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Als ich das Kriegsminisierium „siürmie"...

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Wer vielleicht Erinnerungen eines alten k. u. k. Offiziers erwartet, wird leicht enttäuscht sein. Der Kampf unserer Bürokratie um die Räume und das Ausbreitungsbedürfnis mancher Ministerien im Gebäude des ehemaligen k. u. k. Kriegsministeriums am Stubenring beschwor vor den Augen des Historikers, der inmitten des Militärapparats im zweiten Weltkrieg in eine seltsame Berührung mit diesem Gebäude trat, eine Erinnerung, die vielleicht auf Interesse hoffen kann.

Im Jahre 1942 erging angesichts der militärischen Entwicklung in Nordafrika und Italien, die Bombenangriffe auf Wien möglich machte, eine streng geheime Weisung des „Oberkommandos der Wehrmacht“ an alle Dienststellen, Kunstschätze, vor allem Gemälde, Plastiken und sonstige Erinnerungsstücke von historischem Wert, aus wehrmachtseigenen Gebäuden zu bergen. Der „Chef der Heeresmuseen“, ein kunst- und kultur- begeisterter Admiral, hatte schon im Jahre 1941 in Wien mit besonderer Besorgnis bei einem Besuch die prunkvolle Ausstattung verschiedener Wehrmachtsgebäude betrachtet. Die bitteren Erfahrungen in Berlin ließen es ihm angelegen sein, einen allgemeinen Befehl des Oberkommandos der Wehrmacht zu erwirken und diesen für den Bereich des Wehrkreiskommandos in Wien mit möglichstem Nachdruck zu versehen. So kam es, daß zum Unterschied von manchen Befehlen in der „großdeutschen Wehrmacht einmal die richtige Stelle mit der richtigen Aufgabe beauftragt wurde: das Heeresmuseum in Wien.

Als Gefreiter mit historischer Ausbildung war ich an diese Pflegestätte der Tradition der alten Armee verschlagen worden, und unter der Anleitung von Vorgesetzten, die in ihrer Eigenart und in ihrem Können noch einen letzten Abglanz unserer alten kaiserlichen Armee verköiperten, konnte ich Wissenschaft und Militärdienst vereinen. Als mir die schwierige Aufgabe der Bergung aller Kunstschätze in den wichtigsten Gebäuden der Wehrmacht in Wien übertragen wurde, war es mir klar, daß diese Aufgabe nicht leicht zu lösen war. Zunächst gab es da das „Wehrkreiskommando“ im Prachtgebäude am Stubenring. Schon die erste Durchsicht der Inventare ergab, daß wertvollste Gemälde am Stubenring in den verschiedenen Amtsräumlichkeiten,

die einstmals das österreichische Landesverteidigungsministerium beherbergt hatten, zu finden waren. Ohne die Unterstützung des „Kommandierenden Generals" und vor allem ohne Mithilfe der Hausverwaltung selbst war kaum ein Erfolg zu erreichen. Als Grundlage stand uns nämlich nur die Abschrift eines Befehls zur Verfügung, und wie leicht konnten doch Befehle negiert oder zu- mindestens umgangen werden, wenn ein Gefreiter mit ihrer Durchführung beauftragt war. Die Spezialerlaubnis, mich bei dieser Mission der Zivilkleidung zu bedienen, erleichterte die nötigen Vor sprachen, ehe die „Schlacht begann. Der .Kommandierende General“ versprach weitgehende Unterstützung, verhehlte jedoch nicht, daß beträchtlicher Widerstand verschiedener, in seinem Amtsgebäude untergebrachter Sonderdienststellen, die bei dem herkömmlichen Befehlswirrwarr seiner Gewalt nicht unterstanden, zu erwarten wäre. Diese betrüblichen Aussichten eines dauernden Kleinkrieges hoben kaum die Stimmung, wurden jedoch unverhofft beseitigt durch die tatkräftige Mithilfe des aus dem Bundesheer stammenden Hausintendanten. Mit einigem Herzklopfen und unter Mithilfe eines Trupps untauglicher Wiener

