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Der mühsame Weg zur zweiten Reform

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Reformmotor Alois Brusatti, Rektor der Wiener Wirt- schaftsuniversität, scheint seinem Ziel, der Erneuerung des handelswissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Studiums nähergerückt. Nach einem Machtwort von Wissenschaftsminister Hertha Firnberg besteht kein Zweifel mehr an einer baldigen Studienreform.

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Reformmotor Alois Brusatti, Rektor der Wiener Wirt- schaftsuniversität, scheint seinem Ziel, der Erneuerung des handelswissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Studiums nähergerückt. Nach einem Machtwort von Wissenschaftsminister Hertha Firnberg besteht kein Zweifel mehr an einer baldigen Studienreform.

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Vielsprachig, eloquent und praxisgewandt stellen sich die Kritiker der ökoakademischen Ausbildung den idealen Absolventen der Wirtschaftsuniversität vor. Industriellenvereinigung, Wirtschaftskammer und der WU-Absolvent und jetzige Finanzminister Hannes Androsch kritisieren das 1966 beschlossene umfassende Studiengesetz für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Es sei schuld am erschreckenden Ausbildungsstand der taufrisch abgehenden Wirtschaftsmagistri, an welchen sie kein gutes Haar lassen: die jungen Ökonomen hätten zu wenig betriebswirtschaftliche Kenntnisse, sie beherrschten kaum Fremdsprachen und ihr allgemein-wirtschaftliches Wissen sei ergänzungsbedürftig.

Von Minister Fimberg persönlich bemüht, zog Alois Brusatti, Langzeitrektor der Wirtschaftsuni, kreuz und quer durch die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Landschaft Österreichs, um eine einheitliche Regelung der gemeinsamen Reformwünsche bestrebt. Zu große Auffassungsunterschiede ließen das Vorhaben scheitern, weshalb Rektor Brusatti seine Hochschule allein aus dem Schlamm unzeitgemäßer Wirtschaftsausbildung ziehen will. Gemeinsam mit den Professoren seines Hauses entwarf er eine Reform für die bisher ausschließlich an der WU gelehrten Handelswissenschaften und konzipierte als Fleißaufgabe einen Studienversuch Betriebswirtschaftslehre, der nach seiner Vorstellung neben der alten Form dieses Studiums an seiner Hochschule laufen soll.

Was die Skeptiker nicht für möglich hielten, ereignete sich anläßlich einer Enquete der Wirtschaftskammer bei der Vorstellung des mit Zusatzwünschen angereicherten „Bru- satti-Konzepts“ zu einer Novelle der handelswissenschaftlichen und der betriebswirtschaftlichen Studienrichtung. Da Minister Firmberg die letzte Möglichkeit zu einer Gesamtreform der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften schwinden sah, stellte sie den Alleingang des Ministeriums in Aussicht.

Zumindest die als besonders dringlich empfundene Abänderung der Handelswissenschaft und der Betriebswirtschaft müßten im Interesse der Gesellschaft, des Staates und der Wirtschaft ehebaldigst herbeigeführt werden. Gleichzeitig deponierte Hertha Firnberg ihre Präferenz für eine Gesetzesnovelle Betriebswirtschaft, wodurch Brusattis nur für die Wirtschaftsuniversität gedachter Studienversuch aufgewertet würde.

„Der Wunsch der Praxis ist für mich wichtig, doch das innere Motiv für die Reform ist, eine sinnvolle Abfolge der Fächer zu schaffen, und zu überprüfen, welche notwendig, welche einzuschränken und welche abzubauen sind!“ sagt Brusatti. Kritiker und Befürworter des „Brusatti-Ent- wurfes“ sind sich weitgehend einig über die Schwerpunkte der angestrebten Veränderungen.

