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Symphonie von Kultur und Kunst

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WIEN. EINE STADT ERZÄHLT. Magie der Inneren Stadt. Von Siegfried Weyr. Paul- Zsolnay-Verlag:, Wien-Hamburg. 32 Abbildungen, 421 Seiten, Leinen. S 180.—.

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WIEN. EINE STADT ERZÄHLT. Magie der Inneren Stadt. Von Siegfried Weyr. Paul- Zsolnay-Verlag:, Wien-Hamburg. 32 Abbildungen, 421 Seiten, Leinen. S 180.—.

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„In dieser uralten Stadt Wien, die der erste Bezirk, die ,Innere Stadt’, ist, steckt jeder Fleck voll von Erinnerungen, Tragödien, Komödien, voll der ewig erschütternden Dramatik des sich stets wiederholenden und sich doch stets erneuernden Lebens“, so beginnt das „Von den Römern zum .Dritten Mann’ “ betitelte Einleitungskapitel zu Siegfried Weyrs Werk „Wien, Magie der Inneren Stadt“, in dem der vor fünf Jahren verstorbene Autor den Leser durch die krummen Gäßchen und verschwiegenen Höfe des Viertels rings um den Stephansdom geleitet und uraltes Geschehen ins Blickfeld unserer Tage rückt.

Weyr ist es gegeben, die Stimmen längst versunkener alter Kulturen und ihrer Kulte wieder zum Tönen zu bringen. So macht er uns mit dem Reich des Slawenkönigs Samo vertraut, der die Ruinen Vindobonas im Uferraum Wiens zu einem wichtigen Stützpunkt für seine weitverzweigten Handelsbeziehungen ausbaute. Um den Hohen Markt herum entstand später die Innere Stadt. Immer noch entsprechen ihre Grundrisse dem Rasterschema des Legionslagers. Die Gassen und Plätze sind mindestens acht- bis neunhundert Jahre alt. Somit führt jeder Weg durch den ersten Bezirk in eine bewegte Vergangenheit. Noch heute wirkt die Freyung wie eine imposante Theaterdekoration. In den Türkenkriegen wurde sie zu einer Freistatt für Lebendige und Tote. Dort hat man 1683 2000 Gefallene begraben. Den Graben könnte man als Hauptschlagader der Innenstadt, die Himmelpfortgasse als die Straße Prinz Eugens, des Edlen Ritters, bezeichnen. Wie viele Geschichten, makabre und skurrile, könnten die Beiseln auf dem Fleischmarkt erzählen, vor allem auch das Griechenbeisel! Das war die Atmosphäre, in der sich einst der „Liebe Augustin“ ganz in seinem Element fühlte. Als Intellektuellenviertel Wiens galt die Sonnenfelsgasse. Die Schön- laterngasse mit dem Basiliskenhaus und der Heiligenkreuzerhof sind eine Welt für sich. Mit Recht kann man den Heiligenkreuzerhof als das älteste Zinshaus Wiens bezeichnen. Der Kern des Ganzen sind die Kapelle und der Prälatenhof, die in der Barockzeit demoliert und neuerrichtet wurden. Im Keller unter der Prälatur steht heute noch eine uralte Mauer aus Bruchsteinen mit ährenförmigem Muster, möglicherweise ein Rest des ersten Klosterhofes, der hier im 12. Jahrhundert stand. Die Schulerstraße nennt Weyr die Straße der Volkscafes und der kleinen Leute, dann geht es weiter durch die Grünangergasse, in der sich Grillparzers Jugenddomizil befand. In der Seilerstätte steht das Ronacher, eine Dependance der hohen „Kunst“, in dieser Gasse wurde Fanny Eßlers Salon zu einem Treffpunkt der Künstler und Kunstenthusiasten. Ebenso dramatisch wie tragisch war die Affäre des Obersten Redl, der sich, als Hochverräter entlarvt, im früheren Palais Orsini-Rosenberg, Ecke Herrengasse-Bankgasse, selbst richten mußte. Auf dem Kohlmarkt blühte damals der Handel mit Gemälden und allerlei Kuriositäten. Die Tuchlauben wurden ebenfalls zu einem Zentrum künstlerischen Lebens, dort fand vor allem das „Winterbierhaus“ regen Zuspruch. Eine eigentümliche Stimmung herrscht auf dem merkwürdig verzogenen, asymmetrischen Judenplatz, als schwebe noch immer eine Wölke schwerer Schuld über den alten Dächern. In dem Winkel beim Neunerhaus stand die alte Synagoge, in der 1421 ihr Rabbiner die Juden, die sich nicht bei den Weißgerbem verbrennen lassen wollten, mit dem Messer umbrachte, als letzten sich selbst.

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