6554329-1948_13_07.jpg
Digital In Arbeit

Girardi

Werbung
Werbung
Werbung

Generationen haben mit ihm gelacht. Seine Aussprüche gingen von Mund zu Mund, seine Kollegen konnten oft vor Lachen minutenlang nicht weitersprechen, und doch war Alexander 'Girardi, dessen Todestag sich am 20. April zum 30. Male jährt, kein bloßer Komiker, kein Hanswurst, kein Stranitzky — er war der interessanteste Schauspieler seiner Zeit. Im dümmsten Schwank, in der seichtesten Saisonoperette, in der banalsten Vorstadtposse gab es plötzlich einen Augenblick, der das Lachen der Menge schlagartig bannte — einen Augenblick tiefer Tragik, ausgelöst durch eine Geste, eine einfache Pause, ein wehmütiges Lied, das die Menschen in ihren ureigensten Gefühlen anrührte. Und das alles ohne „Requisit“, wie es in der Theatersprache heißt, ohne Madie oder Pose — geboren aus einem reinen Herzen. Und dieses Herz, dieses biedermeierisch elegische Fluidum, das er ausstrahlte, gemischt mit seiner instinkthaften Schauspielernatur, die oft leidenschaftlich zum Ausbruch kam, waren sein Geheimnis. Nie war er rührselig, oft aber rührte er; nie ein Clown, und man lachte Tränen über ihn; kein Tragöde war er und doch so tragisch. In einer Posse- von Buchbinder hatte er einen verkommenen alten Schmierendirektor zu spielen. Zwei Stunden hindurch hatte man sich vor Lachen geschüttelt. Im letzten Akt erschien er nach seiner Schmieren-, ,Hamlet“-Auffüh- rung. Langsam schritt er über die Bühne

— im roten Königsmantel die Krone aus Pappendeckel schief auf dem alten Komödiantenhaupte, den Zwicker ganz vorn auf der roten. Nase. Man lachte sich krumm. Mit jedem seiner Schritte wurde das Lachen stiller — bis es gänzlich verstummte und ergriffenem Schweigen w ch. In dieser einen Minute hatte uns Girardi die ganze Tragik eines zerbrochenen Komödiantendaseins vorgespielt, trauriger, als dies ein langes Stück vermocht hätte. Und keiner von uns konnte auch nur annähernd begreifen, worin diese unbeschreibliche Wirkung lag.

Er war ein Genie und doch war er so unglaublich besdieiden, daß er zum Beispiel nie mehr durch die schon zu seinen Lebzeiten nach ihm benannte Girardigasse in Graz ging, denn „da möchten die Leut ja sagen, den begegnet man überhaupt nur mehr in ,seiner' Gass’n“.

Wenn man die Wiener fragte, was ihnen an Girardi so gefalle, erhielt man die treffende Antwort, die eigentlich keine war: er bat „so was Besonderes“. Ich glaube, besser hat man ihn nicht charakterisieren können, diesen lyrischen Komiker, diesen tragischen Spaßmacher. Denn in ihm lebte die ganze österreichische Seele, ein letzter goldener Zauber, der von Mozart und Schubert zu Raimund und Nestroy reicht. Weil die Menschen diese österreichisch wehmütig-heitere Atmosphäre an ihm witterten, galt er ihnen auch mehr als jeder andere Schauspieler. Hermann Bahr schrieb in seinem Girardi-Nekrolog: „Werden unsere Enkel uns noch verstehen, wenn wir ihnen erzählen, was uns Girardi bedeutete? Vielleicht nicht mehr. Aber wir werden es ihnen mit so viel Tränen in der Stimme und so leuchtenden Augen erzählen, daß sie fühlen müssen: der Mann war der schauspielerische Ausdruck einer Zeit, die die schönste Wiens war.“

Girardi, der Schauspieler, repräsentierte den österreichischen Nationalcharakter in seinem Gemisch von Frohsinn und Melancholie, von leichter Selbstironie und musischer Lebensbetrachtung. Ein magischer Reiz ging von seiner Person aus, im Leben wie auf der Bühne. Nach dem alten Kaiser galt er als Wiens populärster Mann, den jedes Kind auf der Straße erkannte. Fm Gang mit ihm war ein Spießrutenlaufen durch die Gasse der Volkstümlichkeit. Der bescheidene Girardi dankte allen, nach links und rechts grüßend, mit seinem stereotypen Oht Meine Hochachtung !“. Und diese Hochachtung war nicht gespielt oder berechnet — sie war echt —, sie galt dem Menschen und nicht seinem Stande, auch ein Grund, warum er eine so liebenswerte, wahrhaft wienerische Figur war. Vor der Obrigkeit graute ihm stets im stillen: ein Amtsrat galt ihm als höheres Wesen, was ihn freilich nicht hinderte, auf der Bühne den Herrn Amtsrat mit unfehlbar charakterisierender Komik zu spielen. Ovationen waren Girardi entsetzlich. Als ihn anläßlich seines ersten Auftretens im Burgtheater am Bühnenausgang eine ungeheure Menschenmenge mit nicht endenwollenden Hochrufen bejubelte, rief der Umfeierte ganz verzweifelt: „Schreit’s nöt so! I bin doch not der Radetzky!“ Und doch, als er knapp vor seinem Tode, bereits 67jährig, „k. k. Hofschauspieler“ wurde, da freute ihn dieses „Begräbnis erster Klasse“, wie er ahnungsvoll sagte, aufrichtig.

