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Wir sagten es bereits einmal: Die Konzerthausgesellschaft ist zu loben, daß sie diesen vierteiligen Zyklus veranstaltet, und auch dafür, daß sie ihn Peter Keuschnig anvertraut hat (wir wüßten für Auswahl und Ausführung keinen Besseren). Auf dem Programm des 2. Strawinsky-Kon-zerts standen nicht weniger als zehn Nummern, mehrere von ihnen unter-geteilt in weitere, oft winzige Sätzchen. Die Gefahr eines Fleckerlteppichs war gegeben. Daß es doch noch ein vielfarbiges Mosaik wurde, ist der klugen Disposition und dem edlen Material zu danken.

Zwei Liedchen auf Texte des russischen Lyrikers Balmont, drei quasi volkstümliche Lieder („Erinnerungen aus meiner Kindheit“) und drei japanische Miniaturen, sämtliche ins Französische übersetzt, von etwa zehn Instrumenten in verschiedener Zusammenstellung begleitet (und von Joon Carroll preziös vorgetragen), alle aus den Jahren 1910 bis 1913 stammend, zeigen die vielfältigen Wurzeln Strawinskys, seine in allen Farben schillernde Begabung, die ihn zuweilen auch in die Nähe Schönbergs führte, und widerlegen den Mythos von der ersten, ausschließlich „russischen“ Periode.

Das gleiche gilt für die drei winzigen Klarinettenstückchen, die Horst Hajek spielte. Die wilde

„Piano-Rag-Musik“ von 1919 und der harmonisch geglättete, vollgriffige „Tango“ von 1940, beide von Rainer Keuschnig gespielt, dokumentierten Strawinskys Interesse für den Jazz jeder Couleur über zwei Jahrzehnte hinweg. — „Dum-barton Oaks“ für zehn Streicher und fünf Bläser, 1938 auf Bestellung geschrieben, dreisätzig, elegant, gefällig, ist gewissermaßen Strawinskys „Kleine Nachtmusik“. Keuschnig hat sie besonders hübsch und lebhaft interpretiert. (Es muß an der mangelhaften Interpretation gelegen haben — oder an einer gestörten Aufnahmefähigkeit des Rezensenten, daß er vor Jahren, beim ersten Hören, dieses Stück für musikalische Meterware hielt.)

Der weitaus gewichtigere Teil des Konzerts war freilich der zweite mit — in weiterem Sinn — Sakralkompositionen Strawinskys. Er wurde mit zwei für kirchlichen Gebrauch geschriebenen Chören eingeleitet: einem „Pater noster“ von 1926 und dem „Ave Maria“ von 1934, beide a cappella, in strengstem liturgischem Stil, von dem freilich weder der Dirigent noch der Chor eine Vorstellung zu haben schienen. — Auch die bereits klassisch gewordene Messe, die Strawinsky ohne Auftrag 1948 schrieb, haben wir schon konzi-ser, sicherer gehört. In dieser fünfteiligen Missa minima von nur 17 Minuten Dauer kommt es auf jeden Ton des kleinen gemischten Chores (Wiener Kammerchor) und der zehn Bläser an. Jede Wiederbegegnung mit dem äußerlich kargen, von innerem Feuer glühenden Werk läßt neue Werte und Schönheiten entdecken.

Mit dem Requiem für den frühverstorbenen Dichter Dylan Thomas, der für Strawinsky einen Operntext schreiben sollte, betrat Strawinsky 1954 vorsichtig dodekaphonisches Neuland. Der Tenor (Franz Luka-

Pablo Picasso, mit Strawinsky ein Leben lang eng befreundet, zeichnete den Umschlag zu „Ragtime“ sowsky war es in diesem Konzert) intoniert, psalmodiert Verse von Dylan Thomas, vier Posaunen und ein Streichquartett begleiten, gehen spielend ihre eigenen kanonischen Wege und erzeugen eine Stimmung nobelster, trauerumflorter Esoterik. Das kostbare Werk gehört zu jenen, von denen man nach Schluß sagen möchte: „Bitte gleich noch einmal.“

• Unter dem Titel „Die Donau fließt vorbei“ ist im Moskauer Verlag „Pro-greß“ eine Anthologie österreichischer Erzähler der Gegenwart erschienen. Die Auswahl dokumentiert, daß man, zumindest wo es sich um ausländische Schriftsteller handelt, keineswegs auf den sozialistischen Realismus beschränkt sein will. Übersetzt und mit Lebensläufen versehen wurden die Autoren Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Milo Dor, Herbert Eisenreich, Reinhard Federmann, Hermann Priedel, Gerhard Fritsch, Fritz Habeck, Peter Handke, Marlen Haushofer, Hugo Huppert, Franz Kain, Hans Lebert, Walter Toman und Peter von Tramin.

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