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Die Geschichte einer Verweigerung

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Vor 50 Jahren bremste der Rückzug der Heeresgruppe E unter Alexander Lohr den Einmarsch der Tito-Armee in Kärnten.

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Vor 50 Jahren bremste der Rückzug der Heeresgruppe E unter Alexander Lohr den Einmarsch der Tito-Armee in Kärnten.

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Es ist jetzt gerade 50 Jahre her: Seit Herbst 1944 war die Räumung des Balkan von deutschen Truppen voll im Gang. 340.000 Mann marschierten über die Berge Südserbiens, 1500 Kilometer weit und erreichten gegen Weihnachten die Linie Neretva-Mündung - Mostar -Sarajewo, völlig erschöpft, bevor sie im Jänner über Kroatien und Dal-matien Richtung Heimat weitermarschierten, ständig unter dem Druck von Titos Volksarmee, die zu dieser Zeit schon 800.000 Mann zählte, und der von Belgrad her angreifenden Sowjetarmee.

Oberbefehlshaber der 1 Ieerestrup-pe E war Generaloberst Alexander Lohr. Als junger k.u.k. Leutnant hatte er in Visegrad gedient. Er kannte das Land, seine Menschen. Nur ihm konnte es gelingen, seine Soldaten durch dieses Gelände, in dieser Jahreszeit, in geschlossener Formation durchzuführen.

Am 8. Mai 1945, am Vorabend der Kapitulation steht die Heeresgruppe noch im Raum Cilli und Varasdin. Zum Zeitpunkt des Waffenstillstands sind noch 150.000 Mann drei Tagemärsche von der österreichischen Grenze entfernt. 200.000 Mann kroatische Truppen, 70.000 Flüchtlinge versuchen ebenso, den Titopartisanen zu entkommen und die Engländer zu erreichen.

Lohr wendet sich an das Tito-Oberkommando, um Kapitulationsverhandlungen aufzunehmen - und läßt inzwischen weitermarschieren. Inzwischen haben die Engländer bereits die Kärntner Grenze besetzt und weisen alle ab, die sie überqueren wollen. Erst am 12. Mai antworten die Jugoslawen. Lohr läßt Waffen und Geräte südlich der Drau ablegen - und kehrt aus dem Hauptquartier in Griffen freiwillig zu seinen Soldaten zurück. Am 15. Mai wird er von„einer britischen Delegation in Marburg dem jugoslawischen Armeekommando als Kriegsgefangener übergeben.

150.000 bis 175.000 deutsche Soldaten geraten nach der Kapitulation in jugoslawische Gefangenschaft. Ein Drittel von ihnen ist nicht me*hr heimgekehrt. Daß es nicht noch mehr gewesen sind, ist der Führung Lohrs zu verdanken. Mehr noch: Sein hinhaltender Widerstand im geordneten Rückzug hat auch verhindert, daß die Titoarmee noch vor den Briten in Kärnten einmarschieren konnte. Ihr Vorkommando traf nur eine halbe Stunde nach dem englischen in Klagenfurt ein. Die Anwesenheit der britischen Truppen hindert die Tito-Partisanen, vollendete Tatsachen zu schaffen - England steht zur Erklärung der Alliierten, Österreich in den Grenzen von 1938 wiedererstehen lassen.

Gedenktafelstreit

Einer der Uberlebenden der Heeresgruppe Lohr ist der heute über achtzigjährige Dr. Karl Bier. Er las am 22. Jänner 1994 in der „Presse” die Antwort des Wirtschaftsministers auf die Parlamentarische Anfrage des FPÖ-Abgeordneten John Gude-nus, der wissen wollte, wieso aus einer Gedenktafel in der Hofburgkapelle die Namen Alexander Lohr und Arthur Phleps ausgemeißelt worden waren.

Dort, in der Hofburgkapelle, gedachte eine Ehrentafel aller ehemaligen Generalstabsoffiziere der k.u.k. Armee und des Bundesheeres der Ersten Republik, die im Ersten oder im Zweiten Weltkrieg gefallen waren. Eine andere Gedenktafel in der Stiftskirche war Alexander Lohr als Schöpfer der Luftwaffe des Österreichischen Bundesheeres gewidmet. Beide erregten den Unwillen jener, die auch fünfzig Jahre später alle „Ehemaligen” mit ihrem Haß verfolgen.

