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Bekenntnis aus Zeit und Not

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Die Portale romanischer und gotischer Monumentalbauten tragen über den Türstürzen Tympanonreliefs, die in sakralen oder historischen Darstellungen eindringlich auf die Würde der Räume hinweisen, zu denen jene den Zugang vermitteln. Während diese Bauplastik im Laufe des 15. Jahrhunderts allgemein „unmodern“ wurde und der formende Wille sich auf die Gestaltung der spätgotischen Flügelaltäre konzentrierte,: besitzt Altsteiermark eine imposante Reihe von Tympanonreliefs dieser Zeit. Die frühesten unter ihnen, so die beiden Reliefs der Verkündigung und der Kreuzabnahme an der Wallfahrtskirche in Straßengel (um 1400) und die gemessene . vielfigurige Darstellung der Schutzmantelmadonna in Maria-Neustift bei Pettau (Ptujska gora, um 1420), sind hohe Leistungen von Salzburger Steinbildhauern, die über den ganzen Ostalpenraum hin ihre Werke versandten. Zu diesem Kreise, der seinen Schwerpunkt in der Salzburger Dombauwerkstätte hatte, gehört auch der untere Reliefstreifen am Tympanon des Hauptportals der Wallfahrtskirche in Mariazell, eine Folge prachtvoller Andachts- und Kampfszenen, den Karl Garzarolli auf 1438/39 datierte. Schon in diesen Jahren treten (wie an dem darüber befindlichen Kreuzigungsrelief) in Salzburg geschulte, in Obersteier (wohl Judenburg) ansässige Bildhauer hervor; mit ihnen beginnt eine Reihe bodenständiger St.ein-skulpturen, die nicht mehr von der monumentalen Gesinnung Salzburgs, sondern von einer in den langen Notjahren unter Kaiser Friedrich III. (1440 bis 1493) aufgekommenen kleinbürgerlichen Art zeugen, die nach 1440 in einem jähen Umbruch ihre neue, derb expressive Kunstsprache fand.

Ein aufschlußreiches Hauptwerk dieser Zeit birgt das ehemalige Zisterzienserstift Neuberg an der Mürz, die 1327 gegründete Tochterslillung von Heiligenkreuz. Seine vollendet harmonische, weitgespannte Hallenkirche und Teile des südlich anschließenden Kreuzganges bergen erlesenste Steinplastik, so an den figuralen Konsolen des östlichen Kreuzgangarmes (1330 bis 1340), in denen die kirchliche Symbolik reizvolle Gestalt gewinnt. Unter Abt Christian de Polan (1411 bis 1417) entstanden am südlichen Kreuzgangflügel das über einem Sechseckgrundrisse in den Kreuzgarten vortretende Brunnenhaus und gegenüber das mächtige zweischiffige Refektorium, über seinem spitzbogigen Portale, das nur aus dem Brunnenhause sanftes Licht empfängt, dämmert das tief unter-schnittene Relief der Kreuzigung des Herrn. Die hageren Gestalten entwickeln sich nicht im Sinne eines konsequenten Reliefstils aus dem Reliefgrunde, der Andeutungen bergigen Geländes und ferner Bauten eingetieft trägt, sondern sie erscheinen wie vollplastisch, bewegen sich aber mühevoll in dichtem Gedränge. Diese dramatische Gestaltung, bei welcher jede körperliche Aktion um freien Raum kämpft, dürfte einer Entstehung um 1455 bis 1460 entsprechen. Aus d,en Schwierigkeiten, mit denen die plastische Formung des Reliefs ringt, läßt sich schließen, daß ihr eine malerische oder zeichnerische Vorlage zugrunde lag. Wie eine solche ausgesehen haben mag, zeigen uns die Kreuzigungen „im Gedräng“ des Salzburger Malers Conrad Laib von 1449 aus Salzburg und von 1457 in Graz, beides Breitkompositionen, deren Gestaltenfülle sich in wohlbedachte Gruppen gliedert. Am Neuberger Tympanonrellef dagegen ergab das Hochformat eine Uberfüllung des Vordergrundes, auf welchem sich die individuell gebildeten Figuren hart stoßen und überschneiden. In den Gemälden Laibs lassen sich die Ahnenreihen der teils ritterlich verfeinerten, teils volkstümlich derben Gestalten bis zu oberitalienischen Fresken des Trecento aus dem Kreise der Paduaner Meister Altichiero und Avanzo zurückverfolgen. Das Neuberger Relief dagegen weist in Köpfen und Gebärden innerlich empfundene, anscheinend unmittelbar aus dem Volksleben gegriffene Charaktere auf. Diese Einzelheiten und nicht die Gesamtkomposition verleihen dem Relief die fast erschreckende Wirkung, die es namentlich bei Nahbetrachtung ausübt: hier will nicht plumpe Darstellung menschlicher Qual billige Anteilnahme erwecken, sondern der Geist versinkt in eine tiefsinnige Ausdeutung des Erlösungsgedankens.

