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Im Bus mit Tantchen

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Es ist nicht immer ganz einfach mit Tantchen. Vor allem zu diversen Festivitäten das Passende zu finden wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Nach eigener Aussage hat sie ja ohnehin alles, braucht ohnehin gar nichts, ist ohnehin alles Plunder und überdies schert sich ohnehin niemand um sie.

Peng, der Vorwurfhagel sitzt.

Sitzt so, daß ich mich entschließe, Tantchen zum Geburtstag das Wertvollste zu schenken, was ich besitze: Zeit. Trotz fortgeschrittenen Alters reist Tantchen gern und zwar in Hordenformation, also Bus. Wegen des angegriffenen Zustands meiner Finanzen wählte ich eines dieser fast täglich im Briefkasten steckenden „Einmaligen Erlebnisse”. Kein See so blau wie der, den Sie mit uns ansteuern, kein Wald so förstergrün... Und dann noch die Übrigen Verheißungen: „Sie verbringen einen paradiesischen Tag in gemütlicher Gesellschaft mit anregender Unterhaltung und fördern obendrein noch Ihre Gesundheit. Und das alles zum Spottpreis von nur 990 Schilling. Gönnen Sie Ihrem Körper und Ihrer Seele diesen unvergeßlichen Tag!”

Warum hat mein innerer Warnwecker nicht geklingelt, wo ich doch sonst allen Paradiesversprechungen auf Erden mißtraue? Vielleicht war es der latent immer noch wirksame Bodensatz aus Katechismustagen, es gebe zeitliche Sündenstrafen. Oder eben, wie gesagt, Tantchens Geburtstag und die Ebbe im Börserl...

Die Fahrt begann für mich im Morgengrausen - ich bin ein Frühmuffel. Tantchen war sehr fit und begann sofort die übrige Reisegesellschaft einer kritischen Musterung nach werten und unwerten Gesprächspartnern zu unterziehen.

Tantchen hält ihrer linken. Nachbarin, einem jungen Mädchen einen gestrengen Vortrag über die Amoral der Heutigen. Wohl dauert mich das Mädchen, trotzdem genieße ich die Schonzeit. Auf die Uhr zu sehen habe ich mir abgewöhnt: Nach jeweils dreißig Minuten bewegten die Jauchzer der „Fatalen Käsekrainer” vom Endlosband des Kassettenrecorders den Hintermann zu rhythmischen Kniestößen gegen meine Sitzlehne.

Nach Stunden schunkelt der Bus endlich das enge, gewundene Bergsträßchen hinauf zu einem Dörfchen, in dem sich nicht einmal mehr die Füchse Gute Nacht sagen.

Man hält vor dem Gasthaus. Die Schar entkriecht steifbeinig, verschwitzt und zerknautscht dem stinkenden Bus, um sofort den gutbürgerlichen Mittagstisch zu belagern. Der Aperitiv: Orangenjuice, der vor einer - allerdings verschlossenen -Sektflasche gereicht wird. Als Hors d'oevre ein schamrotes Paradeisachtel, das sich in einem Salatblättch'en zu verstecken sucht. Die Bewältigung des Hauptganges besteht zur Hauptsache im Gang des Kellners, der mit unnachahmlicher Grandezza große Teller mit zwei sehr zierlichen Ce-vapcicis, wiederum im freundlichen Grün eines Salatblattes, serviert. Eindeutiger Höhepunkt des Gourmet-menus ist dann das Dessert: zwei Freddikeks in charmanter Begleitung einer Erdbeere.

Zu diesem Zeitpunkt erscheint der

Reiseleiter und bittet die lieben Gäste um Beeilung, damit sie ja nicht den Beginn des hochinteressanten medizinischen Vortrags versäumten. Dem Referenten muß ein anderes Menu als uns serviert worden sein; woher bezöge er sonst diesen Elan, diese durchschlagende Überzeugungskraft. Tantchen schwelgt in beistimmendem Nicken und fachkundigen Zwischenfragen. In Sachen Diät kennt es sich aus. Kein Wunder, bei einer Körpergröße von 155 cm und vierundachtzig Kilo Lebendgewicht. Mit Kennermiene kauft es schließlich die doppelte Menge des Adernputzers, denn damit bekommt es ein Dosier-fläschchen gratis. Und alles, was gratis ist, ist Tantchen doppelt wert. Nach dem Vortrag dann die Verteilung der wertvollen Geschenke zur ewigen Erinnerung: Ein Messerchen, ein Gäbelchen und ein rot-weiß-rot kariertes Serviettchen im Maß von 15 mal 15 cm.

Am späten Abend, unter einem Himmel voller Sterne, erreichten wir etwas erschöpft den Ausgangspunkt der Reise.Und Tantchen fand einmal nichts zu nörgeln: Es war ein einmaliges Erlebnis! Für mich auch. Jedenfalls ist meinerseits an eine Wiederholung nicht gedacht.

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