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Mit Klemperer und Abbado
Wenn er zu seinem Sessel vor dem Pult geleitet wird, ist er ein von Krankheit und Alter gezeichneter Mann. Sobald Otto Klemperer, den Begrüßungsapplaus unterbrechend, den Stab hebt, verwandelt sich der dreiundachtzigjährige Riese mit dem Indianerprofil in einen König im Reich der Musik. Majestätisch setzt das Allegro des 1. Brandenburgi- schen Konzerts für konzertierende Oboen, Hörner und Streicher ein, ruhig fließend ziehen die vier Sätze der Serenade c-Moll von Mozart vorüber, majestätisch und prächtig erklingt die Jupiter-Symphonie. Diese Musik bedarf keiner „Interpretation“, es genügt, sie in ihrem edlen Wesen, ihrer handwerklichen Meisterschaft zu erfassen und als Ergebnis des schöpferischen Ingeniums darzustellen. Hierfür ist Klemperer der rechte Mann. Unter seiner Leitung erleben wir die Werke der Tonkunst gewissermaßen schmucklos, auf ihren Kern reduziert. Klemperers handwerkliches Geheimnis ist, daß unter seinem Stab alle Partituren — wahrscheinlich infolge leichter Anhebung der Bässe — sonorer klingen als sonst.
— Das Publikum stand zwei Stunden lang im Bann einer großen Persönlichkeit und bedankte das künstlerische und menschliche Erlebnis mit überaus lebhaftem und herzlichem Applaus.
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Das „Requiem“ von Giuseppe Verdi, eine seiner gewaltigsten Kompositionen und trotz des liturgischen Textes kaum für kirchlichen Gebrauch gedacht, ist dennoch von so hohem sakralem Wert, daß selbst die opemhaft ariose und dramatische Gestaltung nur in diesem Aspekt zu voller Wirkung kommt. In der Wiedergabe unter Claudio Abbado (Symphoniker, Singverein) kam das Sakrale nicht zu voller Geltung, das Ariose und Dramatische triumphierte. Dagegen waren der mitreißende Schwung, die leuchtenden Farben und die Exaktheit der Chöre ein Erlebnis, dessen Gesamteindruck wie ein Rausch wirkte, alle Details einbeziehend zu einer ebenso lyrischen als ungeheuer stürmischen Ganzheit. An Lautstärke war das Äußerste aufgeboten, an Pianissimo das Subtilste. Im Solistenquartett dominierte der elementare Sopran von Martina Arroyo und neben ihr in besonderer Leistung die für die erkrankte Christa Ludwig eingesprungene Julia Hamari. Mit Luciano Pavarotti und Martti Tal- vela waren die nicht weniger schwierigen Partien des Tenor- und Baßsolisten besetzt. Abbado dirigierte ohne Partitur und mit sehr viel Temperament. Die Zuhörer waren erschüttert, was die Pause zwischen dem letzten Ton und dem sich dann zu gewaltiger Kundgebung steigernden Beifall bewies.
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