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Mit Ausnahme seines frühen Uteisterwerks „Nabucco“ und des „Attila“ haben die frühen Verdi-Opern bei uns nie so recht Fuß gefaßt: Weder „Un giorno di regno“ (II finto Stanislao), noch die „Lombarden“, „Giovanna d'Arco“, „I due Foscari“, „Alzira“, „I Masnadieri“ (nach Schillers „Räubern“) oder „II Corsaro“ ... Immerhin, einige von ihnen, die gerade noch vereinzelt über Italiens bankrotte Opernbühnen geisterten oder in Covent Garden einem sehr auf Raritäten eingestellten Publikum Freude machten, hat man in den letzten Jahren wieder ausgegraben. Manche sogar mit spektakulärem Erfolg. Plattenfirmen legten die Verdi-Raritäten in Gesamtaufnahmen vor, große Opernhäuser ließen sich dadurch animieren, die in den Archiven längst verstaubten Partituren wieder hervorzuholen. „Attila“ machte etwa in Europa die Runde, „Un giorno di regno“ war Bregenzer Festspielattraktion, die „Lombarden“ folgen 1978 in London usw.

Einer Wiederentdeckung harrt jetzt vor allem der „Corsaro“: Zwischen 1845 und 1848 arbeitete Verdi, teils mit leidenschaftlichem Eifer, teils mit Widerwillen, an diesem — wie sich jetzt zeigt — recht respektablen Dreiakter, einem romantischen Liebesdrama mit großer Historienstaffage. Lord Byrons „Korsar“-Gedicht, von Francesco Maria Piave auf Opernformat zurechtgebastelt, ergab eigentlich genau das, was in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf der Opernbühne beliebter Konsumartikel war. Abendländisch-orientalisches Kolorit im Überfluß, ein extrover-t;erter Held, chic wie Rock Hudson und schneidig wie einst Stewart Granger, Primadonnen, die nach ausgiebigem Liebes-schmachten sich in Verzweiflung des Verlassenseins vergiften und mit großen Gesten sterben ... An Modeklischees mangelt es diesem „Corsaro“ wirklich nicht.

Das war es auch, was Verdi zuerst so begeisterte, das Opernhafte der Situationen (und noch dazu die geringe Geschäftskonkurrenz, denn außer Pacinis miserabler „Korsar“-Oper gab es keine!); als sich aber die Komposition immer länger hinzog und immer neue Aufträge dazwischen kamen, verlor er dafür jedes Interesse. 1848 stellte er die Oper fertig: Ein paar schöne Einfälle, brillante Instrumentation, ergiebige Partien ... Aber die Figuren und ihre Wehwehchen langweilten ihn. Psychologisch stimmte diese Handlung in seinen Augen nicht mehr: daß der harte Korsar Corrado seine Geliebte Medora in Sehnsucht zugrundegehen läßt, zugleich aber ihretwegen einer schönen Frau, Gulnara, die ihn rettet und die er später rettet, dennoch widersteht. „Verdis eigene Medora war damals schon acht Jahre tot und er begann schon ein neues Leben mit Gulnara alias Giuseppina Strepponi“ (dem Star seines „Nabucco“), merkte sehr feinfühlig der Kritiker Julian Budden dazu an.

Die Aufnahme in italienischer Sprache: technisch gut ausgewogen. Chöre, Solistenensembles, Soli wie die hinreißende Romanze der Medora oder die Cavatine der Gulnara klingen optimal geführt; das New Philharmonia Orchestra unter Lamberto Gardeiii spielt diese impulsive, von schönen großen melodischen Bögen geprägte Musik intensiv. Allerdings hat die Aufnahme auch ein ideales Sängerteam aufgeboten: Jose Carreras, einen der samtigsten lyrischen Tenöre, als Corrado und Jessye Norman als sinnliche Medora, dazu Montserrat Caballe, deren Sopranartistik eine aufregende Gulnara beschert, und Gian-Piero Mastromei als Pascha Seid. Eine Einspielung, die in keiner Verdi-Plattensammlung fehlen sollte. (Philips.)

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