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Einige bittere Wahrheiten

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Wer Mittwochabend in Zandvoort dem städtischen Orchester aufmerksam zuhörte, hat sich nicht verrechnet. Man kehrte munter heim, die Ueberzeugung mit sich tragend, daß das Zandvoorter Musikleben, wiewohl es die Kinderschuhe noch nicht abgelegt hat, sich dennoch auf dem guten Wege befindet und durch ständiges Durchhalten (ich denke hier vor allem an die Streicher, die Bläser und das Schlagwerk) an Höhe und Tiefe gewinnen kann. Denn mit gutem Willen kommen wir noch nicht ans Ziel. Es oll gearbeitet werden. Und feste. Ich denke hier vor allem an die Bläser. Die Holzinstrumente klangen leidlich, das Bledi erbärmlich. Was hat Herr Kesselbfink um Himmels willen mit seinem Piston angestellt? Er schraube zu Hause das Mundstück mal ab und spüle es kräftig durch, so daß wir künftig von seinem trüben Quaken erlöst sind. Und was hat den Posaunisten Lahmkopf dazu veranlaßt, das Scherzo aus dem zweiten Teil mit seinem unsinnigen Tuten zu befingern? Er übe zu Hause in seinem Keller, wenn er dann unbedingt tuten will. Keiner wird etwas dagegen haben. Aber er höre auf, öffentlich Beethoven zu blasen. Das geht nicht. Die Regierung soll hier eingreifen. Er werde gerade vor einem Konzert krank oder fahre gegen einen Baum, wenn er sich zu sagen schämt: Ich habe keine blasse Ahnung davon.

Herr Determaier ist zweifelsohne ein tüchtiger Hoboist, solange er nur still sitzt und nichts tut. Doch sobald er die Hoboe an die Lippen setzt, ist es nichts. Abgesehen von dieser kleinen Unvollkommenheit können wir von diesem hingebungsvollen, durch und durch zuverlässigen Bläser noch viel erwarten.

Eine Frage, die ich mir während des ganzen Konzertes schon gestellt habe, ist diese: Was hat Herr Fischerring eigentlich mit seiner kleinen Flöte vor? Meint er im Ernst, daß das widerliche Röcheln, das er hervorbringt, länger als eine Minute auszuhalten ist? Herr Nibbelbein dagegen, dem, man in einem unseligen Augenblick das Waldhorn anvertraut hat, würde gewiß eine anständige Figur machen, wenn er nicht gewohnt wäre, gerade vor der Aufführung einen Teller Brei zu essen. Dieser Tatsache ist zweifelsohne der fremde, wir dürfen wohl sagen: sprudelnde Klang zuzuschreiben, den er diesem noblen Instrument entlockt. In den hohen Noten erhebt er sich zwar über dieses Uebel, doch verfällt er sofort in ein anderes Extrem: er fängt an, zu piepen. Und sein Piepen könnte man noch ertragen, wäre es nicht solch ein durch und durch trübseliges, schwaches, dünnes und dürres Gepiepe. Daß einer piept, schön. Aber dann geradeaus, aus vollem Halse. Hiervon bekommt man Bauchschmerzen.

Und was hat Herr Radmacher in Gottes Namen mit seiner Baßpfeife angerichtet? Ließ er sie eine Nacht im Regen stehen? Hat einer darauf getreten oder die Nase darin geputzt? Oder kam einer seiner kleinen Söhne auf den Einfall, den Broterwerb des Vaters mit Klei vollzustopfen und schämt der Junge sich nun, dieses vor dem Beenden der Wintersaison zu bekennen? Wir raten Herrn Radmacher dringlich, entweder eine neue Baßpfeife zu kaufen oder die alte einmal mit einem Auge gegen das Licht zu halten. Indem er einfach weiter spielt, als sei nichts los, macht dieser tüchtig arbeitende Musikus sich unmöglich. Er passe auf. Es gibt noch andere Baßpfeifer im Lande. Er halte sich dieses für gesagt.

