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Nekrolog auf eine Ribisel

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Hochgeehrte Trauerversammlung!

Mit Recht haben Sie sich in so großer Zahl versammelt. Sie, meine verehrten Oesterreicher, aus allen Ländern und Ständen. Gilt es doch in dieser stillen Stunde eines großen Verlustes zu gedenken, den wir alle erlitten.

Unsere liebe Ribisel ist nicht mehr! Sie, die schöne, rote, pausbäckige österreichische Ribisel ist aus unserer Mitte verschwunden. Sie ist verschwunden, nicht, weil sie vielleicht ihres Daseins überdrüssig wurde, sondern weil sie das Opfer eines ganz schändlichen Attentates, ja eines Fememordes wurde, den außerdem — und dies das besonders Traurige — Oesterreicher ausführten.

Den geistigen Hintergrund dieses Vergehens hat vor vielen Jahren Hofmannsthal aufgedeckt, als er vom Oesterreicher behauptete, daß er die Gabe habe, sich in andere Menschen hineinzudenken, bis zur Charakterlosigkeit. Da eine große Anzahl von Oesterreichern vom Fremdenverkehr gut lebt, und mit Recht interessiert ist, daß die Ausländer sich in Oesterreich wie „zu Hause" fühlen glaubten sie es dem Touristenstrom aus Deutschland schuldig zu sein, ihm alle Speisen mit jenpn Ausdrücken zu offerieren, die die guten Deutschen in ihrer Heimat gewohnt sind zu gebrauchen. Und aus diesęp Gründen wurde unsere gute Ribisel lieimtückisch um die Ecke gebracht, unsere liebe Ribisel, in deren Name sich schon der ganze Schmelz der österreichischen Sprache ausdrückt.

Vergeblich sucht man jetzt auf einer österreichischen Speisekarte nach ihr. Es gibt kein Ribiselobst mehr, kein Ribiselkompott, keinen Ribiselwein, keinen Ribiselsaft. An die Stelle der ermordeten Ribisel ist die Johannisbeere gerückt, ausgesprochen „Johanniß-peere" Wer dieses Wort hört, muß unwillkürlich zusammenzucken, denn es klingt wie „Jarderegiment zu Fuß“ oder wie „Torgauer Marsch“ oder wie „Kommiß". Gewiß, in manchen versteckten Winkeln Oesterreichs lebt noch unsere Ribisel, aber sie führt ein ähnliches Dasein wie die ladinische Sprache in den Seitentälern Tirols. Das amtliche Hochdeutsch unserer Speisekarte kennt sie nicht mehr, und jeder Oesterreicher, der sich vergessend vielleicht einen Ribiselsaft beim Kellner bestellt, wird von diesem sicherlich völlig verständnislos angeblickt werden. Mit Recht sehe ich Tränen in Ihren Augen, hochverehrte Versammlung, ob dieses traurigen Geschehens.

Das Traurige an dieser Tatsache ist ja, daß es nicht das einzige derartige Unglück ist, das uns in den letzten Jahren, die so voll des Wirtschaftswunders waren, widerfahren ist. Neben der Ribisel wurde auch noch unser gutmütiger Erdapfel hingemordet. Auch die Erdäpfel weilen nicht mehr unter uns. Es gibt nur noch, „Kartoffel“. Erdäpfel, das waren schlichte, einfache Feldfrüchte, die ein dienendes Dasein führten, die in geringer Zahl die Existenz von Kalbsbraten, Nierenbraten oder Rindfleisch verschönerten, so wie eine kleine Dosis Salz — nicht zuviel — eine Speise verbessert. Die Kartoffel dagegen ist eine Speise, aus deren Namen man nur zu gut heraushört, wie sehr sich dieselbe ihres Wertes bewußt ist. Denn Kartoffel sind zum Unterschied von Erdäpfeln eine Hauptmahlzeit, die allein für sich genossen werden kann und die nicht einmal durch ein kleines Stück Fleisch verbessert werden muß. Mit Erdäpfeln kann man keine Kriege führen, aber das Vorhandensein einer genügend großen Anzab1 von Kartoffel genügt, um ein. Volk jahrelang in schweren Kriegszeiten zum Durchhalten zu bewegen.

Aber, verehrte Trauergemeinde, nicht nur die Ribisel und die Erdäpfel hat man uns genommen, auch die Paradeiser wurden ein Opfer dieser Fememörder. Denn nirgends mehr findet man in Oesterreich „Paradeiser“ auf den Speisekarten oder in den Geschäften, sondern immer wieder nur Tomaten, Tomaten und neuerlich Tomaten. Wieder steigen Tränen in Ihren Augen auf, hochgeehrte Versammelte, denn es wird Ihnen bewußt, daß dieser Verlust der Paradeiser etwas wie nach einem Vertreiben aus einem „Paradeisgarti“ aussieht.

Aber die Kette der Opfer ist noch nicht abgebrochen. Einer der schrecklichsten Verluste ist das Verschwinden des Obers. Es gibt kein Obers mehr zum Schwarzen, sondern nur noch ein „Gännchen Sahne“. Sahne, schlicht und einfach Sahne. Die Art dieses Getränkes ist eigentlich undefinierbar. Eine langatmige Erklärung könnte sie umschreiben als eine Flüssigkeit, die ausreicht, um in der Quantität eines Fingerhutes eine wäßrige braune Flüssigkeit, bezeichnet als „Kaffe“, einen weißen Schimmer zu verleihen. Aber bei „Sahne“ sollte eigentlich die Geduld der Oesterreicher zu Ende sein. Denn wenn es einmal kein Obers gibt, dann ist das Obers zu Unters verkehrt und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis man jenen „Kaffe“ erhält, zu dem das Wasser nicht mehr in Gläsern daneben, sondern in großen Quantitäten in demselben serviert wird. Wenn das Wort „Sahne" fällt, sollten die Oesterreicher zur Selbsthilfe greifen. Oder es sollte irgendeine höchste Instanz geschaffen werden, die das Recht erhält, jeden Oesterreicher, der dieses Wort ausspricht, die Sühne aufzuerlegen, „Heringsalat mit Sahne" zu essen. Jeder würde es sich dann überlegen, noch einmal „Sahne“ zu sagen.

Hochgeehrte Trauerversammlung! Noch viel wäre zu sagen über die verschiedenen „König- grätze“, die wir dauernd erleben. Es sei gerug der Beispiele, denn Ihre Tränen sind schon zu überreich geflossen. Das Traurige, wie schon erwähnt, ist, daß diese Fememorde alle von

Oesterreichern ausgeführt wurden und eigentlich völlig überflüssig sind. Denn die guten Touristen aus Deutschland, die uns auf suchen, wollen ja gar nicht ihre Speisen finden, sondern wollen österreichische Kost genießen. Ebenso wie sie, die deutschen Touristen, in Italien Spaghetti essen und nicht Bandnudeln, in Frankreich Pommes frites und nicht Kartoffelpuffer, so wollen sie in Oesterreich Salzburger Nockerl und nicht Königsberger Klöße, sie wollen ein Selchkarree und keinen Kassler Rippespeer, sie wollen eine Frittatensuppe und keine Ochsenschwanzsuppe essen. Sie wollen ja endlich einmal einen guten Kaffee mit Schlag und keinen Kaffe mit einem Gännchen Sahne konsumieren. Sie wollen ja auch zum Heurigen gehen und nicht zu einer Buschenschenke, bei der man Schmachtfetzen singt ä la „Wir gehören zusammen, wie der Wind und das Meer". Wozu also diese überflüssigen Worte, die geboren wurden aus einem völlig überflüssigen Hineindenken in das Leben anderer bis zur Charakterlosigkeit?