Neben der Intensivierung des

Sprachenstudiums in den Handelswissenschaften, wird auch der Student der Betriebswirtschaft zukünftig zumindest eine Fremdsprache erlernen müssen. Heutzutage wissen Hochschuldebütanten bei ihren ersten Gehversuchen nur selten, was sie eigentlich studieren, da sie sich in den ersten Semestern ihres Wirtschaftsstudiums größtenteils mit allgemeinen, oft wirtschaftfremden Disziplinen herumschlagen müssen.

Schließlich wird auf der Wirtschaftsuni auch das Computerzeitalter verbindlich beginnen. Der Erwerb von EDV-Kennt- nissen soll nicht mehr dem freiwilligen Lerneifer weniger Studenten überlassen bleiben.

Die Gemüter erregen sich allerdings bei der Diskussion über Notwendigkeit, Art und Umfang der „Reformdegradierung“ mancher profilierter Nebenfächer, wie beispielsweise der Soziologie oder der Technologie.

Hauptangriffspunkt der Gegner des „Brusat- ti-Konzeptes“ ist die „drohende Verweltlichung“ der Wirtschaftswissenschaften, welche durch die weitgehende Eliminierung der Sozialwissenschaften heraufbeschworen werde. So könnte die Wirtschaftsuniversität zur reinen Fachhochschule degenerieren. Sie fürchten den akademischen Technokraten, der zwar die Ökoinstrumente beherrsche, dem es aber am Verständnis für die allgemeinen Zusammenhänge fehle.

Von Brusattis forscher Vorgangsweise überrascht, langen nach anfänglicher Schreckstarre nun laufend sachlich fundierte Ergänzungsvorschläge und Alternativen ein. Die WU-Hoch- schülerschaft zerbrach sich schon lang den Kopf über eine grundlegende strukturelle Veränderung des Wirtschaftsstudiums und ist dabei, ihre Vorstellungen zu konkretisieren. Ein Wirtschaftsstudent sollte an einem, der Praxis entnommenen Projekt die allumfassenden Zusammenhänge erkennen und aktiv umsetzen lernen.

Die für die hohen Studienabbruchquoten mitverantwortliche Orientierungslosigkeit sollte durch eine Einführungsphase - ein System verstärkter Betreuung - in den ersten Semestern überwunden werden. Die Studentenvertreter steuern auf Konfrontationskurs und wollen den Reformentwurf nur dann akzeptieren, wenn sie zumindest die Einführungsphase realisiert wissen.

Auch die WU-Assistenten machen die Studienreform zu einem Erstanliegen. Mittelbau-Boß Herwig Palme meint: „Keine andere Gruppe an der Universität weiß so viel über das Studium. Fast alle Assistenten wurden hier ausgebildet; jetzt tragen sie im Lehrbetrieb große Verantwortung!“

Die Technologen und Soziologen auf der WU legten einen Argumentationskatalog für ihre Fächer von Letztere zogen für die Reformenquete sogar Studienpläne aus der

Schublade, die bei der Formulierung eines gemeinsamen Vorschlages aller an der Hochschule für Welthandel vertretenen Gruppen noch zu berücksichtigen sein werden. Und schließlich sollten auch die in einer von Prof. Werner Clement bei Unternehmen durchgeführte Befragung festgestellten Defizitbereiche Menschenführung, Rhetorik und Ver- handlung&technik in das Konzept Eingang finden.

Rektor Brusatti hat nach missionarischer Provokation das Stadium absorbierender Kompromißbereitschaft erreicht: „Die universitäre Ausbildung muß nach wie vor die historische, räumliche und soziale Dimension enthalten!“

Das von der gesamten Hochschule getragene Modell erwartet sich Prof. Brusatti von einer aus Professoren, Assistenten und Studenten zusammengesetzten Kommission. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit: Diskussion über eine Einführungsphase, über die Stellung einer wirtschaftsbezogenen Soziologie und die Zusammensetzung der Wahlfächer. Das Produkt könnte die Basis für den Gesetzesguß sein.

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