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Die Abmagerungskur"

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Letztes Jahr, kurz nach Weihnachten, war es — zum soundsovielten Mal — soweit. Rita, rundum appetitlich mollige Mittdreißigerin, tänzelte verzweifelt vor dem Spiegel: „Kurt, schau doch mal her!" Kurt verfolgte unverwandt eine Wintersportveranstaltung im Fernsehen. „Kurt, glotz doch nicht immer in die Flimmerkiste. Sieh mich an!" Rita drehte sich stöhnend in Richtung Fernsehlehnstuhl: „Ich bin zu fett. So kann das nicht weitergehen. Wir machen eine Kur!"

„Aber Liebling", widersprach Kurt zwar mutig, doch ohne rechten Optimismus, wobei er sich noch rasch zwei Handvoll Knabbergebäck in den Mund drückte, „Du bist doch nicht zu dick. Etwas mollig vielleicht, grad so, wie ich es gern habe."

„Und wenn schon, sieh' Dich doch selber an!"

„Ich brauche mich nicht anzusehen, ich weiß, wie ich aussehe: stattlich, aber gesund. Und so fühle ich mich auch. Erst gestern —", Kurt versuchte in einem letzten Aufbäumen, dem Unvermeidlichen zu entkommen, „— habe ich gelesen, daß die Dünnen unausstehliche Menschen wären und auch ihre Lebenserwartung —"

„Das ist mir ganz gleich, ich muß abnehmen. Mach Du, was Du willst — demnächst wirst Du dann als Riesenknödel zwischen Deinem Lehnstuhl und dem Bett hin und her rollen —, aber helfen könntest Du mir bei meiner Aktion wenigstens."

Kurt sah eine geringe Chance, der bevorstehenden Tortur wenigstens teüweise zu entgehen, und versprach totale Assistenz. Allzulange würde es ja erfahrungsgemäß nicht dauern. Rita hatte noch nie länger als zwei Wochen durchgehalten und stets etwas weniger abgenommen, als sie in den folgenden Wochen flugs wieder zugenommen hatte. Kurts Prognose erwies sich als rechte Vorhersagung: Sie trat nicht ein.

Rita hielt durch — und wie sie durchhielt! Es begann mit der Anschaffung von zwölf Diätkochbüchern, vielbändigen Schriftenreihen, einer dicken Broschüre „Schlank werden und nicht krank werden", mehreren Merkblättern „Erfolgreiche Diät — hausgemacht" und einem Prospektbündel der Ärztekammer „Keine Diät ohne ärztliche Aufsicht".

Kurt hatte die Liste in die Hand gedrückt bekommen und hastete durch alle Buchläden der Stadt, bis er die Diätbibliothek zusammen hatte. Er meldete Rita bei mehreren Ärzten, im Gymnastikclub „Die leichte Feder", in der Damensauna „Zur heißen Kugel" und vorsichtshalber auch in der „Sommergarten-Sauna" an, was sich, weil beide unter chronischer Uberfüllung litten, als schwierig herausstellte.

Sodann wurde ihm die Herbeischaffung der benötigten Abmagerungsmittel übertragen: So erwarb er mehrere Eimer fußgetretenen Sauerampfersaft, eine mehrstöckige Palette mit unbefruchteten Taubeneiern und mehrere Kisten mit luftgetrocknetem Hirsestroh. Der Erwerb von Spalierkürbissen, die ihre letzten Kalorien durch Nachreifung auf frostigen Feldern verloren hatten, erwies sich als überaus schmerzhaft. Zwar konnte er nach mehreren Streifzügen durch Landschaftsschutzgebiete ein ertragreiches Revier ausfindig machen. Er geriet dortselbst freilich in schlimme Kämpfe mit mehreren Trupps von Schlanksüchtigen, die sich den eigenen Jahresbedarf ebendort decken wollten.

Kurt war ständig unterwegs und wurde zusehends schlanker. So er nicht makrobiotische Gemüsemärkte durchstreifte, in Sportwarenhäusern Preisverglei-che anstellte, Textilgroßhandlungen auf der Suche nach Diätwäsche ins Chaos stürzte, chauff ierte er Rita vom Arzt zum Masseur, von der Sauna zur Gymnastikstunde, von Reformhaus zu Reformhaus, die sich überraschend regelmäßig in der Nähe von Würstelständen und Konditoreien befanden. Da hinein zu gehen, gelang Kurt immer seltener. Ritas Diätfahrplan wurde Kurt zum permanenten Terminstreß.

Doch Rita nahm nicht ab. Je länger sie nicht abnahm, desto fanatischer wurde sie: Von der Meerwasser-Tischtennis-Kur wechselte sie zur Rollhockey-Bimsstein-Kur; nach dem Gurken-Kniebeugen-Programm kam die Tanz-Dich-schlank-Aktion; von der Null-Diät ging es zur Minus-Diät. Kurt wurde in Trab gehalten. Er nahm Sonderurlaub, denn die diversen Einkaufsgänge und Transportfahrten konnte er in der Freizeit nicht mehr unterbringen.

Rita blieb mollig und wurde immer entschlossener, Kurt immer gehetzter und fiel komplett vom Fleisch. Er trug jetzt Hosenträger, denn der Gürtel fand keinen Bauch mehr, um sich festzuzur-ren. Aber er hatte Rita fest versprochen, ihr zu helfen — und das tat er auch. Was immer sie sich vornahm, Kurt wurde in Bewegung gesetzt. Er wurde dünner und dünner. Im Herbst hatte ich ihn aus den Augen verloren.

Dann hörte ich, daß er ins Kränkenhaus eingeliefert worden wäre — wegen akuter Auszehrung. Jeder Besuch seiner Frau wurde ihm von den besorgten Ärzten strengstens verboten.

Dolli, überaus mollige wie auch ledige Diätassistentin, nahm sich seiner an. Sie brachte ihn wieder zu Kräften, machte ihm schöne Mehlspeisen, schöne Augen und sich selbst Hoffnungen. Knapp vor Weihnachten wurde er geheilt entlassen: Er sah wieder so aus, wie die Fernsehsportler so um die Vierzig eben aussehen.

Rita holte ihn stolz vom Krankenhaus ab. Sie hatte, allein gelassen, in der Zwischenzeit ihr Gewicht halbiert. Kurt sah entsetzt durch sie hindurch, machte auf der Stelle kehrt und rannte zurück ins Sanatorium. Rita hat ihn nie mehr gesehen. Gestern kam eine Hochzeitsanzeige: „Als glücklich verheiratet empfehlen sich: Kurt und Dolli..."

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