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Mikroskopisches

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Sein Name war Alfred Wolfgang Schulze. Das war in Berlin, als er noch Geige spielen lernte. Als er noch Sohn eines hohen Staatsbeamten war: bevor er „aus der Art schlug”. Bevor er den Staub der Welt unter die Füße nahm und jenen inneren Abbau Deutschlands, der 1933 begann und entgegen anderslautenden Beteuerungen noch heute anhält, mit der Emigration beantwortete.

Sein Leben verbrachte er in Spanien, in Frankreich, in Schlupfwinkeln, im Internierungslager, auf der Flucht: ein Nomade, der seine Zelte immer nur für kurze Zeit aufschlug. Dort, wo noch ein Rest Freiheit und Menschlichkeit zu finden war. 1936 nahm er den Namen W o 1 s an. Er schlug sich als Photograph durch, als Mechaniker, als Hungernder — und malte. Seine Oelbilder und Graphiken begannen die Malerei unserer Generation mehr zu beeinflussen als die Werke irgendeines seiner Zeitgenossen. 1951 starb er, 1958 war er der meistbeachtete Maler der Biennale in Venedig.

Eine Auswahl seiner Radierungen und Aquarelle ist in der Galerie St. Stephan zu sehen. Zu sehen? Mehr: zu erfühlen, zu begreifen. Eine Miniaturwelt geistiger Durchdringung zu erahnen. Es sind lauter kleine Blätter: Kaltnadelstiche, Gouachen von hinreißender Subtilltät, jedes dieser winzigen Werkchen eine eigene Erfindung, eine eigene Schau auf das Verborgenste, Geringfügigste im Kosmos. Da wuchern Gräser, Wurzeln, Zwiebeln, Amöben, Plasmen einer mikroskopischen Natur: zuweilen sind es Härchen, zuweilen ist es nur ein Keimen, ein Hauch von dünnen, sensiblen Linien, Punkten, Schatten einer minuziösen Pflanzenwelt. Aber auch Städte sieht man flimmern und ahnungsvolles Takelwerk von Schiffen. Man muß steheableiben, schauen, sich vertiefen, das Gesehene memorieren, den Zauber wirken lassen, sonst geht man leer aus. Und das wäre ein Verlust.

Einer Ausstellung seiner Zeichnungen „anläßlich seines 70. Geburtstages” folgt nun (Galerie Welz) eine seiner Gemälde aus dem letzten Jahrzehnt. Längst schätzen wir Steinhart als Schilderer strahlender Landschaft des Südens, doch den Preis muß man seinen heimatlichen Bildern zusprechen, in denen Unsagbares der an sich schlichtesten Motive auf uns wirkt: eben durch die eigenartige Gestaltungsweise des Künstlers ist dem gelassen Schauenden Heimatschönheit verkündet. „Wiesenweg zwischen Getreidefeldern”, „Bauern im Kleefeld”, diese Bilder sagen uns: Schau doch hin, und du spürst, wie hier Natur zur Seele spricht. Wie merkwürdig der breite Strich des Pinsels unserem Auge Innerlichstes gibt, wie er die heimliche Bewegtheit des Seespiegels uns sehen läßtl Und dann die Abendstimmung: wie sie um die Eisstockschießer webt und im Bild des Toten Gebirges Mächtigkeit der Natur ins Unheimliche steigert! Solche Künst bedarf nicht erst romantischer Motive, die Wirklichkeit vor uns spricht die Verbundenheit mit unserem Innersten aus, indem sie die Vielfalt der äußeren Erscheinung von unserem Erfassen harmonisiert.

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