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Fremder Gast

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Die folgendeen Tage haben nur einen Gedanken und einen Namen: Hanns. Und alles ist hell und sieht aus, als könne niemandem mehr ein Leid geschehen .„

Ich führe Hanns zu meinem verborgenen Pfad. Die Sonne scheint und eine Menge Zyklamen sind aufgeblüht. Fast über eine Nacht sind sie aufgeblüht. Aber Hanns bleibt stumm und fährt mir nur leise durch das Haar, obschon er sichtlich gerührt über mein kleines Bemühen ist. Und dabei brenne ich doch so, etwas von draußen zu erfahren. Von draußen, das ist wie ein heimlicher Traum. Endlich, endlich kann ich mich nicht länger mehr beherrschen. „Und ihr... ihr an der Front?“

.Ach, wir ...“, antwortet er und schüttelt den Kopf.

„Erzähl doch!“ bitte ich. Da sieht er mich seltsam an.

„Ich — ich lebe ja 6chon gar nicht mehr. — Wir, wir alle leben ja schon lange nicht mehr.“

Des Nachts schreit er manchmal auf und gibt verworrene Befehle. Oder er stöhnt und wimmert, daß es fast nicht zum Anhören ist.

.Und Grete?“ fragt er mich einmal. Bisher hat er den Namen nicht über die Lippen gebracht. Nun ist es endlich so weit. Hanns und Grete, es war wie im Märchen gewesen, wir hatten oft gelacht darüber. Nun will ich ihm keine Antwort geben. \

.Und Grete?'

Da beißt er die Zähne aufeinander, daß die Lippen blau und wie zwei dünne Striche werden. „Ist ja auch besser so.. i ist... ja ... auch besser so ...“ Da muß ich sie entschuldigen. „Sie hat nur dich geliebt.“ (Wie einfältig das in einem solchen Augenblick klingt!) „Nur dich. Aber Fred Korthe war auf Urlaub da und krank und ganz zerbrochen und...“ Es schmerzt, wie Hanns seine Finger in meine Schulter bohrt... „Und... und nun ... zwei Jahre alt... ein Sohn .. .*

Schweigen. Und ich möchte am liebsten heulen...

„Und wie ... ich meine... wie heißt er... ihr Sohn?“

.Hanns ...“ Da läßt er mich stehen und geht davon. Mitten durch den Wald geht er davon ...

Zwei Tage später kam ein Brief aus Wien. „Liebe Eltern!“ fing er an. Als Mutter ihn las, wurde sie bleich bis in die Lippen hinein.

„Wenn Ihr diesen Brief in Händen habt, bin ich schon wieder an der Front. Ich muß Euch um Verzeihung bitten, für all das Leid, das ich Euch angetan. Möge auch Gott mir verzeihen, aber ich wäre vollends zugrunde gegangen in diesem Dorf. Ich bin... wir alle von draußen, wir sind nur noch Tiere, deren Leben eine einzige Hetzjagd ist, die Ruhe und Sonnenschein gar nicht mehr verstehen können, die immer auf der Lauer oder auf der Spur von feindlichem Wild sein müssen. Wir sind wie Jagdhunde geworden, die selbst im Schlaf noch bellen und

fliehen oder verfolgen. Es ist, o Gott, es ist furchtbar, bis man so weit gekommen ist. Man verliert alle Wege zu sich, zu seiner Vergangenheit. Man wird ein neuer Mensch, nicht doch, man wird ein Tier. Man liegt im Dreck, man frißt ihn sogar, wenn man Hunger hat, und man freut sich, einmal krank zu werden. Denn dann hat man wenigstens Zeit, sich die Läuse aus dem Hemd zu klopfen. Man läßt sich einen Bart wachsen, man ißt mit den Händen, man trägt schmutzige Fingernägel und wäscht sich den Schweiß nicht vom Leib... und man gewöhnt sich daran. Jawohl, man gewöhnt sich daran, ja, mehr noch, man lernt es sogar ein wenig lieben. Den langen Bart, die schmutzigen Fingernägel, den Dreck, das Blut und den Schweiß ... Aber bis es endlich so weit gekommen ist... Und nun bin ich bei Euch. Und schlafe in weißen Betten. Und vergesse mir die Stiefel auszuziehen. Und muß mit Gabel und Messer essen. Und darf nicht brüllen und schreien und herumrennen, wenn mir etwas das Herz abdrücken will. Und muß meine Zähne mit einem sanften Bürstchen putzen. Und trage weiche Wäsche und habe keine Läuse mehr und ... Und bin auf einmal irgendwie wieder der Alte geworden. Der, der ich Wtfc bevor der Krieg begonnen hatte... Da aber... o welch plötzlich zermürbende Angst, welche Qual und welches Erwartenl Weil man ja doch wieder hinaus muß an die Front, in das Flammenmeer ... Herr Gott, was gibt es denn eigentlich noch für Namen dafür? Namen, die all das ausdrücken, was wir so gerne sagen möchten. Und doch nie sagen können. Weil man ja doch wieder von vorne

beginnen muß. O diese Spannung, dieser seltsam zerwühlende Schmerz, sich seinem alten Leben nicht mehr hingeben zu können, dem Sonnenschein, den weidenden Herden, den ... (ich weiß schon gar kein Wort mehr dafür und habe auch schon wieder Läuse. Im Zug sind sie gewesen, auf den Bänken, unter den Bänken, im Fensterrahmen, im... wohin man nur immer sah, Läuse, Läuse, Läuse). O diese Spannung! Und weil das alte Leben ja doch nicht mehr das alte ist. Weil es des Duftes entbehrt, der Würze, weil Grete... Doch nein, das liegt alles meilenweit zurück. Und dann... in irgendeinem Winkel deiner Seele kauert ja doch die Angst, das Grauen vor dem Morgen, wenn du auch noch so sehr das Gestern fürchtest. Das alles aber ist so groß, das alles ist so arg, daß du endlich nicht anders mehr kannst und Gewehr und Mütze nimmst und gehst und gehst, um dieser Furchtbarkeit des Wartens zu entfliehen. Seid mir nicht böse darum.

Sollte ich jemals zurückkommen, dann... Ihr werdet viel Geduld haben müssen mit mir... Sollte ich nicht mehr zurückkommen, dann ... Doch, das wäre vielleicht besser.“

Als Mutter den Brief gelesen hatte, waren ihre Wangen so weiß wie ihr Haar und schwere Schweißtropfen rannen ihr von der Stirne herab. „Das habe ich ... nicht... gewußt...“, murmelte sie ... „das nicht...“

Dann ging sie mit bloßen Füßen auf das Feld hinaus, auf das frisch gemähte Held. Und die Stoppeln zerstachen ihr die Füße, so daß sie zu bluten begannen.

Es war wie ein Symbol.

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