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Digital In Arbeit

Dichter und Dicfiterin

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Dichter und Dichterin hatten einander lieb — waren jedoch arm. Und Armsein ist das große Aber in der Liebe. Trotzdem gibt es ein größeres Aber, das ist die Hoffnung. Und darum waren sie glücklich. Der Dichter war glücklich, sowie die Dichterin gegenüber an seinem großen Schreibtisch saß und schrieb. Da blickte er häufig von seiner Arbeit auf, sah zärtlich zu ihr hinüber und lächelte. Das war die Hoffnung, die aus ihm lächelte. Warte nur, lächelte die Hoffnung im Auge des Dichters, warte nur, und dann sagte sie gar nichts mehr und träumte.

Und die Dichterin war so glücklich, wenn sie an des Dichters großem Schreibtisch saß und wieder Manuskripte abschrieb. Denn auch in ihr glühte eine Hoffnung, nur daß sie etwas andere Träume hatte. Wenn ich das Manuskript abgeschrieben haben werde, dann gehe ich hinüber zum Händler um Tee und um Zucker. Lind dann frage ich: „Haben Sie vielleicht auch Brot — bitte, geben Sie mir davon und geben Sie mir Butter dazu. So, das ist alles. Ach, ich habe das Geld nicht bei mir, wollen Sie mir die Sachen so mitgeben? Es wäre sehr freundlich. Ich zahle morgen bestimmt.“ Und der Händler sagt: „O bitte, es ist durchaus nicht eilig.“ Und er macht ein feines Paket aus den Sachen, ein freundliches, weißes, rundes Paket mit einem Bindfaden um den Leib. Dann öffnet er höflich die Tür, und die Dichterin trägt das Paket hinauf in das Zimmer des Dichters. Da wird es behutsam geöffnet, der Bindfaden aufgerollt und in dem Kästchen verwahrt. Tee, Zucker, Butter und Brot werden auf das Bücherbrett gelegt. Dort ist die meist leere Vorratskammer. Solcherart sind die süßen Hoffnungen der Dichterin, während ihre Feder übers Papier läuft.

Sie sind beide glücklich — sie und ihr Dichter. In beiden arbeitshastenden Seelen spielen die Träume und lächeln.

Man klopft. Ein Freund ist gekommen, auch ein Dichter. Er schmökert „Guten Tag“ in das Zimmer Und wirft seinen Hut in eine Ecke. Während er in einer anderen Platz nimmt, auf einem ächzenden Sofa, fährt er mit der Hand durch die künstlerisch wirre Lockenfülle und blickt die Dichterin mit schmachtenden Augen an. „Habt ihr etwas zu essen für mich? Ich habe nämlich einen unheimlichen Hunger. Uebrigens gehe ich gleich, ich wollte bloß einige Briefe schreiben. Außerdem möchte ich euch ein paar Gedichte vorlesen. Es geht wirklich rasch.“ Und die Dichterin lächelt mild und geht hinunter zum freundlichen Kaufmann. Sie holt Tee, Zucker, Butter und Brot, so wie sie es vorher ausgedacht hat, auf Borg, und der Freund ißt und trinkt. Dann setzen sie sich zurück, feierlich — die drei. Und der Freund liest seine Gedichte. Jedes birgt unter wucherndem Unkraut ein Kleinod, eine schöne, edle, duftende Blüte. Sie schütteln ihm die Hand und sagen einige herzliche Worte. Er lächelt, fährt sich durch die Locken und läuft davon. Die Anerkennung hat ihn zu neuen Taten begeistert.

Nun sind sie allein, freuen sich, und dann geben sie sich viele Küsse. Doch dann sitzen sie wieder einander gegenüber, und ihre eiligen Federn trippeln übers Papier.

Lind wieder klopft es an die Tür, derb, diesmal und zornig. „Ich komme mit den Rechnungen, es könnte doch möglich sein, daß Sie endlich zahlen.“ Der Dichter lächelt f'huldbewußt, rückt an der Brille und steht auf. Er geht hin zu dem Mann mit dem wütenden Blick. „Bitte, warten Sie noch kurze Zeit. Ich bin mit einer größeren Arbeit beschäftigt. Sowie diese erledigt ist, habe ich Geld, viel Geld.“ Und als jener sich nicht bewegt und auch nicht ein bißchen freundlicher aussieht: „Sie bekommen dann alles auf einmal, die ganze Summe.“ Mürrisch fragt der andere: „Wann?“ Der Dichter 'Murmelt: „Etwa in drei Wochen.“ Brummend wendet sich der Mann ab und zieht die Tür krachend hinter sich ins Schloß.

Sie sind wieder allein — er tritt zu ihr und streicht ihr zärtlich über die Haare. „Mein fleißiges Kerlchen, bald wird es besser gehen. Sowie die Gelder kommen, fahren wir den ganzen Tag hinaus ins Freie. Das haben wir beide nötig.“ Sie fragt: „Meinst du, daß etwas kommt?“ Er sagt: „Vor dem Briefträger ist man nie sicher.“

Es klopft wieder an die Tür. „Herein!“, jubeln beide. „Ein Bankbrief“, sagt der Mann mit den freundlich blinkenden Uniformknöpfen. Und der Dichter unterschreibt bebend. „So“, sagt er und zieht aus der Westentasche den Notgroschen hervor — das kann man nunmehr entbehren. „Danke schön“, sagt der Briefträger und tappt hinaus. Kaum hat er die Tür hinter sich geschlossen, springt die kleine Dichterin auf und tanzt durchs Zimmer. „Heute gibt es ein Festessen — heute essen wir im Künstlerklub Kalbskopf.“ Er tollt ihr nach. „Und dazu trinken wir Sekt.“ Sie bleibt plötzlich stehen. „Weißt du was, ich gehe jetzt, kaufe einen Marktkorb, dann gehe ich auf den Markt, wie eine tüchtige Hausfrau. Und ich hole Pilze und Gemüse, alle Sorten Gemüse, die es überhaupt gibt.“ Er springt elegant über den Tisch. „Du kannst sogar eine fette Gans mitbringen“, ruft er ihr zu. Sie sagt: „Und dann gehe ich in eine Konditorei, ich esse Kuchen, alle Sorten Kuchen.“ Er forscht: „Und was bringst du deinem Dichter mit?“ Sie sagt: „Meinem Dichter bringe ich ein Paar Hausschuhe mit und eine Krawatte und eine Kiste Zigarren.“ Er langt nach dem Hut. „Ich muß ja erst das Geld von der Bank holen“, sagt er und nimmt die Anweisung. „Welche Bank ist es denn?“ Er sieht auf das Papier und bleibt stumm. Sein Blick wird starr, der Ausdruck seines Gesichtes steinern. Da steht in klaren nüchternen Schriftzügen: Zwei Mark. Auf dem Abschnitt ist noch zu lesen: Honorar für einen Aphorismus.

Dichter und Dichterin sitzen wieder über ihre Blätter gebeugt.

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