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Der tapfere Zinnsoldat II.

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Meine gute alte Stearinkerze spricht:

nä, plag dich nur ein wenig, Alter, ja, ja, ich weiß, die Zündhölzer sind noch immer nicht die besten, zittern tust du auch schon ein wenig, tjä, wir sind nicht mehr die Jüngsten, wir zwei. So — aaaah, das tut gut, so zwischen den Fensterscheiben an dem kalten Winterabend. Aber dafür ist ja auch heute Heiliger Abend, und ich bin nicht allein — schau nur: da, da und da, na, wir sind ja glücklich wieder einmal die Letzten, mein Lieber. Glücklich . . . ach, du Weißt ja nicht; wie das damals war, denn du warst ja noch in Rußland, als mich deine Frau vor zehn Jahren in einem blechernen Achtelliter-rhaß gegossen hat. Feine, saubere Arbeit das! Der Docht recht ordentlich in der Mitte, oben eine zarte Einbuchtung und um den“ Hals eine schicke Papierkrause. Fein, wie? Ja, damals also brannte ich zum ersten Male am Heiligen Abend, aber ich glaube, ich war ein recht klägliches, schwelendes, rauchendes Funserl, denn deine Frau hat sich immer wieder die Augen gerieben. Zwei Jahre später, diesmal an einem Silvesterabend, war es schon viel lustiger, da wart ihr schon alle zwei um mich, und ein Jahr später wart ihr gar drei. Kinder, Kinder, wie die Zeit vergeht! Ich bin ein recht armseliges Stumpferl geworden. Kein Wunder. Wie oft ist damals das Licht und das Gas ausgegangen, und ihr habt das Jenaer Glas mit dem Kamillentee über mir gewärmt, und ich habe mich soooo geschämt, daß ich so gerußt habe. Dann wurde es ein ganz klein wenig besser, und ich wurde fast in Pension geschickt, aber am Heiligen Abend habt ihr mich doch immer aus der untersten Lade geholt, und ich durfte für die Töten brennen — und für die Lebenden, die nicht sterben und nicht daheim leben können — so wie heute, zum letzten Male. Ja, du lachst, aber es ist' so, es geht mit mir zu Ende. Ich weiß nicht, ich habe so das Gefühl, ich war nie mehr als dein Freund in der Not: in der unfreien Heimat und in deinen bitteren Tagen. Das ist ja jetzt endlich langsam anders geworden. Ich weiß nicht, aber mir ist so, als ob es dir besser gehen würde, wenn ich nicht mehr bin. Na, Schwamm drüber. Du wirst dir jetzt ein feines, duftendes Wachslicht kaufen — aber, mein Gott, was ist denn — mir scheint, du weinst ja — ja, was soll ich denn tun, wie ist mir denn? — ich sinke - so hilf mir doch - ach, laß nur — mein Gott, wie kann man denn mir um eine — alte •* Ste-a—rin—kerze--weinen---“

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