Am 7. Juli 1992 machte der damalige Unterrichtsminister Rudolf Schölten seinen Kabinettskollegen Werner Fasslabend auf ein „unter den Nägeln brennendes Problem” aufmerksam und regte an, die Namen Lohr und Phleps auf der Tafel in der Hofburgkapelle zu tilgen -Fässlabend erwiderte kurz, es schiene ihm weder wichtig noch zweckmäßig, „daß diAses Denkmal von der nächsten beziehungsweise übernächsten Generation wieder entfernt werden soll”. Und im Jänner 1993 richtete der Grün-Abgeordnete Severin Renoldner eine Parlamentarische Anfrage an Fasslabend, in der er Lohr als einen der „schwersten und berüchtigsten Kriegsverbrecher” bezeichnete.

Aber für die Hofburg war als „Hausherr” Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel zuständig - und dort waren plötzlich, 1993, die beiden inkriminierten Namen von der Tafel verschwunden. Ohne daß darüber irgendwo berichtet worden wäre. Deswegen richtete Abgeordneter Gudenus an Schüssel seine Anfrage.

Aus der eher lakonischen Beantwortung ging lediglich hervor, daß eine Historikerkommision im Wirt-

Schaftsministerium „auf Grund persönlicher Kompetenz und des ihr zu Verfügung stehenden Materials” ermächtigt war, „autonom” ihre Entscheidung zu treffen und ihre Empfehlung abzugeben - die nicht veröffentlicht wurde. Der Kommission gehörten die Professoren Erika Weinzierl (Wien), Anton Pelinka (Innsbruck), Norbert Schausberger (Klagenfurt), Gerhard Botz (Salzburg) und drei weitere Herren an.

Gegen eine Würdigung

Bier bat Weinzierl um Einsicht in die Beratungsprotokolle der Kommission. Ihre Antwort: „Daß hochrangige Berufsoffiziere nach 1938 in der Deutschen Wehrmacht zu zentralen Befehlsposten aufrückten, ist verständlich. Daß sie leider durch Ausführung... erhaltener Befehle in Situationen gerieten, die sie... (später) mit der Anklage von Kriegsverbrechen konfrontierten, ist sicher für nicht wenige von ihnen tragisch gewesen... Eine Würdigung auf einer österreichischen Gedenktafel entspräche jedoch nicht dem Selbstverständnis der Zweiten Republik.”

Am 6. April 1941, als Hitler ohne Kriegserklärung Jugoslawien überfiel, hatte Lohr als Kommandeur der Luftflotte 4 die Bombardierung Belgrads durchgeführt. Entgegen Hitlers Befehl, die Stadt zu zerstören, konzentrierte Lohr die Angriffsziele auf strategisch wichtige Punkte. Was nicht ausschließen konnte, daß auch Wohngebiete getroffen wurden. Nur

deswegen wurde Lohr 1947 vom jugoslawischen Kriegsgericht zum Tod verurteilt und erschossen.

Inzwischen hatte sich zwischen Bier und dem Erlanger Historiker Oswald Hahn eine rege Korrespondenz zum Fall Lohr entwickelt. Hahn, selbst noch junger Luftwaffenoffizier der Bundeswehr, ging der Angelegenheit in deutschen Archiven nach - Prozeßakten aus Belgrad waren nicht zu finden.

Als er von Weinzierl die Unterlagen der Kommission erbat, erhielt er Fotokopien von Zeitungsartikeln und einen Auszug aus einer - sehr einseitigen - Dissertation. Er antwortete: „Ich bin überrascht, daß sich eine Historiker-Kommision auf solche Quellen stützt ... auf Zeitungsartikel, die 20 bis 25 Jahre nach dem Ereignis erschienen sind und keinerlei Beleg enthalten.

Ich bin ferner überrascht darüber, daß die Historiker-Kommission sich nicht bemüht hat, beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Freiburg Originalunterlagen einzusehen, in Sachen Verbrechen gegen die jüdische Bevölkerung Herrn Simon Wiesenthal nicht befragt hat und offenbar sowohl das Standardwerk von Hilberg (Die Vernichtung der europäischen Juden, Berlin 1982), als auch die Biographie von Peter Brou-cek über Edmund Glaise-Horstenau nicht berücksichtigt hat. „Eine Kommentierung darf ich mir wohl ersparen.” Soweit Professor Oswald Halm, Erlangen. Dem dürfte wohl nichts hinzuzufügen sein.

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