6552053-1947_50_10.jpg
Digital In Arbeit

Der Heldenkampf einer Lehrerschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Der heldenhafte Widerstand der norwegischen protestantischen Kirche gegen die deutschen Okkupanten und gegen die im Dienste des Dritten Reiches stehende Quis-ling-Regierung ist in der „Furche“ * geschildert worden. Dieser Widerstand richtete sich in erster Linie gegen das Neuheidentum der N. S (Nasjonal Sämling) und der „Hir-den“, der norwegischen Hitlerjugend. Zur gleichen Zeit führte die Lehrerschaft Norwegens einen erbitterten Kampf um die politische Unabhängigkeit der Schule, um die eigene Freiheit und um die Seele des Kindes. Kirche und Schule, Pfarrer und Lehrer standen in geschlossener Abwehrfront nebeneinander. Die Geschichte dieses Kampfes wird immer denkwürdig bleiben.

Den Auftakt zu der Auseinandersetzung zwischen der Quisling-Regierung und der nor-wegisdien Lehrerschaft gaben die Vorfälle an der Osloer Handelsschule am 30. November 1940. Mehrere Professoren und Schüler wurden an diesem Tage von Quis-ling-Anhängern verprügelt, weil sie „geistig einen jungen Hirden mißhandelt hätten“. Sofort mischte sich das Parteiorgan der N. S. ein, und auf deutsche Intervention wurde die gesamte Schulleitung reorganisiert: alle direkt vom Staate abhängenden Schulen sollten unter die Aufsicht eines N. S.-Oberinspektors (lies; Kommissärs) gestellt werden. Der Ministerkommissar für kirchliche Angelegenheiten, Skancke, verlangte gleichzeitig von den Lehrern, daß sie sich „auf Ehre und Gewissen verpflichteten, zugunsten der N. S. und aller durch die neue Staatsgewalt getroffenen Maßnahmen zu arbeiten“. Hierauf anwortete die Lehrerschaft mit der bündigen Erklärung, daß sie in erster Linie ihrem Beruf und Gewissen treu sein wolle und Befehle nur von ihren bisherigen Vorgesetzten entgegenzunehmen gedächten.

Zu Beginn des nächsten Jahres erschien . eine revidierte Ausgabe des Lutherschen Katechismus, in welchem etwa das Gebot, Vater und Mutter zu ehren, folgendermaßen begründet wurde:

„Damit Norwegen ein richtiges Heim sei, muß jeder seine Verantwortung kennen. Die Rücksicht auf das Volk muß jeder anderen voranstehen. Das v öffentliche Wohl muß vor dem privaten Wohl stehen. An der Spitze von allem steht der Gehorsam unserem Staatsoberhaupte und der Landesregierung gegenüber. Sich gegen die Staatsgewalt und gegen den Staat auflehnen, heißt, sich gegen das Gebot Gottes auflehnen und verlangt Bestrafung.“ Dies war der Geist, in welchem man Norwegens Jugend zu erziehen wünschte, Norwegens Jugend, die in dem gleichen Katechismus aufgerufen wurde, sich um das Sonnenkreuz zu scharen.

Genau ein Jahr später erließ die Quisling-Regierung ein Dekret, daß die Teilnahme der Jugend von 10 bis 18 Jahren an der Bewegung der „Hirden“ verfügte, damit sie im nationalsozialistischen Geist erzogen werde. Am gleichen Tag erschien ein zweites Gesetz, das die Schaffung einer Berufsorganisation der Lehrer und Lehrerinnen Norwegens befahl und den Eintritt in diesen politisch „ausgerichteten“ Verband obligatorisch erklärte. Über 10.000 Lehrer, das ist fast hundert Prozent der gesamten

Lehrerschaft Norwegens, lehnten diese Verfügungen kategorisch ab. Das Bischofskollegium fühlte sich verpflichtet, einzugreifen und riditete am 14. Februar einen Protest an Minister Skancke, in welchem es unter anderem heißt:

„Durch die Taufe des Kindes wurde die Verantwortung für seine Erziehung den pltern anvertraut. Die Schule ist eine Hilfe, welche mit den Eltern an dieser Erziehung arbeitet; denn nach den ersten Paragraphen des Sdiulgesetzes ist es die Pflicht der Schule, den Eltern zu helfen, ihren Kindern eine christliche und moralische Erziehung zu geben. Das Elternhaus und die Kirche haben deshalb ein gemeinsames Mitspracherecht, was die Schule anbetrifft. Die Schule kann keine Autorität ausüben, die gegen die Verpflichtungen der Taufe und des fünften Gebotes verstößt. Es steht den Eltern frei, Fremden das Redit einzuräumen, den Charakter, den Glauben und die Überzeugung ihrer Kinder zu beeinflussen. Diese Verantwortlichkeit des Gewissens bedeutet nicht nur eine Pflicht für die Eltern, sondern ist ihr absolutes Recht. Ebenso ist das vierte Gebot: ,Ehre Vater und Mutter' nicht nur für die Kinder eine Pflicht, sondern bedeutet ein ihnen von Gott verliehenes Recht'.“