Sein Aufstieg war meteorhaft. Mit einundzwanzig Jahren kam er 1871 ans Strampfer-Theater Unter der Tuchlauben, 1874 war er bereits der unumstrittene Herrscher des Theaters an der Wien. Die klas- lische Epoche der Wiener Operette hatte ihren klassischen Darsteller gefunden. Fast sämtliche Rollen eines jugendlichen Gesangkomikers in den Werken von Strauß, Millöcker und Suppe hat er kreiert. Seine Stimme, ein leicht umwölkter Tenor,, und sein Vortrag eroberten ihm Wien im Sturm. Der Erfolg einer Operette hing von der Girardi-Rolle ab, Komponist und Dichter fügten sich gerne seinen Wünschen. Vor der Premiere des „Zigeunerbarons" schrieb ihm Johann Strauß: „Ich aber fühle mehr wie jeder andere, wie man Deiner künstlerischen Kraft bedürftig ist, um ein Werk zu heben. In jeder Operette ist die Girardi-Rolle ausschlaggebend. Wir Autoren liegen in bezug auf das Schicksal des Werkes... in Girardis Hand. Möge der liebe Go t allen Menschen offene Augen und gute Ohrwascheln schenken, damit sie im selben Grade Deine Leistung würdigen, wie Dein dankbarer Freund Johann Strauß.“ Girardi hat nie singen gelernt und kannte bis zu seinem Tode keine Noten. Ich selbst habe es erlebt, wie ihm Emmerich Kalman auf dem Klavier seine Partie einmal vorspielte und Girardi sie nachsang, ohne Fehler, mit allen Nuancen des Vortrags, die er später auf der Bühne brachte. Rhythmus und musikalischen Instinkt hatte er in erstaunlichem Maß, daher war er auch ein mitreißender Tänzer. Man sah ihn noch mit 60 Jahren den Czardas im „Zigeunerbaron“ tanzen, daß „die Galerie herunterkam".

Allmählich, und gerade zur richtigen Zeit, fand dieser Zauberer der Bühne zum Fache des Volksschauspielers. Durch ihn wurde Raimund neu entdeckt. Girardi fand zum „Valentin“ im „Verschwender“, zum „Rappelkopf“ im „Bauer als Millionär" und damit zum vollendetsten Ausdruck seiner Kunst, ja noch mehr, durch Girardis Mission am Burgtheater wurde Raimund so recht zum österreichischen Klassiker. Die rührselige Gesangskomödie „Mein Leopold“ hat er mit seinem „Schuster Weigel“ zu einem kleinbürgerlichen Drama von der Kraft eines Anzengruber oder Schönherr gemacht. Nach Girardis Tod war sie unaufführbar ... Theaterhistorische Merkwürdigkeiten, die uns die so oft angezweifelte schöpferische Kraft des darstellenden Künstlers zu bejahen zwingen. Jahrzehntelang hat man die geniale Kraft Girardischer Kunst in farblosen Saisonstücken vergeudet. Girardi aber gab auch ihnen Inhalt, hauchte ihnen seine Seele ein. Seine Seele, die so heiter-ursprünglich, so rein-gläubig war, daß er keinen für ihn wichtigen Tag anders als mit einem Gange zum Grabe seiner Mutter und einer stillen Fürsprache beim Herrgott begann. In Riga kam er einmal verspätet zu einer Gastspielprobe. Besorgt hatte man nach ihm ausgeschickt und fand ihn end lich versunken in Andacht — in der Kirche.

So war Girardi ein rätselvolles Gemisch von ausgelassenem Frohsinn, von höchster Komik, aber auch von tiefster Verinnerlichung und gläubiger Lebensgestaltung.

Ja, er hat etwas Besonderes gehabt — Karl Schönherr hat es einmal so genannt: „Girardi war kein Volksschauspieler, sondern das Volk selbst — verstärkt, vertieft und verfeinert.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung