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Ein Studium aus drei Vorlesungen
Ich bin ruiniert", stellt Alfons S. lakonisch fest. Zwölf Semester lang hat der 30jährige Portugiesisch am Institut für Übersetzer- und Dolmetscherausbildung der Universität Wien studiert. Vier Prüfungen müßte er noch absolvieren, um zur Diplomprüfung antreten zu dürfen. Doch in diesem Semester kann S., der sein Studium mit Taxifahren finanziert, die entsprechenden Lehrveranstaltungen nicht mehr besuchen. Und ab dem Wintersemester 1996/97 gibt es aller Voraussicht nach niemanden mehr, der diese Vorlesungen und Übungen abhalten wird. „Ich werde zum unfreiwilligen Studienabbrecher", klagt S.: „Jahre meines Lebens habe ich vergeblich investiert."
S. ist Opfer einer unglücklichen Verquickung von Umständen, die nicht nur seine, sondern die Existenz des Portugiesischlehrgangs des Wiener Dolmetschinstituts überhaupt bedrohen. Der Grund: Die drastischen Sparmaßnahmen der Regierung.
Jose Antonio Palma-Caetano, der jetzige Inhaber der einzigen Planstelle des Lehrgangs, geht mit Ende des laufenden Semesters altersbedingt in Pension. Doch bisher ist sein Posten noch nicht einmal zur Ausschreibung freigegeben worden. „Selbst wenn die Stelle noch heute ausgeschrieben wird, ist es zu spät", erklärt Margarete Schättle, Vorsitzende der Studien-kommission des Dolmetschinstituts: „Zumindest im nächsten Semester wird es keinen Nachfolger für Palma-Caetano geben."
Allein dadurch entfallen Lehrveranstaltungen im Ausmaß von 14 Wochenstunden - knapp die Hälfte des derzeitigen Gesamtangebots von 30 Wochenstunden.
Sorge herrscht am Institut auch über die Zukunft des Postens des brasilianischen Gastlektors. Denn Gastlektoren dürfen ab Sommer nur noch Lehrveranstaltungen im Ausmaß von höchstens acht Wochenstunden abhalten. Der maximale Verdienst: 9.179 Schilling brutto. „Davon kann man nicht leben", meint Schättle und befürchtet, daß sich deshalb kein Nachfolger für den derzeitigen Gast aus Brasilien finden wird.
Trifft dies ein, so bleiben gerade drei Lehrveranstaltungen für 200 Studierende übrig. Daß vieles gar nicht erst angeboten werden kann, liegt auf der Hand. „Mit sechs Wochenstunden kann man kein Studium aufrechterhalten", konstatiert
Schättle. „Das würde das Ende des Portugiesisch-Lehrgangs bedeuten."
Im zuständigen Ministerium werden die Dinge anders gesehen. „Ich weiß nicht, wie diese Zahlen Zustan-
dekommen", wundert sich Wolfgang Fingernagel, Pressesprecher des Ministers für Wissenschaft und Verkehr, Rudolf Schölten. „Solange es kein Vorlesungsverzeichnis gibt, kann man nicht sagen, welche Lehrveranstaltungen stattfinden und welche nicht", erklärt er.
Eine Resolution des Dolmetsch-Instituts beklagt, daß die Regierung den Universitäten immer wieder vorwerfe, nicht reform willig zu sein. „Das ist eine Lüge", kontern die Verfasser. Denn vor zwei Jahren haben die ordentlichen Professoren, der Mittelbau und die Studierenden einstimmig einen Entwurf für eine neue Studienordnung beschlossen, die eine Reduktion der Lehrveranstaltungen, also Einsparungen, und einen Einstiegslehrgang (Propädeutikum) für Studienanfänger vorsieht.
In Polen, Ungarn Rumänien und Thailand diene dieser Entwurf als Grundlage für in Aufbau befindliche Dolmetschinstitute, erzählt Studienrichtungsvertreter Robert Cup. Dort würden die jeweiligen Landesgesetze an den Entwurf angepaßt. Doch Österreich ist anders: „Trotz eines abgeschlossenen Begutachtungsverfahrens verschimmelt unsere neue Studienordnung in einer Schublade des Ministeriums", heißt es in einer Resolution des Instituts.
„Bei uns verschimmelt selten etwas", weiß Ministersprecher Fingernagel. Noch vor dem Sommer solle mit dem Universitätsstudiengesetz eine generelle Neuordnung der Studien beschlossen werden. Fingernagel vermutet, daß man nicht kurz vor einer allgemeinen Reform dann möglicherweise hinfällig werdende Gesetze verabschieden wolle.
Inzwischen hat die Institutskonferenz, das oberste Gremium des Instituts, dem Rektor und dem Dekan in aller Form mitgeteilt, daß es ab dem nächsten Semester nicht mehr möglich sein wird, eine Dolmetschausbildung mit den Sprachenkombinationen Portugiesisch oder Russisch zu beginnen. Eine Aufnahmesperre für Erstsemestrige wurde beantragt.
Denn nicht nur das Portugiesischstudium ist betroffen: Da eine von zwei Planstellen des Russischlehrgangs nicht nachbesetzt wird, rechnet das Institut mit einem Verlust von 28 Prozent des Lehrangebotes. Überdies gelten Tschechisch, Serbokroatisch, Italienisch, Spanisch, Ungarisch, Japanisch und Polnisch als „akut gefährdet".
„Man kann doch nicht gleichzeitig die Integration der osteuropäischen Länder in die EU vorantreiben, aber die entsprechenden Dolmetschstudien einfach abwürgen", kritisiert Studentenvertreter Cup die Regierung. „Und schließlich sind auch Japan und Russland sind nicht gerade unbedeutende Staaten."
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