Soldaten, welche diese Kommandierung als eine angenehme Unterbrechung des eintönigen Barackendaseins empfanden, begann die „Schlacht um das k. u. k. Kriegsministerium". Die gutfundierten Inventarlisten und die mit Augenzwinkern erteilten Hinweise des Hausverwalters auf den Charakter oder,

besser gesagt, auf die mehr oder minder cholerischen Eigenschaften der einzelnen Zimmerinhaber erleichterten die Verhandlungen, ’ die mit „sanfter Gewalt“ unter nachdrücklichem Schwenken der Order durchzuführen waren. Zunächst schien alles glatt zu gehen. Wo in prachtvollen Unteroffiziersräumlichkeiten Stiche und Gemälde aus dem 19. und

20. Jahrhundert die Wände schmückten, war es leicht, den Glanz aus der Hütte zu zaubern. Kritischer gestalteten sich die Aktionen in den verschiedenen Repräsentationsräumlichkeiten. Hier hingen wahre Kostbarkeiten, Gemälde von Alexander Pock und Ludwig Koch, kostbare Stiche von L'Allemand und Bilder, die einstmals noch das alte Kriegsministerium Am Hof geschmückt hatten. Mit Überredungskunst und mit einem bezeichnenden Seitenblick auf den Wunsch des Kommandierenden Generals, unter Hinweis auf die Notwendigkeiten der militärischen Lage gelang da uftd dort ein Uberrumpelungsversuch, und doch mußte in einzelnen Fällen der Appell an die Vernunft und Einsicht zerflattern, wenn etwa ein General der Artillerie sich um keinen Preis von den Schlachtengemälden, die ihn umgaben, trennen wollte, weil sonst die schön gezierte Wand einen leeren und häßlichen Fleck aufgewiesen hätte. In den Diensträumen des längst nicht mehr in Wien weilenden Feldmarschalls List gelang es uns, Ludwig Kochs Triptychon der altösterreichischen Reiterei einem wildgewordenen Feldwebel zu entreißen und im Triumph zu entführen. Es waren Wochen härtester

Arbeit, die jeden Tag neue Überraschungen mit sich brachten, bis das Gebäude am Stubenring durchgearbeitet war. Als letztes hatte uns die Hausverwaltung — ganz nebenbei — noch auf die Bodenräumlichkeiten aufmerksam gemacht. Wir vermuteten dort nur abgelegtes Gerümpel und waren nicht wenig erstaunt, daß diese Halle, denn nur so konnte man diese Räumlichkeiten bezeichnen, die sich über Hunderte von Metern hinzogen, für weitere Wochen Arbeit für unser Bergungskommando versprach. Unter Ruß und Staub fanden sich nun erst jene Schätze, die wir in unseren Verzeichnissen nie fanden und kaum vermuteten. Lithographien ehemaliger Generäle der kaiserlichen Armee aller Gattungen und Zeiten, Ölgemälde und Stiche von Mitgliedern des Kaiserhauses — scheinbar Bilder, die man 1918 als Schutt der Vergangenheit achtlos weggeräumt hatte. Eines Tages stießen wir in einem Haufen von Ziegeln, Staub und zerbrochenen Rahmen auf einige Ölbilder, deren Umrisse unter dem Schmutz fast nicht mehr zu erkennen waren. Wie groß war unsere

Überraschung, als unter der Hand des Restaurators nach Abdecken der jahrzehntealten Schmutzschichte aus einem der Bilder ein völlig uab ekanntes Porträt des Feldmarschälls Laudon uns in seltener Pracht entgegenleuchtete. Es bestätigte die Vermutung, daß beim Umzug des alten k. u. k. Kriegsministeriums auf den Stubenring auch der Bodenkram mit ungehohenen Schätzen dorthin übertragen worden war.

Im Jahre 1944 fielen die ersten Bomben in das heutige Regierungsgebäude. Sie konnten die Mauern erschüttern, aber die Kunstschätze, die das Erbe, die Taten und das Sterben der alten, für Österreich nie verlorenen Armee einschlossen, nicht mehr verbrennen.

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