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Villa Giusti: 1918

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Am 4. November d. J. jährte sich zum vierzigstenmal der Tag, an dem während der tragischen Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihrer bis zuletzt tapfer ausharrenden Armee unser letzter Krieg mit Italien durch den Waffenstillstand von Villa Giusti beendet wurde. Als ehemaliges Mitglied der österreichisch-ungarischen Waffenitillstandskommissioa begann ich in der vorletzten Nummer der „Furche“ (Nummer 44, 1. November) den Versuch, die Ereignisse zu schildern, die sich im Zusammenhang damit an der Tiroler Front und in der Villa Giusti abgespielt haben, und beschließe heute meine Darstellung. Der Verfasser

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Am 4. November d. J. jährte sich zum vierzigstenmal der Tag, an dem während der tragischen Auflösung der österreichisch-ungarischen Monarchie und ihrer bis zuletzt tapfer ausharrenden Armee unser letzter Krieg mit Italien durch den Waffenstillstand von Villa Giusti beendet wurde. Als ehemaliges Mitglied der österreichisch-ungarischen Waffenitillstandskommissioa begann ich in der vorletzten Nummer der „Furche“ (Nummer 44, 1. November) den Versuch, die Ereignisse zu schildern, die sich im Zusammenhang damit an der Tiroler Front und in der Villa Giusti abgespielt haben, und beschließe heute meine Darstellung. Der Verfasser

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3. NOVEMBER, 15 UHR: Zu Beginn dieser. Sitzung, an der beide Kommissionen vollzählig teilnahmen, erhob Generalleutnant Ba-doglio Protest gegen den am Morgen dieses Tages seitens des, auf der Rückfahrt von Trient nach der Villa Giusti befindlichen Obersten Schneller unternommenen Versuch, die im Etsch-tal nach Norden vorrückenden Truppen der 33. italienischen Division mit der Begründung aufzuhalten, daß die Feindseligkeiten bereits eingestellt seien. Oberst Schneller bemerkte hiezu, er habe lediglich einem italienischen Truppen-kommaridanten mitgeteilt, daß das österreichischungarische AOK die Waffenstillstandsbedingun-g£n angenommen und infolgedessen seinerseits die Einstellung der Feindseligkeiten angeordnet habe.

' Generalleutnant Badoglio nahm diese Erklärung zur Kenntnis und erinnerte daran, daß er ift der Sitzung des Vortages die Erleichterung zugestanden habe, daß die 24stühdige Frist gemäß Klausel 1 des Annex-Protokolls vom Zeitpunkt der Annahme der Bedingungen seitens der österreichisch-ungarischen Kommission und nicht e|st. vom Zeitpunkt der tatsächlichen Fertigung des Waffenstillstandsvertrages ablaufen könne.

Hierauf verlas G. d. I. von Weber die knapp vor der Sitzung verfaßte und von mir rasch ins Italienische übersetzte Annahmeerklärung:

. „Ich, beehre mich, Eurer Exzellenz zur Kenntnis zu bringen, daß — wie aus eben erhaltenen Mitteilungen hervorgeht — das ft. u. k: AOK in den ersten Morgenstunden des 3. November mir mit Funktelegramm befohlen hat, die Wäffenstillstandsbedingungen anzunehmen;, dieses Telegramm wurde mir noch nicht zugestellt. Das k, u.M. AOK hat , gleichzeitig den truppen den Befehl erteilt, die Feindseligkeiten einzustellen.“ f Unmittelbar darauf -verlas &d. I. von Weber . f|jgen1fciaJfeieile Anftfeeaklärung, die knapp , vor der Sitzung in deutscher und italienischer

Sprache vorbereitet worden war:

„Kraft der mir vom k. u. k. AOK verliehenen- Vollmächt erkläre ich, daß ich die vom ,C6nseil superieur de guerre in Versailles am 31. Oktober 1918 festgesetzten Waffen-

,... stillsfandsbedingungen im Namen des AOK annehme.

In diese Annahme sind auch der Punkt 4 der Bedingungen zu Land sowie Punkt 4 und 5 der Bedingungen zur See einbezogen, jedoch mit dem Vorbehält, gegen ihre Bestimmungen auf der Friedenskonferenz Protest einzulegen.“ j Hierauf übfeichte G. d. I. von Weber diese Annahmeerklärung Generalleutnant Badoglio.

Es war jetzt 15.15 Uhr. (

Generalleutnant Badoglio ließ sofort dem nach Abano telephonisch den Abschluß des Waffenstillstandes mit dem Beifügen mitteilen, es könne nunmehr verfügt werden, daß die Feindseligkeiten auf sämtlichen Kampffronten der alliierten truppen gegenüber den österreichisch-ungarischen Truppen am 4. November um 15 Uhr einzustellen seien.

Hierauf wurden zur Vorbereitung der Unterzeichnung des Waffenstillstandsinstrurrientes dir Text der Bedingungen sowie des in der Sitzung des Vortages einvernehmlich festgelegten Annex-Protokolls vorgelesen.

