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Brandwache

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BRANDWACHE, GEDICHTE. Von Werner Riemerschmid. Bergland-Verlag, Wien, 1969. 100 Seiten, S 65.—.

Werner Riemerschmid, zum drittenmal jährt sich am 16. April sein Todestag, am 16. November würde er seinen 75. Geburtstag feiern. Nun ruft uns ein Gedichtband aus dem Nachlaß „Brandwache“, herausgege-geben von dem jüngst verstorbenen Rud. Felmayer, den Namen dieses kultivierten und wortgewandten Geistes wieder ins Gedächtnis. Er hält gleichsam einsame Brandwache, doch nicht an rauchenden Ruinen, sondern am anscheinend verlöschenden Herd antiken Feuers, das uns die humanistische Bildung beschert hatte, heute aber immer mehr in Vergessenheit zu geraten scheint. Doch „bisher ist es keinem gelungen ... den Flug der Funken zu hindern“. Der große Abgesang des Bandes, ein Gedichtzyklus verschiedenster Rhythmen und Formen, gewidmet dem Zeusheiligtum „Dodone“ weiß davon: „Lied, auch du bist Dodone und errichtet in uns allen, eine Orgel bist du, deren Tasten Zweige sind mit gelben Früchten, gefüllt mit dem Weltsaft der Worte.“ Doch Riemerschmid ist kein Schwärmer, er kennt die „furchtbar-schöne“ Zwielichtigkeit des Geistes. Seine Skepsis, sein Sarkasmus, sein Spott haben hier ihre Wurzel. Er kennt die Natur, die nicht nur „die Golddrossel singen läßt, sondern auch den Biß der Natter für dich erfand“, er kennt neben dem Logos das „entwurzelte Wort“, die Hinterlist des Betrügers „am menschlich gemimten, am verdächtig-innigen Herzton“. Seine „Schwarze Litanei“ weiß, wie mächtig dieses Gift oft wirken und werden kann. Vermag man da noch einfältig zu glauben? Nagt nicht am Herzen der Zweifel, die Verzweiflung? „Was sagst du sterbend? Sieh, es tagt?“ Der betroffen überfragte Mensch, sagte einmal Karl Rahner, den die Fragen quälen, auch ohne Antworten zu finden, auch er gehört zu den Dichtern des Heilen, gegenüber jenem Banausertum, das in seiner Sattheit überhaupt nicht fragt oder sich in Ideologien rettet. Wenn jedoch dann wenige verhaltene Töne einer Hoffnung aufklingen, sind sie ergreifender als pathetische Bekenntnisse, sie „trägt sein Wesen ins salzige Schicksal, das er einzutrinken nicht müd wird“, dann gilt: „Verwandlung gärt in der Kelter. Ergrünend spürt sie der Strauch“, und dann faltet das Wort sich auf, das du suchst, „und setzt sich zu dir auf die Knospe“.

Eine „seltene Stunde“ wird dem „auf verlorenem Posten“ und auf Brandwache Stehenden geschenkt, in der das Lied und Licht von Dodone über dem glimmenden Herd auf tönt:

DIE SELTENE STUNDE

Ein Schatten ist an dein Leben gefügt,

der es im Halbkreis umkriecht. Je nach dem Winkel der Zeit und dem Bogen des ziehenden Feuers wird dein Begleiter verkürzt zum Zwerg,

maßlos gesteigert zur Schreckgestalt, zum Narren entstellt, verzerrt, als Gaukler hingetuscht an die Wand und grau mit dem Staub vermischt.

Eine Wolke Zufall

wischt alles Hinzugedeutete weg

und läßt dich bestehn in dir selbst:

du feierst die seltene Stunde,

die, die überall Licht hat.

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