Veit an der Glan, Feld- kirchen in Kärnten und Friesach 500, 1 Knittelfeld 500, sonstige Orte 500 Per- i sonen. Ihre Vermögenswerte wurden ihnen zu großem Teile vorenthalten (abzuwickeln über Kon» „Alto Adige beim Istcambi) bzw. fielen, soweit nicht Ersatzliegenschaften erworben werden konnten (von denen dann leider manche österreichischen oder jugoslawischen Restitutionsvorschriften entschädigungslos zum Opfer fielen), unter österreichische Wäh- i ungsschutzbestimmungen bzw. die Abschöpfung nach dem Schillinggesetz oder gingen durch den Sonderkonkurs der Deutschen Urasiedlungs-Treuhand- gesellscbaft (DUT), Innsbruck (S. 485 8 LG. Innsbruck) sowie durch die vielumstrittene Revisionsentscheidung des österreichischen Obersten Gerichtshofes im DUT - DAT - Prozeß (3 Ob 5 85 8) verloren. Nur eine Quote von 36,068 Prozent vom Reichsmark - Forderungsnominale der Kanaltaler Umsiedler — 520.000 S — kam im DUT-Sonderkonkurs zur Auszahlung, was bei einem Entwertungsfaktor von 90 Prozent und einem seinerzeitigen Transferbetrag von 1,6 Millionen Reichsmark einen va- lorisierten Verlust von etwa 97 Prozent entspricht. Da aber die Ablösewerte schon seinerzeit sehr niedrig (durch die Wertfestsetzungskommission Bozen, Außenstelle Tarvis) angesetzt worden waren, nämlich mit etwa zehn Prozent der wirklichen Werte, kann man dort, wo nicht Liegenschaften zum Ersatz gegeben wurden, von einem totalen Verlust der Vermögens- substanz sprechen. Derzeit bemüht sich vor allem der Bund der Kanaltaler in Österreich, im Rahmen des Ent- schädigungs- und Ausgleichsvertrages Wien—Bonn teilweise einen Ersatz für die Lbnsiedlungsschäden zu erhalten. Die nach altem kärntnerischen Agrarrecht bestandenen Holzbezugsrechte und Nachbarschaftsrechte wurden bisher überhaupt nicht abgelöst. Hiei wird Österreich eine wichtige Aufgabe im Interesse der Kanaltaler Umsiedler, die übrigens durchweg keine Nationalsozialisten waren und nur notgedrungen optierten, zu erfüllen haben. Grabs teinpolitik Die volkspolitische Lage der Kanaltaler ist heute viel schlechter als zui Zeit des Faschismus. Die alten Pfarrei gibt es nicht mehr, in slowenischen Pfarren sind aus dem slowenischen Küstenland Pfarrer eingesetzt, die deutschen Pfarren haben aber keine Pfarrer ihres Volkstums mehr. Vor kurzem hat sogar auf kirchlichem Gebiet eine bedenkliche Aktion eingesetzt, indem in Tarvis der Friedhof mit den deutschen Aufschriften mit kürzester Terminsetzung beseitigt wurde. Im neuen Friedhof dürfen nur noch Grabsteine mit italienischen Aufschriften erstellt werden. In den übrigen Orten sieht man aber überall noch die alten Aufschriften. Ein Vereinsleben der Kanaltaler gibt es nicht mehr. Die Ortsfeuerwehr Tarvis wurde erst in letzter Zeit behördlich deshalb aufgelöst, weil sie aus alten einheimischen Kärntnern bestand. Ihre Motorspritze kam nach Udine. Bei Bränden muß, wie im Jänner 1961 bei einem Großbrand geschehen, die Villacher Feuerwehr angefordert werden. Der Feuerwehr von Uggowitz (windisch- deutsch) wurden 1960 die öffentlichen Subventionen entzogen (100.000 Lire jährlich), so daß sie von selbst eingeht. Die Amtssprache (Bezirksgericht = pretura in Pontebba mit Grundbuch, Gemeindebehörden, Forstbehörde Tarvis) ist ausschließlich italienisch, ebenso die Unterrichtssprache in den Schulen. Deutsch wird als Fremdsprache vereinzelt gelehrt, jedoch von unzureichend ausgebildeten italienischen Lehrkräften. Das Slowenische darf auch als Fremdsprache nicht gelehrt werden. Zwei slowenische Lehrer in Saifnitz unterrichten andere Fächer, in italienischer Sprache.

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