Hinsichtlich Herrn Brillestrahl kann ich mich kurz fassen. Er ist zu dick. Er bläst ausgezeichnet, besitzt einen schönen Ansatz und einen trefflichen Absatz, aber er ist zu dick. Völlig unmöglich! Fügen wir diesem Umstände zu, daß Herr Brillestrahl vollkommen kahl ist und überdies jedesmal bei der doppelt gestrichenen b seine Nasenflügel aufzieht, dann ist es wohl deutlich, daß es für diesen übrigens verdienstvollen Bläser höchste Zeit ist, wegzugehen. Er soll das Feld räumen für junge, schaufähigere Kräfte. Ein Orchester ist nicht nur etwas zum Zuhören, es ist auch etwas zum Ansehen. Das Auge will auch etwas haben. Und das große Wort muß fallen: Herr Brillestrahl verunziert das Ensemble. Als Bläser ist er hier durchaus am rechten Platz, als menschliches Wesen erregt er Befremden. Sein merkwürdig gebildeter Hinterkopf lenkt die Aufmerksamkeit von der Partitur ab. Seine unförmlichen Waden und Schenkel fügen unserem Namen im Ausland Schaden zu. Er muß weg. Er muß heraus. Er muß fort. Kurz und gut, er muß gehen.

Einige Worte über den Dirigenten, Herrn A, Koch. Es hat sich herausgestellt, daß diese junge Kraft, alles zusammengenommen, ein Gewinn ist. Er dirigiert mit Hingabe und con brio und schämte sich nicht, als das hauchdünne Pizzikato sich näherte, den Frack auszuziehen und sich in Aermeln ganz zu geben. Aber warum der Mann nun eben dieses Hemd angezogen hat, ist mir ein Rätsel. Er stelle sich zu Hause mal vor dem Spiegel auf und schaue auf den Rücken. Weiter sage ich nichts. Es genüge.

Seine Arm- und Rumpfbewegungen sind zu loben und es zeigte sich, daß vor allem das Hüftgelenk sich ausgezeichnet für den Dreivierteltakt eignete. Aber warum, so fragt man sich verwundert, warum macht Herr Kodi nichts mit dem linken Bein? Geht er von dem Gedanken aus, diesen Körperteil straflos verwahrlosen zu können? Herr Koch passe auf. E i n Federstrich des Zandvoorter Wahlausschusses und Herr Koch fliegt. Es gibt mehr Dirigenten, die über dem linken Bein gestrauchelt sind. Herr Koch bilde sidi vor allem nicht ein: mir kann nidits passieren. Und zwar aus dem wichtigen Grund, daß ihm nodi allerhand passieren kann. Gemessen an internationalen Maßstäben, wie Toscanini, Horobatsky und dem in Schottland sich pfeilschnell erhebenden Jones, ist Herr Kodi ein einfacher Pfuscher. Er begreife das gut. Er wasche vor allem das Hemd. Dann reden wir weiter.

Die Harfenistin Landa Labotska, die nach der Pause auftrat, wäre lächerlich gewesen, hätte ihr Auftreten nicht unser aufrichtiges Mitleid erregt. Zunädist: sie setzt das Instrument völlig verkehrt an den Mund. Weiter: sie hält das linke Pedal mit einer Ausdauer niedergedrückt, die bei einem Autorennfahrer vielleicht zu loben wäre, doch bei einer Harfenistin wunderlich anmutet. Und wieviele Male muß man es noch wiederholen: Füße auswärts? Und wie oft hat man es schon nicht gesagt: zuerst Atem holen und dann blasen? Zusammenziehen der Bauchmuskel, durdibeugen des Zwerchfelles, Lungentechnik, es war alles ungenügend. Was das Instrument selbst betrifft: in welchem Basar hat Frau Labotska dieses Zeug gekauft? Wer hat ihr diesen Schund angeschmiert? Weldies Familienmitglied hat ihr zu Weihnachten diese Sdierz-harfe geschickt, kaum ahnend, daß Frau Labotska diesen Witz ernst nehmen würde?

Uebrigens verdient der Zandvoorter Orchesterverein jedes Lob für die Weise, in der er diesen Abend Beethoven zu Gehör brachte. Er war wieder der alte Beethoven. Darum ist das Konzert in Zandvoort ein erfreulicher Schritt in die gute Riditung. Wir müssen weitergehen auf dem, was Zandvoort angefangen hat.

Aus dem Niederländischeii übersetzt

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