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Im BeicJitstuJJ

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Rose konnte den alten Kopf, der sich gegen das Gitter neigte, gerade nur sehen. Der Priester hatte einen pfeifenden Atem. Er hört zu — geduldig — pfeifend, während sie mühsam die ganze Qual vor ihm ausbreitete. Sie konnte hören, wie die Frauen, die draußen auf die Beichte warteten, gereizt mit den Stühlen knarrten. „Das ist es, was ich bereue“, sagte sie. „Daß ich nicht mit ihm, mit meinem Mann gegangen bin.“ Trotzig, herausfordernd und tränenlos sprach sie in den muffigen Kasten; der alte Priester hatte den Schnupfen und roch nach Eukalyptus. Mit freundlicher, nasaler Stimme sagte er: „Fahr fort, meine Tochter.“

Sie begann wieder: „Ich wollte, ich hätte mich umgebracht. Ich hätt' mich umbringen sollen.“ Der Greis wollte etwas einwenden, aber sie unterbrach ihn. „Ich bitte nicht um Absolution. Ich will keine Absolution. Ich will sein wie er — verdammt.“

Der Greis pfiff beim Atemholen. Sie war davon überzeugt, daß er nichts begriff. Eintönig erwiderte sie: „Ich wollt', ich hätte mich umgebracht.“ In der Leidenschaft ihres Elends preßte sie die Hände an ihren Leib, sie war nicht gekommen, um zu beichten, sie war gekommen, um zu denken — zu Hause konnte sie nicht denken, wo der Ofen nicht an war und ihr Vater brummte und die Mutter — sie merkte es ihren hinterhältigen Fragen an — darüber spekulierte, wieviel Geld ihr Mann ... Jetzt hätte sie den Mut gefunden, sich zu töten, wenn ihr nur nicht so angst gewesen wäre, sie könnten einander in jenem dunklen Land des Todes verfehlen, dem einen könnte irgendwie Gnade zuteil werden und dem andern nicht. Mit brechender Stimme sagte sie: „--diese

Frau, die ihn in den Tod getrieben hat... Die sollte verdammt werden. Zu sagen, daß er mich loswerden wollte! Die weiß nichts von Liebe.“ „Vielleicht hatte sie recht“, murmelte der alte Priester.

„Und Sie auch nicht!“ sagte sie wütend und drückte ihr Kindergesicht gegen das Gitter.

Plötzlich begann der alte Mann zu reden. Er pfiff dabei und blies seinen Eukalyptusatem durch das Gitter. „Du, meine Tochter“, sagte er, „kannst die... furchtbare... Seltsamkeit der Gnade

Gottes nicht ermessen — so wenig Wie ich oder sonst jemand.“

Draußen knarrten die Stühle einmal ums andere — die Leute wurden ungeduldig, wollten gern ihre eigene Reue, Sündenvergebung und Buße für die Woche hinter sich bringen. Er erschauerte und nieste. „Wir müssen hoffen und beten“, sagte er, „hoffen und beten. Die Kirche verlangt nicht, daß wir glauben sollen, irgendeiner Seele sei die Gnade auf immerdar versagt.“

Sie widersprach mit trauriger Uberzeugung: „Er ist verdammt. Er hat gewußt, worauf er sich einließ. Er war katholisch.“

Der Greis spracht sanft: „Corruptio optimi est pessima,“

„Vater—?“

„Ich meine, ein Katholik ist mehr als jeder andere der Sünde ausgesetzt. Ich glaube, .vielleicht sind wir — weil wir an Ihn glauben — in engerer Berührung mit dem Teufel als andere. Doch wir müssen hoffen“, schloß er mechanisch, „hoffen und beten.“

„Ich möchte hoffen“, sagte sie, „aber ich weiß nicht, wie.“

„Wenn er dich geliebt hat“, sagte der Greis, „so beweist das, daß doch etwas Gutes...“

In dem dunklen, engen Beichtstuhl grübelte sie dem Gedanken nach, „Und komm bald wieder“, sagte der Priester. „Ich kann dir keine Absolution geben — nicht jetzt — aber komm wieder —• morgen.“

Schlaff sagte sie: „Ja, Vater ... Und wenn ich vielleicht ein Kind ...“

Er erwiderte: „Mit deiner schlichten Seele und seiner Kraft... Mach einen Heiligen aus ihm — daß er für seinen Vater bete.“

Ein plötzliches Gefühl unendlicher Dankbarkeit brach durch den Schmerz — es • war, als sei ihr gezeigt worden, wie weit, weit in der Ferne das Leben seinen Fortgang nahm. Er sagte noch: „Bete für mich, meine Tochter.“

„Ja“, antwortete sie. „O ja.“

Draußen sah sie nach dem Namen am Beichtstuhl — aber es war keiner, den sie kannte. Priester kommen und gehen.

Sie trat auf die Straße. Der Schmerz war noch da, den konnte man nicht mit einem Wort auslöschen. Aber das ärgste

Granen, so dachte sie, war vorüber — das Grauen vor dem völlig geschlossenen Kreis — zu Hause, zurück zu sein, zurück zum Cafe, wo sie Kellnerin gewesen war — sie würden sie schon wieder nehmen —, ganz als ob der Junge nie gewesen wäre. Doch er war gewesen, würde immer sein. Plötzlich überkam sie die Überzeugung, daß sie Leben in sich trage — und stolz dachte sie: das werden sie doch nicht abstreiten können. Das werden sie nicht abstreiten können!“ Sie nahm den Weg hinaus zum .Strandweg, gegenüber dem Kursaalpier, und begann mit festen Schritten in entgegengesetzter Richtung zu Ihrem Elternhaus zu gehen — auf das Hau zu, darin sie mit ihrem Mann gewohnt. In diesem Haus, in diesem Zimmer gab es noch etwas, das sie bergen mußte — noch etwas, das keiner würde abstreiten können: seine Stimme, die eine Botschaft für sie hatte, und, falls ein Kind da war, auch für das Kind. „Wenn er dich geliebt hat“, so hatte der Priester gesagt, „dann beweist das ...“

In der spärlichen: Junisonne schritt sie rasch dahin — dem furchtbarsten Grauen von allem entgegen. Aus „Brighton Rock“, Paul-Zsolnay-Verlag,

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