Bei der Klausel 1 des Annex-Protokolls nahm G. d. I. von Weber das Wort und gab der Hoffnung Ausdruck, daß angesichts des Umstandes, daß ds österreichisch-ungarische AOK die Einstellung der Feindseligkeiten bereits in der Nacht auf den 3. November anbefohlen habe, die 24stündige Frist aufgehoben und ein analoger Befehl zur Einstellung der Feindseligkeiten auch den italienischen Truppen erteilt werden möge, die ansonsten mangels irgendeines Widerstandes allzu leicht erreichbare Vorteile erhalten würden.

Nun ergriff auch Korvettenkapitän von Zwierkowski das Wort und. erklärte, da der Wortlaut des Punktes 1 der militärischen Klauseln der Waffenstillstandsbedingungen die sofortige Einstellung („cessation imme-diate“) der Feindseligkeiten festgelegt habe, wolle er seine eigene Verantwortlichkeit von jener des G d. I von Weber trennen, das heißt, er wolle angesichts des Umstandes, daß das

österreichisch-ungarische AOK bereits die Einstellung der Feindseligkeiten anbefohlen habe, die 24stündige Frist nicht mehr anerkennen. Er erhielt sofort Sukkurs seitens der drei mittags aus Trient zurückgekehrten Mitglieder der Kommission, Oberst Schneller, Fregattenkapitän Prinz von und zu Liechtenstein und Hauptmann Ruggera, die sich mit ZwierkoWski solidarisch erklärten. Oberst Schneller erklärte überdies, daß die am Vortag in Abwesenheit der drei bevollmächtigten Mitglieder getroffenen Vereinbarungen nicht als gültig und bindend angesehen weiden könnten.

Aber nun war es mit der Selbstbeherrschung des Generalleutnants Badoglio, der sich, sichtbar erregt, lange zurückgehalten hatte, zu Ende. Bleich vor Zorn sprang er auf, schlug'mit der Faust auf den Tisch und rief: „Jetzt ist es aber genug! Unter solchen Umständen haben wir hier nichts mehr zu tun!“ und zum Oberst Gazzera gewendet, befahl ei: „Herr Oberst, gehen Sie sofort zum Telephon und annullieren Sie die vorher durchgegebene Mitteilung über die Einstellung der Feindseligkeiten! Die Feindselig;-keiten gehen weiter! Verständigen Sie Versailles, daß die erste Meldung auf einem Irrtum be-

Diese höchst peinliche Meinungsverschiedenheit innerhalb unserer Kommission erklärt sich aus der Tatsache, daß das AOK, obwohl es von uns, seiner von ihm bevollmächtigten Kommission, verständigt worden war, daß die Frage des Zeitpunktes der Einstellung der Feindseligkeiten noch nicht geklärt, sondern erst im Stadium der Verhandlung sei, in der Nacht vom 2. auf den 3. November willkürlich, ohne sich um die von ihm bevollmächtigte Y/tffenstill-standskommission zu kümmern, die sofortige Einstellung der Feindseligkeiten anbefohlen hatte. G. d. 1. von Weber und mit ihm die in der Nacht vom 2. auf den 3. November in der Villa Giusti mit der italienischen Kommission verhandelnden Mitglieder der österreichisch-ungarischen Kommission; die unter den} Zwang des Diktats“ die WMktffrayiW'“ߣl nähmen,'hatten damals “keine Ahnung.“ datf'& 'ÄÖR“ zur gleichen Zeit diese strittige Frage einseitig gelöst hatte. ruhte und daß die Verhandlungen mit der österreichisch-ungarischen Waffenstillstandskommission endgültig gescheitert sind!“

G. d. I. von Weber, der dem bisher in italienischer Sprache geführten Wortwechsel wegen völliger Unkenntnis dieser Sprache nicht hatte folgen können, wußte nicht, um was es sich handelte. Ich, der als sein Dolmetscher fungierte, hatte jetzt keine Zeit mehr, um ihm den ganzen

Zwischenfall zu erklären, fühlte aber — ob mit Recht oder mit Unrecht, bleibe dahingestellt —, daß für uns eine höchst gefährliche Lage entstanden sei, in die man raschestens eingreifen müsse, wolle man eine Katastrophe für unsere Armee abwenden. Ich flüsterte dem G. d. I. von Weber zu: „Zum Erklären ist jetzt keine Zeit mehr — bitte lassen Sie mich reden!“, stand auf und wandte mich ar Generalleutnant Badoglio. Alle meine Ueberredungskimst aufbietend, erklärte ich ihm, daß es sich um ein verhängnisvolles Mißverständnis handle. Korvettenkapitän

Zwierkowski habe bestimmt nicht die Absicht, jedenfalls aber nicht das Recht gehabt, die Legalität der in der Nachtsitzung vom 2. auf den 3. November getroffenen Vereinbarungen zu bezweifeln. Sie seien selbstverständlich in Kraft, da der Vorsitzende der österreichisch-ungarischen Kommission sie eben feierlich als angenommen erklärt habe. Nur seine Erklärung allein, nicht aber jene einzelner Mitglieder der Kommission seien als rechtsgültig anzusehen.