Bitter hart faßt das Sterben den Heiland an, der mit geschlossenen Augen das Haupt zur Seite wendet, als wolle er einsam sterben; von Hohngelächter verzerrt ist das emporgerissene fette Genießergesicht des bösen Schachers, sinnend gesenkt und allem Leide entrückt das des reuigen Sünders, auf dem sich die Not nicht des Sterbens, sondern des Gewissens erschütternd malt. Die gleiche Schamhaftigkeit in der Äußerung der Empfindungen beherrscht die Gruppe um die hinsinkende Gottesmutter und Maria Magdalena, die im Leid mit dem Kreuzesstamme verwächst. Neben ihr steht grell die Gruppe der um Christi Gewand würfelnden Söldner: wie in bitterer Ironie stößt der mittlere der Geharnischten die Köpfe seiner streitenden Kameraden gegeneinander. Ebenso bitter wirkt die Teilnahmslosigkeit der Reiter in der dahinter liegenden Raumschichte. — Auf allen Gesichtern suchen wir vergeblich die letzte Prägnanz des Ausdrucks. Offenbar trug das Relief ursprünglich eine farbige Fassung, welche die Details erst schuf, den Augen erst ihren Blick verliehj daher muten uns heute die farblosen Köpfe skizzenhaft an — ein Anstoß für unsere Vorstellungskraft, das tiefsinnige Werk weiterzudenken und zu vollenden, wobei wir ganz in seine herbe Gesinnungswelt eindringen. Dabei helfen uns besonders zwei Vordergrundfiguren: von links her tritt schleppenden, ja schwankenden Schrittes ein bärtiger Waldbruder, wohl Josef von Arimathia, auf die Mariengruppe zu, einen Becher vor sich tragend. “Trostlos und voll apokalyptischen Schreckens starrt sein tiefgefurchtes Haupt auf den Heilandstod; ihm gegenüber verläßt eine männliche Gestalt, den Mantel über den gesenkten Schultern, den schattenden Hut tief über das Gesicht gezogen (wer dächte hier nicht an Peter Brueghel), von

Grausen erfüllt, Golgatha. In diesen beiden in die Bildkomposition und die Handlung einbezogenen Zuschauern finden wir die eigene Empfindung bestätigt.

Tiefster Ernst prägt die Neuberger Kreuzigung; sie ist das Bekenntnis eines von der Erlösungsidee erfüllten Künstlers, der die Unseligkeit einer leiderfüllten Zeit selbst durchgekostet hatte. Uberblicken wir die Summe des Unheils, das die Entstehungsjahre unseres Werkes dem Lande brachten: 1452 wurde Kaiser Friedrich III. in Wiener Neustadt von Aufständischen belagert, 1456 der ehrgeizige Dynast Ulrich v. Cilli ermordet; 1457 brachte das dunkle vorzeitige Ende des Kaiserneffen Ladislaus Posthumus, 1462 die schmachvolle Belagerung des Kaisers in der Wiener Hofburg. Hinter allem stand drohend die wachsende Türkengefahr. — Ist es ein Wunder, wenn in der Kunst dieser Tage das menschliche Leid, zu dem des Heilands verklärt, hundertstimmig auftönt: in der Heilandsklage, der Schmerzens-symphonie der Passion und den Schrek-ken von Golgatha in dem Tympanon von Neuberg?

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