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Broadway-Igel zeigt die Stacheln

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Die Struktur des amerikanischen Privattheaters schließt die Existenz von Bühnen aus, deren Leitung über Jahre hinaus in den Händen eines dazu bestellten oder gewählten Direktors liegt. Die New Yorker Broadway- und auch die Off-Broadway-Theater tragen lediglich Namen; wann ein Produzent diese Häuser mietet, hängt von deren Verfügbarkeit ab; erzielt ein Stück einen Bombenerfolg, dann hat der Eigentümer des Hauses (der kein Theaterfachmann ist) auf lange Zeit keine Sorgen; gibt's eine Niete, dann muß er sich schleunigst nach einem neuen Produzentenkonsortium umschauen, das in dem verfügbaren Haus eine Neuheit herausbringen möchte.

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Die Struktur des amerikanischen Privattheaters schließt die Existenz von Bühnen aus, deren Leitung über Jahre hinaus in den Händen eines dazu bestellten oder gewählten Direktors liegt. Die New Yorker Broadway- und auch die Off-Broadway-Theater tragen lediglich Namen; wann ein Produzent diese Häuser mietet, hängt von deren Verfügbarkeit ab; erzielt ein Stück einen Bombenerfolg, dann hat der Eigentümer des Hauses (der kein Theaterfachmann ist) auf lange Zeit keine Sorgen; gibt's eine Niete, dann muß er sich schleunigst nach einem neuen Produzentenkonsortium umschauen, das in dem verfügbaren Haus eine Neuheit herausbringen möchte.

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Mit dem Fluktuieren des Theaterbetriebes verbunden ist ein nicht endender Aufmarsch der zum Bühnengeschäft gehörenden Publicity-und Presseagenten, einer Garde von Männern, die sich durch immer neue Namen frisch und jung erhält. An nichts als an Werbung interessiert, bekümmert es sie mehr, durch Trommelschlagen das Haus zu füllen, als sich vielleicht über Werdegang und Arbeiten des Autors zu informieren.

Mit den Presseagenten Tuchfühlung zu nehmen, ist ein Zeit und Geld kostendes Unterfangen, über dessen Schleich-, Um- und Zwischenwege jeder Auslandskorrespondent ein extrabetrübliches Lied zu singen weiß. Man wird zuerst fernmündlich im Büro des Produzenten oder am Kassenschalter des betreffenden Theaters vorstellig, um des Namens des allgewaltigen Herrn habhaft zu werden, der die Rezensenten „betreut“. Wichtig, wie er sich tut, weilt er — wann immer man ihn anruft — „in einer Konferenz“ oder hat „eben vor zwei Minuten“ sein Büro verlassen, um den Lunch einzunehmen.

Glückt es einem, ihn nach sechs weiteren Anrufen gegen 17 Uhr, also vor Bürotorschluß, in persona zu erreichen und sein Anliegen vorzubringen, dann wird man mit der höflichen Bitte abgespeist, das Gesagte doch lieber auf Papier bringen zu wollen, ist doch ein Brief als „Unterlage“ für den gestellten Antrag zweifellos unerläßlich. Reißt einem mit dem Näherrücken des Premierentermins die Geduld, klingelt man sich wieder durch, bis der Bonze aller Bonzen, konferen-zen- und eseensmüde, in seinem Office sitzt und „Ach ja, wie konnte ich nur vergessen...“, oder „Warten Sie mal, vie'leicht kann ich etwas für Sie tun, sieht zwar jetzt mies

aus“ Verständnis heuchelt, einmal mit dem Endresultat, daß man für die siebzehnte Vorstellung ein Billett erhält, mehrmals jedoch mit dem Bedauern, daß sämtliche der Presse zustehenden Sitze längst vergeben sind...

Aber all das, wenn auch in der Gegenwartsform geschildert, gehört der Vergangenheit an. Mit Beginn der diesjährigen Spielzeit hat sich das Bild gänzlich verändert. Man weiß nicht, ob die eine eigene Vereinigung bildenden Presseagenten einen Beschluß gegen die „Zulassung“ von Rezensenten für ausländische Zeitungen faßten, aber der nackte Tatbestand läßt eine derartige Verschwörung vermuten. Es hilft nichts: auch die im Mitgliederverzeichnis des New Yorker Verbandes der Auslandsjournalisten separat als „akkreditierte Kulturkorrespondenten“ Angeführten werden am Erfüllen ihrer Berufspflicht gehindert.

Die Erklärungen variieren. Da heißt es, das Stück sei ja bereits in London oder Paris gespielt worden. Dort, das Stück werde ja bald in ganz Europa gespielt werden. Dann: das Stück war ein derartig großer Erfolg, daß es auf Monate keine Pressekarten gebe, oder: das Stück war eine derartig eklatante Niete, daß es schon morgen vom Spielplan verschwinden werde, öfter als einem lieb ist, bekommt man jetzt zusätzlich zu hören: „Warum soll uns eine Besprechung .drüben' interessieren? Wird deshalb irgendwer aus Zürich oder Buxtehude nach New York kommen und sich eine Theaterkarte kaufen? Stimmt: wir haben nur noch drei Tageszeitungen in New York, aber vergessen Sie nicht die vielen hundert amerikanischen Zeitschriften, alle Provinzblätter: die bringen uns Leute ins Haus! Und mit einem Paar Pressekarten je Vorstellung —

wollen Sie mir sagen, wann ich auf Auslandskorrespondenten Rücksicht nehmen kann?“

Man wirft etwas ein von der Wichtigkeit amerikanischer Kulturgeschehnisse und erfährt, „damit ganz fehl am Platze zu sein“. So erklärte ein Presseagent: „Broadway — das ist nicht Kunst, Broadway ist Geschäft, reines Geschäft!“ Was steckt hinter diesem plötzlich frontal aufgezogenen Isolationismus der Broadwayleute? Nichts als das Eingestehen einer großen Scham? Was sich in letzter Zeit entlang des „Großen Weißen Weges“ und in seinen längst nicht mehr sicheren Seitenstraßen offenbart hat, war im allgemeinen als Niedergang des Theaterbetriebes wahrhaftig keines Berichts nach dem Ausland wert. Die neue Broadwaypolitik muß als Selbstschutz verstanden werden, denn es steht außer dem Verlust eines „Geschäfts“ hinter den Kulissen doch auch der Verlust eines Prestiges (und wie man heute sagt: eines Image) auf dem Spiel...

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