Generalleutnant Badoglio hörte meine Erklärung ruhig an, ohne mich ein einziges Mal zu unterbrechen, nickte mir dann zu und stellte die Frage: „Erklären sich nun die drei Mitglieder der österreichisch-ungarischen Kommission, die während der Nachtsitzung vom 2'. auf den 3. November abwesend waren, noch immer solidarisch mit dem Korvettenkapitän Zwierkowski?“ Oberst Schneller, der sich augenscheinlich mittlerweile die Sache denn doch überlegt hatte, antwortete nach kurzer Konsultierung der beiden anderen Herren mit einem deutlichen „Nein!“ und der Korvettenkapitän bat um das Wort und entschuldigte sich. Nun ergriff auch G. d. I. von Weber, dem mittlerweile die Einzelheiten des Zwischenfalles erklärt worden waren, das Wort und erklärte, daß die im Annex-Protokoll festgelegte 24stündige Frist von ihm angenommen worden sei und daß Korvettenkapitän Zwierkowski diese Frage lediglich von einem juridischen und rein persönlichen Gesichtspunkt hatte beleuchten wollen. Auf jeden Fall seien sowohl die Waffenstillstandsbedingungen als auch die Klauseln des Annex-Protokolls als von der österreichisch-ungarischen Kommission angenommen zu betrachten.

Hiermit war der Zwischenfall beigelegt und Generalleutnant Badoglio sandte einen Offizier zu dem noch beim Telephonapparat beschäftigten Oberst Gazzera, um die für den alliierten Kriegsrat bestimmte Meldung zu widerrufen. Dann wurde die Verlesung des Annex-Protokolls zu Ende geführt, worauf die beiden authentischen Ausfertigungen verifiziert und um 18 Uhr von beiden Parteien unterschrieben wurden.

5. BIS 7. NOVEMBER: Nach Beendigung unserer Aufgabe mußten wir noch drei Tage in der Villa Giusti bleiben, da eine direkte Rückfahrt unserer Kommission nach Oesterreich durch die im Etschtal marschierenden eigenen und feindlichen Truppen ausgeschlossen erschien und erst die Bewilligung der schweizerischen I RegiWEurtg. für',:unsere i Durchreiwssäbiriffet djsir Schwerz von der “italienischen RegierMjngf, mit: diplomatischem Wege eingeholt werden mußte.

Am 5. November eröffnete mir Generalleutnant Badoglio, daß er die Absicht habe, mich als Verbindungsoffizier („ufficiale di collega-mento“) zwischen dem C. S. und dem AOK in seinem Stab in Abano zurückzubehalten, um die genaue Einhaltung der Waffenstillstandsbedingungen seitens der österreichisch-ungarischen Truppen zu gewährleisten. Obwohl mir der General versicherte, daß ich beim C. S. mit allen Ehren und genau so wie ein italienischer Generalstabsoffizier behandelt werden würde, hatte ich nicht die geringste Lust, den Sündenbock für alle rriöglichen, ja sogar wahrscheinlichen Verstöße gegen die Waffenstillstandsbedingungen zu spielen, und bat den General, von dieser Absicht abzustehen. Ich gab ihm zu bedenken, daß das AOK höchstwahrscheinlich bald nicht mehr bestehen würde und es ganz ungewiß sei,- ob in der in voller Auflösung befindlichen österreichischungarischen Monarchie irgendeine Behörde gebildet werden würde, die die zweifelhafte Erbschaft des AOK antreten würde. Generalleutnant Badaglio sah die Richtigkeit meiner Einwände ein und ließ mich ziehen.

Am 7. November, 17.45 Uhr, verließ unsere gesamte Kommission die Villa Giusti und wurde um 18.50 Uhr von Padua in einem reservierten Waggon über Mailand nach Chiasso instradiert, wo wir am Vormittag des 8. November von schweizerischen Generalstabsoffizieren in freundlichster Weise empfangen wurden, die den Auftrag hatten, uns nach Zürich zu geleiten. Auf der Fahrt dorthin stieg jedoch der Generalstabsoberst von Wattenwyl zu uns ein und eröffnete uns, daß er den Auftrag habe, uns wegen des Ausbruchs ernster Arbeiterunruhen in der Stadt Zürich nach Rapperswyl am Züricher See zu bringen. Dort wurden wir in einem sehr guten Hotel untergebracht und mußten zwei Tage warten, bis die Bahnverbindung mit Oesterreich wieder funktionierte. Am 11. November langten wir endlich in Feldkirch ein, wo wir als erste Begrüßung in der Heimat von Organen des Bahnhofkommandos gezwungen wurden, die Kokarden auf unseren Offizierskappen, die nocb den Namenszug des Kaisers trugen, sofort zu entfernen.

Die österreichisch-ungarische Monarchie und mit ihr die glorreiche k. u. k. Armee bestand nicht mehr ...

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