Ein Dichter sagte einmal: „Oesterreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält." Etwas umgewandelt könnte man dieses Wort fol gendermaßen zitieren: „Die Küche eines Volkes ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.“ Denn was man ißt, das ist man. Oesterreichs Küche, diese kleine _Welt einer kleinen Welt, wird heute von drei Seiten zu erobern versucht. Da ist einmal Italien, das als seine stärkste Waffe den Espresso geschickt hat. Jener Es-

presso, der mit seiner Hast dazu angetan ist, das gutmütige, verstaubte österreichische Kaffeehaus, in dem jeder fern von Beruf und Familie, einige geruhsame Stunden des Tages wohnen kann, zu verdrängen. Da ist ferner der Balkan, der immer mehr Restaurants nach Wien sendet. Metternich würde heute nicht mehr sagen: „Auf der Landstraße beginnt Asien“, sondern: „Der Balkan hat Oesterreich erreicht.“ (Er könnte hierbei außer auf die Restaurants auch noch auf einige Sitten und Gewohnheiten des öffentlichen Lebens, die sonst nur in Mazedonien, Bukarest oder Belgrad üblich waren, hinweisen.) Da ist drittens Deutschland, das zwar nicht seine kulinarischen Genüsse uns aufdrängt, aber dessen Speisenbezeichnungen die Oesterreicher sich selber aufdrängen wollen.

Oesterreich ist ein Land, das allezeit bereit war, aus fremden Ländern das Beste, was diese zu bieten hatten, bei sich aüfzunehmen und ins Oesterreichische umzuwandeln. Das galt auch für die Produkte der Küche. So wurden das ungarische Gulasch und die böhmischen Wuchteln, das italienische Risotto, der südslawische Bosniak in die Wiener Küche eingemeindet. Auch beim Espresso ist dies bereits gelungen. Denn die meisten Kaffeehäuser haben sich eine Espressomaschine angeschafft, für jene Gäste, die unbedingt ein solches Getränk haben wollen, für die übrigen Stammgäste sind sie dagegen das nette verschlafene Wiener Kaffeehaus geblieben, in dem man einen kleinen Mokka und zwanzig Glas Wasser trinkt und 3 5 Zeitungen liest (und gelegentlich ein Nickerchen macht). Ob die Gerichte der Balkanküche sich ins Oesterreichische umbiegen lassen, das wird erst die Zukunft lehren. Voraussetzung dafür ist;; daß Oesterreich Oesterreich bleibt und nicht ein Teil des Balkans wird. . i . .

Aber Kartoffeln, Tomaten, Johannisbeeren, Sahne können unmöglich in die österreichische Küche so aufgenommen werden, daß sie zu österreichischen Speisen werden. Denn die Art dieser Speisen ist konträr dem österreichischen Lebensstil. Werden diese Speisen wirklich dauernd bei uns eine Heimstatt finden, dann kann dies nur ein Symptom sein, daß es mit dem Oesterreichi- schen wieder einmal zu Ende geht.

Hochverehrte Versammlung, wir sind am Ende unserer Trauerstunde angelangt. Der Verlust der Ribisel, der ja nur ein Glied in einer großen Kette ist, hat uns schwer getroffen. Aber wir könnten diesen Verlust wieder wettrrrhen. Jeder der hier Versammelten, der jetzt wieder in sein Leben zurückkehrt, möge sich vornehmen, künftighin der Ribisel, dem Paradeiser, dem Obers, den Erdäpfeln wieder einen Lebensraum in unserem täglichen Leben zu verschaffen und dahin zu wirken, daß auch andere diesem Beispiel folgen. Dann werden wir auf einem kleinen Sektor, der doch sehr wichtig ist, wieder zu uns gefunden haben.

Die Ribisel ist tot, es lebe die Ribisel.

Die Trauerversammlung, hochverehrte Anwesende, ist geschlossen.

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