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In Wien am Ziel?

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Schon der Titel „Beise mit vorläufiger Ankunft” deutet an, daß der 1933 geborene slowakische Jude Paul Frommer geprägt blieb von den mehr oder minder unfreiwilligen Übersiedlungen während der ersten 24 Lebensjahre. So ist für ihn ohne Bessentiment, eher wohlgemut, bis heute jeder Aufenthaltsort ein „vorläufiger”. Aber der seit 1957 in Wien ansässige Wahlösferreicher und Inhaber der vom Vater übernommenen Textilfirma mag die Stadt und ihre Einwohner. „An einem regnerischen Wochentag des Jahres 1991 kehrte ich nach mehr als 42 Jahren für einen Besuch in meine Geburtsstadt Bratislava zurück.” Er fand alles wieder, die Häuser, aber: „Ich spürte - hier bin ich absolut fremd.”

Nun schrieb er „Erinnerungen”, weder beschönigend noch verteufelnd, mit lakonischem Humor. Stilistisch Ausdruck eines glücklichen Temperaments. Gute und ungute Erlebnisse und Charaktereigenschaften (auch die eigenen) werden einfach beschrieben - sine ira et studio.

Kindheitsjahre im gehobenen Mittelstand, NS-Zeit, Enteignung, Lebensgefahr, Befreiung, bald nachher kommunistischer Putsch - die Lage der Kaufmannsfamilie wurde unangenehm. Mit 16 Jahren ging er in das eben gegründete Israel. Linker Zio-nist oder zionistischer Linker, mußte er in der harten Pionierzeit im Kibbuz Kefar Masaryk natürlich ganz unten anfangen. Reiniger eines Stalles für 5.000 Hühner, er absolviert das mit Eifer, „Vergnügungen waren eher spärlich”. Umso mehr wurden sie aber geschätzt.

Im Dezember 1951 hatte er genug vom Linkszionismus (ohne ihm ein abschätziges Wort nachzusagen) und reiste per Schiff nach Frankreich. Es folgt die „Wanderschaft”. Paul findet es überall ganz schön und gut, nur nicht gut genug. Die Eltern gingen (hinterher könnte man sagen: voraus) nach Wien. Der Sohn versuchte es noch zwei Jahre mit anderen Ländern, dann erzählt er von „vorläufiger Ankunft” in Wien.

Schlußkapitel: „Wien”. Eine Laudatio auf Land und Leute. Desider Frommer, der Vater, handelte mit Handschuhen, der Sohn mit Pullovern. Trotzdem heißt die Firma noch heute (35 Jahre nach dem Tod des Vaters) „Frommer D & Sohn” Der lebenserfahrene Kaufmann schließt, ebenso glücklich wie vorsichtig: „Ich fühle mich wohl hier. Ob ich aber immer hier leben werde können?”

Ein „Gestriger”, der sich in diese Aufzeichnungen verirrt, könnte sagen: Na also, es ist ihnen gar nicht so übel ergangen. Doch folgt, quasi sicherheitshalber, ein „Epilog”, knapp mehr als eine Seite. „Ich wollte kein Buch über die vielen Toten schreiben, die es in meiner Familie gibt. Doch an einige möchte ich mich hier erinnern.”

Dieses „einige” erweist sich in erschütterndem Ausmaß als Ausdruck einer starken der Übertreibungsscheu. Die Geschwister der Eltern samt Familien, die Großmutter mütterlicherseits - ein Epitaph von 28 Druckzeilen. Nur Paul und seine Eltern hatten das Glück und die vitale Kraft, der Deportation zu entgehen. Und es gab, sehr vereinzelt, mutige Menschen, welche die Gefahr auf sich nahmen, Juden zu beherbergen. So ein Versteck nannte man „Bunker”. Paul Frommer erwähnt auch das mit aller Dankbarkeit.

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