Die Regierungsverfügung hatte einen sehr geringen Erfolg: nur etwa zwei Prozent der Schulkinder wurden in die neue Organisation eingeschrieben. In Zehntausenden von Exemplaren war im Lande ein Zirkular verbreitet worden, welches die Eltern zum Protest gegen die Zwangsmobilisierung ihrer Kinder aufforderte; Gleichzeitig erklärten sich fast sämtliche norwegische Universitätsprofessoren solidarisch mit den Kirchenführern, den Lehrern und den Eltern der Schulkinder. Die Regierung aber ließ die Lehrer wissen, daß ihre Weigerung, an der neuen Berufsorganisation“ teilzunehmen, einer Demission gleichkomme und daß die Demissionierten zu erwarten hätten, in ein Arbeitslagerin Norwegen „oder anderswohin“ berufen zu werden.

Inzwischen hatten mehrere Bischöfe abgedankt und waren verhaftet worden. Die Regierung und ihre Amtsorgane befanden sich in einer äußerst gereizten Stimmung. Am Abend des 24. Februar wurden mehrere Mitglieder des Vorstandes der früheren Lehrervereinigung verhaftet, Anfang März wurden — unter dem Vorwand der Kälteferien — die Schulen geschlossen und eine erste Gruppe von Lehrern zum Arbeitsdienst einberufen, „eine kleine Demonstration dessen, was man bei Widersetzlichkeiten gegen den Staat erwarten konnte“. Es folgten weitere Verhaftungen und Verschickungen: aus dem Distrikt Oslo allein wurden mehr als 300 Lehrerin die Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen. Bis zum 20. März waren insgesamt 110 0 Lehrer in Haft. Nur vier von ihnen gaben nadi, alle übrigen wurden in das Lager von Grini bei Oslo und nach Jör-stadmon bei Trondheim deportiert, wo sie unter der Aufsidit deutscher SS schwere Arbeit verrichten und an Ertüchtigungs-übungen teilnehmen mußten, die körperlichen Züchtigungen gleichkamen. Nur 20 fielen ab; weitere 30 der ältesten Internierten wurden wieder in Freiheit gesetzt.

Am 12. April wurden auf einem Frachtdampfer, der normalerweise 250 Personen fassen konnte, 500 widerspenstige Lehrer von Grini an Trondheim vorbei in die Gegend von Kirkenes gebradit. Ihr Zustand war so schlecht, daß sich der Bischof von Trondheim und 28 Pastoren — sogar auch der Gouverneur der Stadt, ein Quis-ling-Anhänger — an den Staatschef wandten. Quisling antwortete, daß die Verantwortung für das Schicksal dieser Lehrer einzig auf die Kirche und deren widerspenstige Bischöfe falle, die das Volk in die Irre geführt hätten.

Obwohl von dem harten Schicksal der Deportierten immer wieder Einzelheiten durchsickerten, wurde der Widerstand der Lehrer nicht schwächer. Diese standen nicht allein. In Kirchen und Bauernstuben hielt man Unterrichtsstunden ab und für die brotlosen Lehrer wurden Kollekten veranstaltet. Einem solchen Widerstand gegenüber wurde die Regierung zaudernd und mußte einen Teil ihrer Verfügungen zurückziehen. »

Verdient gefeiert wurde der heldenhafte Widerstand der norwegischen Lehrerschaft durch den schwedisdien protestantischen Bischof Aulen von Strängnäs, der anläßlich des norwegischen Nationalfeiertages am 17. Mai im Rathaus von Stockholm in einer Ansprache sagte:

„In unserer nordischen Einfalt hatten wir nie geahnt, daß sich solche Vorfälle ereignen können, besonders nicht in unserer skandinavischen Welt. Wir bildeten uns ein, daß eine solche Brutalität, wie sie in Norwegen herrscht, höchstens in einer früheren Zeitepoche möglich gewesen sei. Jetzt wissen wir es! Aber wir wissen noch nicht alles! Was wir aber erfahren haben, genügt, um uns ein klares Bild dieser abscheulichen Verheerung zu vermitteln.

Wir sehen Norwegen geschlagen, in Ketten, geplagt, in seinem Körper und in seiner Seele gemartert. Aber wir sehen noch mehr! Wir sehen das, was dem menschlichen Blick als Schönstes, Höchstes und Befreiendstes zu betrachten gestattet ist: wir sehen ein Volk, das nicht schwach wird, das leidet, aber fest bleibt, stark, unbeirrt. Ich weiß nicht, ob diese Haltung besser als mit diesen Bibelworten bezeichnet werden kann: .Bedrängt auf alle Arten, aber nicht besiegt; verfolgt, aber nicht verlassen; in Not, aber nicht in Verzweiflung; niedergeschlagen, aber nicht verloren; als Sterbende betrachtet, und siehe, wir leben!'“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung