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Wagner mit Wotruba in Berlin

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Nach jahrelangem geduldigem Warten hat Berlin nun endlich auch seinen „Ring“. Zwar noch unvollständig, noch ohne die „Walküre“, die erst im September zur Aufführung kommen wird... In den drei bishrigen Inszenierungen „Rheingold“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ hat der Hausherr der Deutschen Oper Berlin, Gustav Rudolf Sellner, als Regisseur seine Konzeption der theatralischen Realisierung des nach wie vor gigantischesten musikalischen Bühnenwerkes vorgelegt. Erst nach vielen Anstrengungen fand er in dem Bildhauer Fritz Wotruba den Mitarbeiter, der ein seiner Vorstellung adäquates Bühnenbild erfinden konnte.

Im steten Bemühen, den mythischen Urgrund von Schöpfungsgeschichte und Heldensage aus jeder verschleierten Mystifikation zu entflechten, das Göttliche in der Erkenntnis der Nichtdarstellbarkeiit nur „als Projektion (des Göttlichen) durch den Menschen“ aufzuzeigen, läßt Sellner Götter und Urwesen, Riesen und Alben, Helden und Zwerge wohl als Menschen in einem höheren Stadium mit allen Leidenschaften und Trieben, in Liebe und Haß. aus Weisheit, List und Trug handeln, doch sind sie mehr Typen als Charaktere.

So sucht er sie in einer neuen Landschaft anzusiedeln, in einer Umwelt, in der Natur und Naturerscheinungen nicht durch Naturalismus, sondern nur in stellvertretender Entsprechung ausgedrückt werden können.

Fritz Wotruba schuf ihm dafür gigantische Bauten. Die von ihm aufgetürmten Kuben und Quadern, überdimensionalen Würfel, schräg ineinander geschobenen Blöcke von urweltlicher Wucht, die das „Wahrträumen des nie Erlebten“ suggerieren, lassen das Gefühl der Beklemmung, das Ahnen der Göttertragödie nicht einen Augenblick schwinden. Losgelöst von und über der existentiellen Erdenweit leuchtet im kosmischen Raum strahlend die Burg der Götter wie eine Vision: Wallhall.

Wenn am dritten Abend der Tetralogie, in der Götterdämmerung“, der Bildhauer Wotruba alles Vorangegangene mit hybrider Gigantik noch zu steigern vermag, so entgleitet der Kostümierer Wotruba in eine bedenkliche Inkonsequenz: der total eingekleidete Hagen im Kreuzzüglergewand, der vornehm ausstaffierte Gunther und die in ein dekolletiertes Abendkleid gewandete Gutrune, die wie mittelalterliche Raubritter erscheinenden Mannen — was treiben sie in angenommener präkultureller Vorzeit?

Wohl gelingt es Sellner, die Massen als zusammengedrängte Menschenblöcke bedrohlich durchein-anderzuschiieben und zu bewegen, wenn sie durch Hagens Stierruf herbeigerufen Zeugen des Verrates Siegfrieds an Brünnhilde werden, aber leider passieren neben oft grandiosen Bildeindrücken auch Kunstfehler, die das Gesamtniveau erheblich beeinträchtigen.

So großartig die bildnerischen Gestaltungen erdacht sind, hat niemand den Bildhauer rechtzeitig daran erinnert, daß auf und zwischen den getürmten Blöcken auch Spielflächen vorhanden sein müssen, so daß die Sänger in angstvoll bemühten Kletterpartien von Podest zu Podest eine Spielposition erreichen müssen, die die Handlung erfordert?

Allerdings hätte es auch eines musikalisch souveränen Leiters bedurft, der dem Regisseur und dem Bühnenbildner — die Partitur aufschlüsselnd — die zwingend notwendigen Ratschläge hätte geben müssen, um eine Übereinstimmung des leitmotivischen Partiiturgeflechts mit Bild und Bewegung zu erreichen. Leider aber rangierte jeder der drei Verantwortlichen auf eigenen Geleisen: Der Regisseur berauschte sich an der philosophisch überhöhten Idee der „Geworfenheit“, der Bildhauer steigerte die „totale Illusion“ in erstarrte Gügantik, der Dirigent, Lorin Maazel, musizierte nur am fixierten Notenbild entlang. Selten nur gab er den Lyrismen Raum und Ruhe, nie erreichte er die kammermusikalische Klangdelikatesse und Transparenz, wie andernorts heute das Kunstgeflecht der Partitur modellhaft zum Klingen gebracht wird. Ohrenbetäubende Lärmexzesse überdecken die oft zum Schreien gezwungenen Sänger.

Klangkultur und Durchleuchtung, Zwischenfarben, atmende Pausen — um nur einige Möglichkeiten zur Verfeinerung aufzuzählen — hat man toi der Eile wohl vergessen. Oder sollten sie unbekannt sein? Ginge es nicht auch etwas anders — vielleicht musikalischer?

So mußten sich die Sänger ihrer Haut wehren. Tapfer behaupteten sich Gladys Kuchtas Brünnhilde und Joseph Greindls Hagen, die vom Publikum mit Beifall überschüttet wurden. Gut aus der Affäre kamen auch Hildegard Hillebrecht als Gutrune, Gerd Feldhoff als Gunther, Ruth Hesse als Waltraute, während Claude Heater als Siegfried, vom Bariton zum Tenor gewandelt, trotz idealer Heldengestalt stimmlich das Strahlende vermissen Hieß, das nun einmal zum Siegfried gehört. Er und der Regisseur Sellner mußten lautstarke Buh's vom Rang entgegennehmen, während dem Chor und seinem Leiter Walter Hagen-Groll lebhaft applaudiert wurde. Das Orchester, das ebenfalls vom Publikum mit Anerkennung ausgezeichnet wurde, spielte genau wie Lorin Maazel dirigierte. Die geringe Ahnung von den im Notenbild verborgenen vielfältigen Schönheiten dieser Musik wußte er raffiniert durch provozierende Klangorgien zu überdecken. Das Publikum hatte wohl seine Freude daran und feierte ihn wie einen Maestro.

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