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Es ist Sommer und ich habe Zahnschmerzen. Die Plombe verschluckte ich just einen Abend bevor mein Zahnarzt seinen vierwöchigen Urlaub antrat. Mein Zahnarzt ist Gold wert. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nein wirklich, er ist rührend und gibt sich die größte Mühe, mich vor allem Künstlichen zu bewahren. Er flickt und bastelt mit unermüdlicher Kreativität mein marodes Kauwerkzeug zusammen. Und natürlich sorgt er für eine Vertretung, wenn das passiert, was mir gerade passierte. Nur hat der Vertreter seine Praxis drei Kilometer weiter entfernt. Er kennt mich nicht, hat auch gar kein Interesse, mich bevorzugt zu behandeln, noch architektonische Kunstwerke in meinem Mund zu kreieren. Der Zahn muß raus. Basta! "Wenn Ihr Zahnarzt zurück ist, kann er Ihnen ja eine Brücke basteln." Vor lauter Wut verkrampfe ich mich und klemme mir einen Nerv im oberen Brustwirbel ein. Au, verdammt! Also zum Orthopäden. "Wegen Urlaub bleibt meine Praxis vier Wochen geschlossen. Wenden Sie sich in dringenden Fällen an Dr. Sowieso ...", sagt der Anrufbeantworter. Ich versuche es erst gar nicht. Der Vertreter wohnt weit entfernt. Ich habe kein Auto und müßte mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Aber die streiken gerade, wegen höherer Urlaubsforderungen. Das alles schlägt mir nun ganz fürchterlich auf den Magen. Aber den Internisten versuche ich erst gar nicht zu erreichen. Ich weiß zufällig, daß er gerade auf Mallorca in der Sonne schmort. Also Schonkost! Am besten wäre ein leichtes Süppchen. Die Zutaten bekomme ich zum Glück beim teuren, aber schnell erreichbaren Krämer an der Ecke. Verblüfft stehe ich vor der geschlossenen Ladentür. "Wir machen sechs Wochen Urlaub. Ab dann und dann sind wir wieder für Sie da." Sechs Wochen! Ich kann es nicht fassen. Wer kann sich das leisten? Klar, nur der, der für ein Pfund Tomaten den dreifachen Preis des zwanzig Minuten entfernten Supermarktes nimmt.

Mit pochender Zahnwunde, lädiertem Rücken und bohrenden Magenschmerzen schleppe ich mich in die kleine Einkaufsstraße. "Wir machen Ferien", steht nicht nur am Supermarkt, sondern auch an der Metzgerei, am Gemüseladen und an der Fischhandlung. Nur eine Bäckerei, vier Apotheken, drei Banken und zwei Fotogeschäfte halten die Stellung. Mit einem Rosinenbrötchen - man kann es gut in den Kamillentee aus der Apotheke stippen - humpele ich nach Hause, zurück an den Schreibtisch. Ein Behördenanruf ist längst überfällig ... "Unsere Leitungen sind zur Zeit alle besetzt. Bitte warten Sie..." Ich warte zehn Minuten. Endlich die unfreundliche Antwort: "Ihr Sachbearbeiter ist in Urlaub. Rufen sie in drei Wochen wieder an." Ich will schreien, verschlucke mich aber an einer in der Zahnlücke versteckten Rosine. Was, wenn ich jetzt auch noch einen HNO-Arzt brauchte, um mir die Luftröhre rosinenfrei zu machen? Bestimmt wäre auch er in Urlaub. Nach einer Viertelstunde bin ich wieder sprechbereit und versuche meine Lektorin zu erreichen, um zu hören, daß sie von meinem Manuskript begeistert sei. Aber die Gute hat es noch nicht einmal in der Hand gehabt. Konnte sie auch gar nicht, denn sie ist seit zwei Wochen auf Mallorca und bleibt zwei weitere Wochen.

Jetzt ist mein Zustand bedrohlich. Eine tiefe Depression bahnt sich an. Der Psychotherapeut, wenn er nicht gerade Urlaub machte, würde sagen: "Sie brauchen dringend mal Urlaub. Fahren Sie doch einfach in die Sonne und erholen sich."

Tja, wäre ich Arzt, Beamter, Gemüsehändler oder Verlagslektor, könnte ich mir das leisten. Aber als Schriftstellerin ohne Bestsellertitel werde ich die Sommerferienzeit wohl mit einem "Winterschlaf" im eigenen Bett verbringen müssen.

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